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Von einem besondern Nußen der Fabeln in den

Schulen.

Ich will hier nicht von dem moralischen Nußen der Fabeln reden; er gehöret in die allgemeine praktische Philosophie; und würde ich mehr davon sagen können, als Wolf gesagt hat? Noch weniger will ich von dem geringern Nußen jest sprechen, den die alten Rhetores in ihren Vorübungen von den Fabeln zogen; indem sie ihren Schülern aufgaben, bald eine Fabel durch alle casus obliquos zu verändern, bald sie zu erweitern, bald sie kürzer zusammen zu ziehen 2c. Diese Uebung kann nicht anders als zum Nachtheil der Fabel selbst vorgenommen werden; und da jede kleine Geschichte eben so geschickt dazu ist, so weiß ich nicht, warum man eben die Fabel dazu mißbrauchen muß, die sich als Fabel ganz gewiß nur auf eine einzige Art gut erzählen läßt.

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Den Nußen, den ich jezt mehr berühren als um= ständlich erörtern will, würde man den hevristischen Nußen der Fabeln nennen können. Warum fehlt es in allen Wissenschaften und Künsten so sehr an Erfindern und selbstdenkenden Köpfen? Diese Frage wird am Besten durch eine andere Frage beantwortet: Warum werden wir nicht besser erzogen? Gott gibt uns die Seele; aber

das Genie müssen wir durch die Erziehung bekommen. Ein Knabe, dessen gesammte Seelenkräfte man so viel als möglich beständig in einerlei Verhältnissen ausbildet und erweitert; den man angewöhnet, alles, was er täg= lich zu seinem kleinen Wissen hinzulernt, mit dem, was er gestern bereits wußte, in der Geschwindigkeit zu vergleichen, und Acht zu haben, ob er durch diese Verglei= chung nicht von selbst auf Dinge kommt, die ihm noch nicht gesagt worden; den man beständig aus einer Scienz in die andere hinüber sehen läßt; den man lehret, sich eben so leicht von dem Besondern zu dem Allgemeinen zu erheben, als von dem Allgemeinen zu dem Besondern sich wieder herabzulassen: Der Knabe wird ein Genie werden, oder man kann nichts in der Welt werden.

Unter den Uebungen nun, die diesem allgemeinen Plane zu Folge angestellt werden müßten, glaube ich, würde die Erfindung äsopischer Fabeln eine von denen feyn, die dem Alter eines Schülers am allerangemessensten wären: nicht, daß ich damit suchte, alle Schüler zu Dichtern zu machen; sondern weil es unläugbar ist, daß das Mittel, wodurch die Fabeln erfunden worden, gleich dasjenige ist, das allen Erfindern überhaupt das aller: geläufigste seyn muß. Dieses Mittel ist das Principium der Reduction, und es ist am Besten, den Philosophen selbst davon zu hören: Videmus adeo, quo artificio utantur fabularum inventores, principio nimirum reductionis: quod quemadmodum ad inveniendum in genere utilissimum, ita ad fabulas inveniendas absolute necessarium est. Quoniam in arte inveniendi principium reductionis amplissimum sibi locum vindicat, absque hoc principio autem nulla effingitur fabula; nemo in dubium revocare poterit, fabularum inventores

inter inventores locum habere. Neque est quod inventores abjecte de fabularum inventoribus sentiant: quod si enim fabula nomen suum tueri, nec quicquam in eadem desiderari debet, haud exiguae saepe artis est eam invenire, ita ut in aliis veritatibus inveniendis excellentes hic vires suas deficere agnoscant, ubi in rem praesentem veniunt. Fabulae aniles nugae sunt, quae nihil veritatis continent, et earum autores in nugatorum, non inventorum veritatis numero sunt. Absit autem ut hisce aequipares inventores fabularum vel fabellarum cum quibus in praesente nobis negotium est, et quas vel inviti in Philosophiam practicam admittere tenemur, nisi praxi officere velimus.

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Doch dieses Principium der Reduction hat seine großen Schwierigkeiten. Es erfordert eine weitläufige Kenntniß des Besondern und aller individuellen Dinge, auf welche die Reduction geschehen kann. Wie ist diese von jungen Leuten zu verlangen? Man müßte dem Rathe eines neuern Schriftstellers folgen, den ersten Anfang ihres Unterrichts mit der Geschichte der Natur zu machen, und diese in der niedrigsten Klasse allen Vorlesungen zum Grunde zu legen. 2 Sie enthält, sagt er, den Sa= men aller übrigen Wissenschaften, sogar die moralischen nicht ausgenommen. Und es ist kein Zweifel, er wird mit diesem Samen der Moral, den er in der Geschichte der Natur gefunden zu haben glaubt, nicht auf die bloßen Eigenschaften der Thiere und anderer geringern Geschöpfe, sondern auf die äsopischen Fabeln, welche auf diese Eigenschaften gebauet werden, gesehen haben.

