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II.

Von dem Gebrauche der Thiere in der Fabel.

Der größte Theil der Fabeln hat Thiere, und wohl noch geringere Geschöpfe zu handelnden Personen. Was ist hiervon zu halten? Ist es eine wesentliche Eigenschaft der Fabel, daß die Thiere darin zu moralischen Wesen erhoben werden? Ist es ein Handgriff, der dem Dichter die Erreichung seiner Absicht verkürzt und erleichtert? Ist es ein Gebrauch, der eigentlich keinen ernstlichen Nußen hat, den man aber zu Ehren des ersten Erfinders beibehält, weil er wenigstens schna disch ist — quod risum movet? Oder was ist es?

Batteur hatte diese Fragen entweder gar nicht vorausgesehen, oder er war listig genug, daß er ihnen damit zu entkommen glaubte, wenn er den Gebrauch der Thiere seiner Erklärung sogleich mit anflicte. Die Fabel, sagt er, ist die Erzählung einer allgorischen Handlung, die gemeiniglich den Thieren beigelegt wird. Vollkommen à la Françoise! Oder, wie

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der Hahn über die Kohlen!

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Warum, möchten wir gern wissen, warum wird sie gemeiniglich den Thieren beigelegt?, was ein langsamer Deutscher nicht alles fragt!

Ueberhaupt ist unter allen Kunstrichtern Breitin= ger der Einzige, der diesen Punkt berührt hat. Er ver= dient es also um so viel mehr, daß wir ihn hören. „Weil Aesopus, sagt er, die Fabel zum Unterrichte des gemeinen bürgerlichen Lebens angewendet, so waren seine Lehren meistens ganz bekannte Säße und Lebensregeln, und also mußte er auch zu den allegorischen Vorstellungen derselben ganz gewohnte Handlungen und Beispiele aus dem ge= meinen Leben der Menschen entlehnen. Da nun aber die täglichen Geschäfte und Handlungen der Menschen nichts Ungemeines oder merkwürdig Reizendes an sich haben, so mußte man nothwendig auf ein neues Mittel bedacht seyn, auch der allegorischen Erzählung eine anzügliche Kraft und ein reizendes Ansehen mitzutheilen, um ihr also dadurch einen sichern Eingang in das menschliche Herz aufzuschließen. Nachdem man nun wahrge= nommen, daß allein das Seltene, Neue und Wunderbare eine solche erweckende und angenehm entzückende Kraft auf das menschliche Gemüth mit sich führt, so war man bedacht, die Erzählung durch die Neuheit und Seltsamkeit der Vorstellungen wunderbar zu machen, und also dem Körper der Fabel eine ungemeine und reizende Schönheit beizulegen. Die Erzählung besteht aus zwei wesentlichen Hauptumständen, dem Umstande der Person, und der Sache oder Handlung; ohne diese kann keine Erzählung Plaß haben. Also muß das Wunderbare, welches in der Erzählung herrschen soll, sich entweder auf die Handlung selbst, oder auf die Personen, denen selbige zugeschrieben wird, beziehen. Das Wunderbare, das in den täglichen Geschäften und Handlungen der Menschen vorkommt, besteht vornehmlich in dem Unvermutheten, sowohl in Absicht auf die Vermessenheit im Unterfangen,

als die Bosheit oder Thorheit im Ausführen, zuweilen auch in einem ganz unerwarteten Ausgange einer Sache. Weil aber dergleichen wunderbare Handlungen in dem gemeinen Leben der Menschen etwas ungewohntes und Seltenes sind; da hingegen die meisten gewöhnlichen Handlungen gar nichts Ungemeines oder Merkwürdiges an sich haben: so sah man sich gemüßigt, damit die Erzählung als der Körper der Fabel nicht verächtlich würde, derselben durch die Veränderung und Verwandlung der Personen einen angenehmen Schein des Wunderbaren mitzutheilen. Da nun die Menschen, bei aller ihrer Verschiedenheit, dennoch überhaupt betrachtet in einer wesentlichen Gleichheit und Verwandtschaft stehen, so besann man sich, Wesen von einer höhern Natur, die man wirklich zu seyn glaubte, als Götter und Genios, oder solche, die man durch die Freiheit der Dichter zu Wesen erschuf, als die Tugenden, die Kräfte der Seele, das Glück, die Gelegenheit c. in die Erzählung einzuführen; vornehmlich aber nahm man sich die Freiheit heraus, die Thiere, die Pflanzen und noch geringere Wesen, nämlich die leblosen Geschöpfe, zu der höhern Natur der vernünftigen Wesen zu erheben, indem man ihnen menschliche Vernunft und Rede mittheilte, damit sie also fähig würden, uns ihren Zustand und ihre Begegnisse in einer uns vernehmlichen Sprache zu erklären, und durch ihr Erempel von ähnlichen moralischen Handlungen unsre Lehrer abzugeben 2c.“

