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Abhandlungen.

I.

Von dem Wesen der Fabel.

Jede Erdichtung, womit der Poet eine gewisse Absicht verbindet, heißt seine Fabel. So heißt die Erdichtung, welche er durch die Epopee, durch das Drama herrschen läßt, die Fabel seiner Epopee, die Fabel seines Drama. Von diesen Fabeln ist hier die Rede nicht. Mein Gegenstand ist die sogenannte Aesopische Fabel. Auch diese ist eine Erdichtung; eine Erdichtung, die auf einen gewissen Zweck abzielet.

Man erlaube mir, gleich Anfangs einen Sprung in die Mitte meiner Materie zu thun, um eine Anmerkung daraus herzuholen, auf die sich eine gewisse Eintheilung der Aesopischen Fabel gründet, deren ich in der Folge zu oft gedenken werde, und die mir so bekannt nicht schei= net, daß ich sie, auf gut Glück, bei meinen Lesern vorausseßen dürfte.

Aesopus machte die meisten seiner Fabeln bei wirklichen Vorfällen. Seine Nachfolger haben sich dergleichen Vorfälle meistens erdichtet, oder auch wohl an ganz und gar keinen Vorfall, sondern bloß an diese oder jene allgemeine Wahrheit, bei Verfertigung der ihrigen, ge= dacht. Diese begnügten sich folglich, die allgemeine Wahrheit, durch die erdichtete Geschichte ihrer Fabel, erläutert Lessing, Fabeln.

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zu haben; wenn jener noch über dieses die Aehnlichkeit seiner erdichteten Geschichte mit dem gegenwärtigen wirklichen Vorfalle faßlich machen, und zeigen mußte, daß aus beiden, sowohl aus der erdichteten Geschichte als dem wirklichen Vorfalle, sich eben dieselbe Wahrheit be= reits ergebe, oder ungewiß ergeben werde.

Und hieraus entspringt die Eintheilung in einfache und zusammengeseßte Fabeln.

Einfach ist die Fabel, wenn ich aus der erdichteten Begebenheit derselben bloß irgend eine allgemeine Wahrheir folgern lasse. „Man machte der Löwin den Vorwurf, daß sie nur Ein Junges zur Welt brächte. Ja, sprach sie, nur Eins; aber einen Löwen.“ Die Wahrbeit, welche in biefer fabel liegt, ότι το καλον οὐκ ἐν πλήθει, all' agɛry, leuchtet sogleich in die Augen; und die Fabel ist einfach, wenn ich es bei dem Ausdrucke dieses allgemeinen Saßes bewenden lasse.

Zusammengeseßt hingegen ist die Fabel, wenn die Wahrheit, die sie uns anschauend zu erkennen gibt, auf einen wirklich geschehenen, oder doch als wirklich geschehen angenommenen Fall, weiter angewendet wird. „Ich mache," sprach ein höhnischer Reimer zu dem Dichter, in einem Jahre sieben Trauerspiele; aber du? In sieben Jahren Eins! Recht; nur Eins! verseßte der Dichter; aber eine Athalie!" Man mache dieses zur Anwen= dung der vorigen Fabel, und die Fabel wird zusammengefeßt; denn sie besteht nunmehr gleichsam aus zwei Fabeln, aus zwei einzelnen Fällen, in welchen beiden ich die Wahrheit eben desselben Lehrsaßes bestätiget finde. Diese Eintheilung aber kaum brauche ich es zu

1 Fabul. Aesop. 216. Edit. Hauptmannianae.

erinnern

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beruhet nicht auf einer wesentlichen Verschiedenheit der Fabeln selbst; sondern bloß auf der verschiedenen Bearbeitung derselben. Und aus dem Erempel schon hat man es ersehen, daß eben diese Fabel bald einfach, bald zusammengeseht seyn kann. Bei dem Phädrus ist die Fabel von dem kreißenden Berge eine einfache Fabel.

Hoc scriptum est tibi,

Qui magna cum minaris, extricas nihil.

Ein jeder, ohne Unterschied, der große und fürchterliche Anstalten einer Nichtswürdigkeit wegen macht; der sehr weit ausholt, um einen sehr kleinen Sprung zu thun; jeder Prahler, jeder vielversprechende Thor, von allen möglichen Arten, siehet hier sein Bild! Bei unserm Hagedorn aber wird eben dieselbe Fabel zu einer zusammengeseßten Fabel, indem er einen gebärenden schlechten Poeten zu dem besondern Gegenbilde des kreißenden Berges macht.

Ihr Götter rettet! Menschen flieht!
Ein schwangrer Berg beginnt zu kreißen,
Und wird jezt, eh man sichs versieht,

Mit Sand und Schollen um sich schmeißen 2c.

Suffenus schwißt und lärmt und schäumt;
Nichts kann den hohen Eifer zähmen;
Er stampft, er knirscht; warum? er reimt,
Und will jezt den Homer beschämen 2c.

Allein gebt Acht, was kommt heraus?
Hier ein Sonnet, dort eine Maus.

Diese Eintheilung also, von welcher die Lehrbücher der Dichtkunst ein tiefes Stillschweigen beobachten, ungeachtet ihres mannigfaltigen Nußens in der richtigern

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