Aber auch alsdann noch, wenn es dem Schüler an

1 Philosophiae practicae universalis pars posterior, §. 310. 2 Briefe, die neueste Literatur betreffend, erster Theil, S. 58. Lessing, Fabeln. 10

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dieser weitläuftigen Kenntniß nicht mehr fehlte, würde man ihn die Fabeln Anfangs müssen mehr finden, als erfinden lassen; und die allmähligen Stufen von diesem Finden zum Erfinden, die sind es eigentlich, was ich durch verschiedene Versuche meines zweiten Buchs habe zeigen wollen. Ein gewisser Kunstrichter sagt: „Man darf nur im Holz und im Felde, insonderheit aber auf der Jagd, auf alles Betragen der zahmen und der wilden Thiere aufmerksam seyn, und so oft etwas Sonderbares und Merkwürdiges zum Vorschein kommt, sich selber in den Gedanken fragen, ob es nicht eine Aehnlichkeit mit einem gewissen Charakter der menschlichen Sitten habe, und in diesem Falle in eine symbolische Fabel ausgebildet werden könne." Die Mühe, mit seinem Schüler auf die Jagd zu gehen, kann sich der Lehrer ersparen, wenn er in die alten Fabeln selbst eine Art von Jagd zu legen weiß; indem er die Geschichte derselben bald eher abbricht, bald weiter fortführt, bald diesen oder jenen Umstand derselben so verändert, daß sich eine andere Moral darin erkennen läßt.

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3. E. Die bekannte Fabel von dem Löwen und Esel fängt fid) an: Λεων και όνος, κοινωνίαν θέμενοι, ἐξηλθον ἐπι θηραν Hier bleibt der Lehrer stehen. Der Esel in Gesellschaft des Löwen? Wie stolz wird der Esel auf diese Gesellschaft gewesen seyn! (Man sehe die achte Fabel meines zweiten Buchs.) Der Löwe in Gesellschaft des Esels? Und hatte sich denn der Löwe dieser Gesellschaft nicht zu schämen? (Man sehe die siebente.) Und so sind zwei Fabeln entstanden, indem man mit der Geschichte der alten Fabel einen kleinen Ausweg

1 Kritische Vorrede zu M. v. K. neuen Fabeln.

genommen, der auch zu einem Ziele, aber zu einem an= dern Ziele führet, als Aesopus sich dabei gesteckt hatte.

Oder man verfolgt die Geschichte einen Schritt weiter: Die Fabel von der Krähe, die sich mit den ausge= fallenen Federn anderer Vögel geschmückt hatte, schließt fία: και ὁ κολοιος ἦν παλιν κολοιος. Bielleiφt war fie nun auch etwas Schlechteres, als sie vorher gewesen war. Vielleicht hatte man ihr auch ihre eigenen glänzenden Schwingfedern mit ausgerissen, weil man sie gleichfalls für fremde Federn gehalten? So geht es dem Plagiarius. Man ertappt ihn hier, man ertappt ihn da; und endlich glaubt man, daß er auch das, was wirklich sein eigen ist, gestohlen habe. (S. die sechste Fabel meines zweiten Buch s.)

Oder man verändert einzelne Umstände in der Fabel. Wie, wenn das Stück Fleisch, welches der Fuchs dem Raben aus dem Schnabel schmeichelte, vergiftet gewesen wäre? (S. die fünfzehnte.) Wie, wenn der Mann die erfrorne Schlange nicht aus Barmherzigkeit, sondern aus Begierde, ihre schöne Haut zu haben, aufgehoben und in den Busen gesteckt hätte? Hätte sich der Mann auch alsdann noch über den Undank der Schlange beklagen können? (S. die dritte Fabel.)

Oder man nimmt auch den merkwürdigsten Umstand aus der Fabel heraus, und bauet auf denselben eine ganz neue Fabel. Dem Wolfe ist ein Bein in dem Schlunde stecken geblieben. In der kurzen Zeit, da er sich daran würgte, hatten die Schafe also vor ihm Friede. Aber durfte sich der Wolf die gezwungene Enthaltung als eine gute That anrechnen? (S. die vierte Fabel.) Her= kules wird in dem Himmel aufgenommen, und unterläßt, dem Plutus seine Verehrung zu bezeugen. Sollte

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