Breitinger also behauptet, daß die Erreichung des Wunderbaren die Ursache sey, warum man in der Fabel die Thiere und andere niedrigere Geschöpfe reden und vernunftmäßig handeln lasse. Und eben weil er dieses für die Ursache hält, glaubt er, daß die Fabel überhaupt,

in ihrem Wesen und Ursprunge betrachtet, nichts anders als ein lehrreiches Wunderbare sey. Diese seine zweite Erklärung ist es, welche ich hier versprochenermaßen untersuchen muß.

Es wird aber bei dieser Untersuchung vornehmlich darauf ankommen, ob die Einführung der Thiere in der Fabel wirklich wunderbar ist. Ist sie es, so hat Breitinger viel gewonnen; ist sie es aber nicht, so liegt auch sein ganzes Fabelsystem auf einmal über dem Haufen.

Wunderbar soll diese Einführung seyn? Das Wunderbare, sagt eben dieser Kunstrichter, legt den Schein der Wahrheit und Möglichkeit ab. Diese anscheinende Unmöglichkeit also gehört zu dem Wesen des Wunderbaren; und wie soll ich nunmehr jenen Gebrauch der Alten, den sie selbst schon zu einer Regel gemacht hatten, damit vergleichen? Die Alten nämlich fingen ihre Fabeln am liebsten mit dem yaşı und dem darauf folgenden Klage= falle an. Die griechischen Rhetores nennen dieses kurz, die Fabel in dem Klagefalle (rais aitiatinais) portragen; und Theon, wenn er in seinen Vorübungen1 hierauf kommt, führt eine Stelle des Aristoteles an, wo der Philosoph diesen Gebrauch billigt, und es zwar deßwegen für rathsamer erklärt, sich bei Einführung einer Fabel lieber auf das Alterthum zu berufen, als in der eigenen Person zn sprechen, damit man den Anschein, als erzähle man etwas Unmögliches, vermindere (ίνα παραμυθήσονται το δοκεῖν ἀδυνατα λεγειν). Bat al das der Alten ihre Denkungsart, wollten sie den Schein der Unmöglichkeit in der Fabel so viel als möglich ver= mindert wissen: so mußten sie nothwendig weit davon entfernt seyn, in der Fabel etwas Wunderbares zu suchen,

1 Nach der Ausgabe des Camerarius S. 28.

oder zur Absicht zu haben; denn das Wunderbare muß sich auf diesen Schein der Unmöglichkeit gründen.

Weiter! Das Wunderbare, sagt Breitinger an mehr als Einem Orte, sey der höchste Grad des Neuen. Diese Neuheit aber muß das Wunderbare, wenn es seine gehörige Wirkung auf uns thun soll, nicht allein bloß in Ansehung seiner selbst, sondern auch in Ansehung unserer Vorstellungen haben. Nur das ist wunderbar, was sich sehr selten in der Reihe der natürlichen Dinge ereignet. Und nur das Wunderbare behält seinen Eindruck auf uns, dessen Vorstellung in der Reihe unserer Vorstellungen eben so selten vorkommt. Auf einen fleißigen Bibelleser wird das größte Wunder, das in der Schrift aufgezeichnet ist, den Eindruck bei weitem nicht mehr machen, den es das erstemal auf ihn gemacht hat. Er lieset es endlich mit eben so wenigem Erstaunen, daß die Sonne einmal stille gestanden, als er sie täglich aufund niedergehen sieht. Das Wunder bleibt immer dasselbe; aber nicht unsere Gemüthsverfassung, wenn wir es zu oft denken. Folglich würde auch die Einführung der Thiere uns höchstens nur in den ersten Fabeln wunderbar vorkommen; fänden wir aber, daß die Thiere fast in allen Fabeln sprächen und urtheilten, so würde diese Sonderbarkeit, so groß sie auch an und für sich selbst wäre, doch gar bald nichts Sonderbares mehr für uns haben.

Aber wozu alle diese Umschweife? Was sich auf einmal umreißen läßt, braucht man das erst zu erschüttern?

Darum kurz: daß die Thiere und andere niedrigere Geschöpfe Sprache und Vernunft haben, wird in der Fabel vorausgeseßt; es wird angenommen, und soll nichts weniger als wunderbar seyn. — Wenn ich in der Schrift

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