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Mein liebster Freund!

Ich werde mein langes Stillschweigen nicht entschuldigen. Ich kann an die Ursachen davon nicht ohne Verdruß gedenken, und jeht ist die Stunde, da ich mich aller verdrießlichen Vorstellungen entschlagen will. Sie können dennoch unmöglich nachtbeilige Folgen daraus ziehen; denn Sie wissen, daß es meine liebste Beschäftigung ist, mich mit Ihnen zu unterhalten.

Ich hatte mein voriges Schreiben råthselhaft geschlossen, um mich in diesem deutlicher zu erklären. Ich hatte während Ihrer Abwesenheit allhier, in Ihrem freundschaftlichen Umgange eine Art von Zurückhaltung bemerkt, die mich eifersüchtig machte. Sie haben dfters eigennůßigen Bekannten mehr Dienfifertigkeit zugetrauet, als Ihren wahren Freunden. Wie hätten Sie sich sonst entschließen können, lieber M. N. verbunden zu seyn, als mir Gelegenheit zu geben, Ihnen zu dienen ? Ich schweige von dem Schaden, den Sie sich selbst verursacht haben. Sie hatten Ihre ganze Bibliothek bey mir wieder finden können, statt daß ich jest nicht mehr als einige spanische und holländische Bücher in Hånden habe. Doch genug hiervon! Ich erwarte auch hierauf keine Antwort von Ihnen, wohl aber das Versprechen, mich künftig Ihrer ganzen Freundschaft würdig zu achten.

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Hier sind Ihre Fabeln. Sie haben nicht alle meinen Beyfall. Jedoch sind folgende Stücke vollkommen Ihrer würdig: Aesopus und der Esel, der Rangstreit der Thiere, das Geschenk der Feyen, der Affe und der Fuchs, und vielleicht auch der Geist des Salomo. In der Fabel, Zevs und das Pferd, ist die Erdichtung schön, aber die Mo= ral gemein.

Auch Ihre überschickte Komödie habe ich gelesen. Es bleibt dabey, das Divertissement ist das Beste daraus.

Wie ist es aber? Haben Sie an allen meinen überschickten Sachen gar nichts auszusehen? Wissen Sie auch, daß es sehr årgerlich ist, wenn man in allen Stücken ohne Widerspruch Recht bekömmt? Ich soll immer fortfahren, so lange ich eine gesunde Hand habe. War dieses alles, was Sie zu erinnern hatten? Ich will es Ihnen beweisen, daß meine gesunde Hand mehr schreiben kann, als Sie jemals billigen werden. Ich habe das Naive dem Schwulßte entgegen gesetzt, und gesagt, es bestünde in Zeichen, die kleiner find, als die bezeichnete Sache. Vielleicht ist diese Erklärung nicht ganz unrichtig, aber definito latior scheint sie mir wirklich. Denn kommt nicht dieser Charakter auch dem Erhabnen zu? Nicht zwar dem Er

habnen im Ausdrucke, sondern dem Erhabnen in den Gedanken. Wenigstens ist mir keine andre Erklärung vom Erhabnen bekannt. Die Baumgartensche thut mir kein Genüge. Longin sagt: Cäcilius habe einen ganzen Traktat davon geschrieben: worinn das Erhabne und Große bestehe. Er aber wolle die Mittel zeigen, durch welche man groß und erhaben werden könnte. Er erklärt uns also nicht, was er unter erhaben verstehe, und Boileau, der diesen Mangel ersehen will, sagt auf gut französisch: es wåre cet extraordinaire et ce merveilleux, qui frappe dans le difcours, et qui fait qu'un ouvrage enleve, ravit, transporte. Sind wir nun nicht eben so klug als vorbin? Cuncta fupercilio moventis ist ein Ausdruck, der an Erha= benbeit unstreitig das fiat lux bey weitem übertrifft. Ein Phidias würde aus diesen drey Worten vielleicht eben so gut, als aus dem Homer, seine große Idee zum Jupiter haben hernehmen können. Allein nach meiner Definition würde dieser Ausdruck naiv seyn; kann dieses zugegeben werden? Es fehlt mir zwar an Ausflüchten nicht, meine Erklärung zu vertheidigen; allein ich möchte vorerst Ihre Meinung darüber vernehmen.

