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hätte herleiten sollen! Ich gebe es zu, daß der Einfall des Pater Bossue nichts taugt. Die äsopische Fabel, in die Länge einer epischen Fabel ausgedehnt, höret auf eine äsopische Fabel zu seyn; aber nicht deswegen, weil man den Thieren, nachdem man ihnen Freiheit und Sprache ertheilt hat, nicht auch eine Folge von Gedanken, dergleichen die Folge von Handlungen in der Epopee erfordern würde, ertheilen dürfte; nicht deswegen, weil die Thiere alsdann zu viel Menschliches haben würden: sondern deswegen, weil die Einheit des moralischen Lehrsaßes verloren gehen würde; weil man diesen Lehrsaß in der Fabel, deren Theile so gewaltsam aus einander gedehnt und mit fremden Theilen vermischt worden, nicht länger anschauend erkennen würde. Denn die anschauende Erkenntniß erfordert unumgänglich, daß wir den einzelnen Fall auf einmal übersehen können; können wir es nicht, weil er entweder allzuviel Theile hat, oder seine Theile allzuweit aus einander liegen, so kann auch die Intuition des Allgemeinen nicht erfolgen. Und nur dieses, wenn ich nicht sehr irre, ist der wahre Grund, warum man es dem dramatischen Dichter, noch williger aber dem Epopeendichter, erlassen hat, in ihre Werke eine einzige Hauptlehre zu legen. Denn was hilft es, wenn fie auch eine hineinlegen? Wir können sie doch nicht darin erkennen, weil ihre Werke viel zu weitläuftig sind, als daß wir sie auf einmal zu übersehen vermöchten. In dem Skelette derselben müßte sie sich wohl endlich zeigen; aber das Skelett gehöret für den kalten Kunstrichter, und wenn dieser einmal glaubt, daß eine solche Hauptlehre darin liegen müsse, so wird er sie gewiß herausgrübeln, wenn sie der Dichter auch gleich nicht hineingelegt hat. Daß übrigens das eingeschränkte Wesen der.

Thiere von dieser nicht zu erlaubenden Ausdehnung der äsopischen Fabel die wahre Ursache nicht sey, hätte der kritische Briefsteller gleich daher abnehmen können, weil nicht bloß die thierische Fabel, sondern auch jede andere äsopische Fabel, wenn sie schon aus vernünftigen Wesen besteht, derselben unfähig ist. Die Fabel von dem Lahmen und Blinden, oder von dem armen Manne und dem Tode, läßt sich eben so wenig zur Länge des epischen Gedichtes erstrecken, als die Fabel von dem Lamme und dem Wolfe, oder von dem Fuchse und dem Raben. Kann es also an der Natur der Thiere liegen? Und wenn man mit Beispielen streiten wollte, wie viel sehr gute Fabeln ließen sich ihm nicht entgegen seßen, in welchen den Thieren weit mehr als flüchtige und dunkle Strahlen einer Vernunft beigelegt wird, und man sie ihre Anschläge ziemlich von weitem her zu einem Endzwecke anwenden siehet! Z. E. der Adler und der Käfer;1 der Adler, die Kaße und das Schwein 2 2c.

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Unterdessen, dachte ich einsmals bei mir selbst, wenn man dem ungeachtet eine äsopische Fabel von einer ungewöhnlichen Länge machen wollte, wie müßte man es anfangen, daß die jeßt berührten Unbequemlichkeiten dieser Länge wegfielen? Wie müßte unser Reinicke Fuchs aussehen, wenn ihm der Name eines äsopischen Heldengedichts zukommen sollte? Mein Einfall war dieser: Fürs erste müßte nur ein einziger moralischer Sah in dem Ganzen zum Grunde liegen; fürs zweite müßten die vielen und mannichfaltigen Theile dieses Ganzen unter gewisse Haupttheile gebracht werden, damit man sie wenigstens in diesen Haupttheilen auf einmal übersehen 1 Fabul. Aesop. 2.

2 Phaedrus, Lib. II. Fab. 4.

Lessing, Fabeln.