Ich habe noch einen Gedanken gehabt, den ich von Ihnen gerne beurtheilt wissen möchte. Die natürliche Verbindung unsrer Begriffe, vermöge welcher unsre Seele per legem imaginationis von einer Vorstellung auf die andre übergehet, hat den Virtuosen öfters gedient, ihre Gegenstände anschauender vorzustellen. Sie fügen zu einem jeden Hauptbegriffe jederzeit die ideas focias hinzu, die mit ihm in der Na= tur in Ansehung des Orts oder des Raums verbunden sind, oder die wir öfters mit ihm zugleich gehabt haben. Ich drücke mich ziemlich dunkel aus; ich glaube aber, Sie werden mich besser verstehen, als ich mich ausdrücke. Nun sind unsre Begriffe auch öfters als Wirkung und Ursache mit einander verknüpft, und die Seele schließt von der Ursache auf die Wirkung, oder umgekehrt. Die Virtuosen haben sich dieses Kunstgriffs bedient, den Begriff der Ursache durch die Vorstellung ihrer Wirkung zu bereichern und anschauender zu machen. So drücken sie die Leidenschaften der Seele durch ihre Wirkungen und Aeußerungen in Lönen, Bewegung und Geberden aus, und vervielfältigen dadurch gewissermaßen die vorzustellenden Begriffe, indem sie unsre Seele von jeder Wirkung auf das Daseyn der Ursache schließen lassen. Dieses vorausgeseßt, habe ich mich nach Erempeln umgesehen, da man in den schönen Künften auch umgekehrt die Wirkung durch die Ursache vorstellen oder beleben würde. Allein ich habe nicht ohne Verwunderung wahrgenommen, daß diese Beyspiele sehr selten sind.

Ein einziges erinnere ich mich im Dübos gelesen zu haben. Dieser erzählt, Lulli soll in einer gewissen Oper den Schlaf durch gewisse einförmige Töne sehr natürlich ausgedrückt haben, und bemerkt dabey, daß der Schlaf wirklich nicht so wohl durch eine völlige Stille, als durch Tône, die weder merklich steigen noch fallen, erregt werde. Die Erfahrung scheint auf seiner Seite zu stehen, ob ich gleich die physikalische Ursache davon noch nicht deutlich einsehe. Dem sey wie ihm wolle, so wäre dieses ein Beyspiel der Art, die ich suche. Indessen ist unser Herr Nikolai mit diesen Anmerkungen gar nicht zufrieden. Seine Gründe mag er Ihnen selber schreiben, und wenn wieder ein Sonntag kömmt, da Sie nicht in die Kirche gehen werden; so wenden Sie die Erbauungsstunde an, in dieser Materie einen Ausspruch zu thun. Ich muß jezt aufhören. Es ist halb 2 in der Nacht, und morgen früh um 6 Uhr muß ich Hrn. Nikolai in seinem Garten besuchen, wenn ich zu rechter Zeit wieder zu Hause seyn will. Ist das nicht lächerlich: ich bringe eine Nacht schlaflos zu, um Sie vielleicht durch einen langweiligen Brief desto sanfter einzuschläfern? Schlafen Sie wohl!

Berlin,

den 4. Aug. 1757.

Moses.

V. S. Ich kann Ihnen Ihre Fabeln diesmal nicht mitschicken. Herr Voß quålt mich darum, und Sie müssen ihm doch nothwendig darum geschrieben haben, sonst würde er es ja nicht wissen, daß ich fie habe.

Berlin, den 8. August 1757.

Liebster Freund,

Herr Dyk wird gestehen müssen, daß seine Autoren so ordentlich und genau sind, als Beaux-Efprits nur seyn können; denn er hat den Rest vom Manuscripte zu eben der Zeit erhalten, als Ihr leßter Brief hieher kam.

Für die Uebersendung des Briefes vom Prof. Gellert danke ich Ihnen. Ich werde ihm antworten, so bald ich ihm das zweyte Stück der Bibliothek zuschicken kann; und werde ihn bitten, uns seine Anmerkungen nicht vorzuenthalten.

Für die Ihrigen bin ich Ihnen unendlich verbunden. Die Recension des Messias, womit ich beynahe vier Wochen zugebracht habe, ist mir ungemein sauer geworden, und es gehet ihr daher, wie allen

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Dingen, die den Verfassern sauer geworden sind: fie findet keinen
Beyfall. Sie mögen in der That im Grunde Recht haben; sehen
Sie indeß, was ich zu meiner Vertheidigung vorbringen kann.

1) Ich habe von der Copenhagener Ausgabe des Messias nichts gewußt. Sie ist in keiner hiesigen Buchhandlung gewesen; also habe ich sie nicht gesehen, nur dunkel etwas von ihr gehöret, und sie allenfalls für nichts anders, als einen etwas prächtigen Abdruck gehalten. Hätte ich vermuthen können, daß so wichtige Vermehrungen und Verånderungen darin wåren, so würde ich meine Recension gewiß nach ihr gemacht haben. Ich bin sonderlich auf die Abhandlung von der geistlichen Epopee sehr begierig. Wissen. Sie was? Wie wäre es, wenn Sie einen Auszug daraus machten, und die Anmerkungen wider meine Recension, die Sie mir geschrieben haben, in Form eines Sendschreibens an die Verf. der Bibl. hinzu thåten? Wenn ich die Quart= ausgabe hier hätte, so wollte ich es selbst thun.

2) Ich habe den Messias nicht bey der Hand, um nachzusehen, was Sie von den poetischen Perioden sagen. Sie haben Recht; Klop= stocks Prosa ist männlich, und entfernt sich von dem pedantischen Tone unserer gewöhnlichen Prosaschreiber. Aber doch důnkt mich immer, daß sein Vortrag weder sehr ordentlich noch sehr angenehm ist. Ich meyne noch mehr den Vortrag oder die Ordnung der Gedanken selbst, als den eigentlichen Ausdruck.

3) Es gehet mir mit der Tradition von den Orakeln, wie dem Dolmetscher der persischen Gesandten in Hagedorns Fabel. Hat sie es nicht gesagt, daß die Orakel bey Christi Tode aufgehört haben, so hätte sie es sagen sollen. Wenigstens kann der Dichter wohl eine kleine Veränderung in der Tradition vornehmen, da er über die Geschichte selbst Freyheit hat.

4) Eiserne Wunden ist, wie Sie selbst sagen, ein wenig feltsam, und das ist es eben, was ich daran tadle. Hat Virgil gesagt: eiserner Schlaf; so hat er wieder nicht gesagt: eiserne Wunden, eifernes Schlachtfeld, eiserne Hände. Ich tadle überhaupt, daß der Dichter gewisse Lieblingswörter hat, womit er aber so zu sagen nur das Allgemeine des Begriffs ausdrücken kann, ohne die Nuancen zu bestim men. Alle Inbrunst schauert; alles Freudige lächelt; alles Harte ist eisern. Eben auf diese Art habe ich an Dusch getadelt, daß er alles was lauter ist, als etwas anderes, donnern läßt. Klopstock sollte nicht in einen Fehler fallen, in den Dusch fallen kann.

5) Sie sind mihi magnus Apollo; aber die Phyllis bekommen Sie nicht. Sie haben die zwey Verse ungezwungen erflårt, aber keine

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uatürliche Construction darin entdeckt; und hiervon war Phyllis der Preis. Es ist uns indeß lieb, daß wir diese zwey Verse nun verste= hen. Wir, Moses und ich, haben lange darüber gesonnen, sind aber nicht auf die natürlichste Erklärung gefallen. Ich konnte den Dichter also mit Recht beschuldigen, daß die Wortfügung verwirrt sey; denn eine versteckte Ordnung ist so gut, wie gar keine. Die natürlichste Construction, die wir herausbrachten, war folgende: Es flamm' Anbetung von den Sonnen zum Throne des Richters, (denn) der große, der Sabbath des Bundes, die Stunde ist gekommen. Wir mögen freylich unrecht haben, das kann seyn; aber wie konnten wir dem Dichter nonsense zutrauen? Der große, der Sabbath des Bundes soll anbeten, soll Anbetung flammen? Das heißt varias inducere plumas, welches unmöglich zu billigen ist.

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Die Verse auf den Herrn von Kleist verwerfen Sie doch wohl nicht wegen der ausgelassenen Worte

Veneremque et illi

Semper haerentem puerum.

Inzwischen halten Sie es damit, wie Sie wollen. Ich habe mir übrigens für die künftigen Bildnisse durch dieses Motto keine Last auflegen wollen. Aber wenn Ihr Bildniß vor das fünfte Stück kommt, so sollen Sie, wie Sie verlangen, eine Beyschrift haben. Sie könnte, sonderlich in Absicht auf Ihre gemachten und noch zu machenden Anmerkungen seyn:

Vir bonus atque prudens, verfus reprehendet inerteis,
Culpabit duros, incomtis allinet atrum

Transverfo calamo fignum.

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Denn so will ich, daß Sie mit den Schriften, die Sie von mir sehen, verfahren sollen. Noch eins! wollen Sie nicht des Herrn von Kleist Stand: Königl. Preuß. Major von der Infanterie, dabey setzen? Ihm geschieht gewiß damit ein Gefallen; denn seine Nebens officiere, vor deren Nachreden er sich fürchtet, könnten sonst leicht sa gen, daß er sich seines Soldatenstandes schẳme. - Ich dachte, er wåre in Magdeburg; und nun sehe ich aus den Zeitungen, daß er sich bey Welmina mit den Panduren herum geschlagen hat. Ich bin stets

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Halberstadt, den 8. August 1757.

Nur zwey Worte mit Ihnen, liebster Leffing, ohne Gedanken,

(bey der Brunnenkur soll ich nicht denken,)

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aber desto mehr mit

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