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könnte; fürs dritte müßte jeder dieser Haupttheile ein besonderes Ganze, eine für sich bestehende Fabel seyn können, damit das große Ganze aus gleichartigen Theilen bestände. Es müßte, um alles zusammen zu nehmen, der allgemeine moralische Sah in seine einzelne Begriffe aufgelöset werden; jeder von diesen einzelnen Begriffen müßte in einer besondern Fabel zur Intuition gebracht werden, und alle diese besondern Fabeln müßten zusammen nur eine einzige Fabel ausmachen. Wie wenig hat der Reinicke Fuchs von diesen Requisitis! Am Besten also, ich mache selbst die Probe, ob sich mein Einfall auch wirklich ausführen läßt. — Und nun urtheile man, wie diese Probe ausgefallen ist! Es ist die sechszehnte Fabel meines dritten Buchs, und heißt die Geschichte des alten Wolfs in sieben Fabeln. Die Lehre, welche in allen sieben Fabeln zusammen ge= nommen liegt, ist diese: „Man muß einen alten Bösewicht nicht auf das äußerste bringen, und ihm alle Mittel zur Besserung, so spät und erzwungen sie auch seyn mag, benehmen.". Dieses Aeußerste, die Benehmung aller Mittel zerstückte ich; machte verschiedene mißlungene Versuche des Wolfes daraus, des gefährlichen Raubens künftig müßig gehen zu können; und bearbeitete jeden dieser Versuche als eine besondere Fabel, die ihre eigene und mit der Hauptmoral in keiner Verbindung stehende Lehre hat. Was ich hier bis auf sieben, und mit dem Rangstreite der Thiere auf vier Fabeln gebracht habe, wird ein Anderer mit einer andern noch frucht: barern Moral leicht auf mehrere bringen können. Ich begnüge mich, die Möglichkeit gezeigt zu haben.

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IV.

Von dem Vortrage der Fabeln.

Wie soll die Fabel vorgetragen werden? Ist hierin Aesopus, oder ist Phädrus, oder ist la Fontaine das wahre Muster?

Es ist nicht ausgemacht, ob Aesopus seine Fabeln selbst aufgeschrieben und in ein Buch zusammen getragen hat. Aber das ist so gut als ausgemacht, daß, wenn er es auch gethan hat, doch keine einzige davon durchaus mit seinen eigenen Worten auf uns gekommen ist. Ich verstehe also hier die allerschönsten Fabeln in den ver schiedenen griechischen Sammlungen, welchen man seinen Namen vorgeseht hat. Nach diesen zu urtheilen, war sein Vortrag von der äußersten Präcision; er hielt sich nirgends bei Beschreibungen auf; er kam sogleich zur Sache, und eilte mit jedem Worte näher zum Ende; er kannte kein Mittel zwischen dem Nothwendigen und Unnüßen. So characterisirt ihn de la Motte; und richtig. Diese Präcision und Kürze, worin er ein so großes Muster war, fanden die Alten der Natur der Fabel auch so angemessen, daß sie eine allgemeine Regel daraus machten. Theon unter andern dringet mit den ausdrücklichsten Worten darauf.

Auch Phädrus, der sich vornahm, die Erfindungen des Aesopus in Versen auszubilden, hat offenbar den festen Vorsak gehabt, sich an diese Regel zu halten; und wo er davon abgekommen ist, scheinet ihn das Sylbenmaß und der poetischere Styl, in welchen uns auch das allersimpelste Sylbenmaß wie unvermeidlich verstrict, gleichsam wider seinen Willen davon abgebracht zu haben.

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Aber la Fontaine? Dieses sonderbare Genie! La Fontaine! Nein, wider ihn selbst habe ich nichts; aber wider seine Nachahmer, wider seine blinden Verehrer! La Fontaine kannte die Alten zu gut, als daß er nicht hätte wissen sollen, was ihre Muster und die Natur zu einer vollkommenen Fabel erforderten. Er wußte es, daß die Kürze die Seele der Fabel sey; er gestand es zu, daß es ihr vornehmster Schmuck sey, ganz und gar keinen Schmuck zu haben. Er bekannte mit der liebenswür: digsten Aufrichtigkeit, „daß man die zierliche Präcision und die außerordentliche Kürze, durch die sich Phädrus so sehr empfehle, in seinen Fabeln nicht finden werde. Es wären dieses Eigenschaften, die zu erreichen ihn seine Sprache zum Theil verhindert hätte; und bloß deßwegen, weil er den Phädrus dartn nicht nachahmen können, habe er geglaubt, qu'il falloit en recompense égayer l'ouvrage plus qu'il n'a fait." Alle die Lustigkeit, sagt er, durch die ich meine Fabeln aufgestußt habe, soll weiter nichts als eine etwanige Schadloshaltung für wesentlichere Schönheiten seyn, die ich ihnen zu ertheilen zu unvermögend gewesen bin. Welch Bekenntniß! In meinen Augen macht ihm dieses Bekenntniß mehr Ehre, als ihm alle seine Fabeln machen. Aber wie wunderbar ward es von dem französischen Publico aufgenommen! 1 In der Vorrede zu seinen Fabeln.

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