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stellt waren als die angelsächsischen Amerikaner, so zeigen diese Zahlen zugleich, daß die Unterschiede der sozialen Lage allein keineswegs die Unterschiede der Tuberkulosesterblichkeit erklären. Auch unter den ungünstigen Gesundheitsbedingungen polnischer Städte haben die Juden eine unterdurchschnittliche Tuberkulosesterblichkeit. In Krakau z. B. starben in den letzten Jahrzehnten im Verhältnis noch nicht halb so viele Juden als Nichtjuden an Tuberkulose, obwohl sie eher unter ungünstigeren Verhältnissen leben (nach Teleky1)). In Wien betrug in den Jahren 1901-1903 die Tuberkulosesterblichkeit

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In Budapest fand v. Körös y 2) die Tuberkulosesterblichkeit der Juden ebenfalls nur etwa halb so groß wie bei der übrigen Bevölkerung. In Tunis sollen in den Jahren 1894-1900 nach Tostivint und Remlinger3) gar folgende Unterschiede bestanden haben:

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Die ungezwungenste Erklärung der geringen Tuberkulosesterblichkeit der Juden scheint mir die zu sein, daß gerade die Juden infolge ihres städtischen Lebens schon seit vielen Jahrhunderten ganz besonders stark der Ansteckung mit Tuberkulose ausgesetzt gewesen sind und daß bei ihnen eben dadurch eine gewisse Immunität herausgezüchtet worden ist.

Wenn man die Tuberkulosesterblichkeit der verschiedenen Länder Europas vergleicht, so zeigt sich, daß die Länder mit stärkerem mongoliden Einschlag im allgemeinen auch eine höhere Tuberkulosesterblichkeit als die mit vorwiegend nordischer und

1) Teleky, L. Vorlesungen über soziale Medizin. Jena 1914. 2) v. Körösy, J. Die Sterblichkeit der Stadt Budapest 1896-1900. Berlin und Budapest 1904.

') Tostivint u. Remlinger. Note sur la rareté de la Tuberculose chez les Israélites Tunésiens. Revue d'hygiène. 1900.

mediterraner Rasse haben. Stark von Tuberkulose heimgesucht sind Polen, Rumänien, die Balkanländer, Rußland, Finnland und Österreich, viel weniger dagegen England, Dänemark, Island, Holland, Norddeutschland, Spanien, Süditalien. Sehr lehrreich ist eine Karte, welche Lundborg1) gibt. Freilich sprechen dabei sicher die wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse wesentlich mit, aber andererseits hängen diese wieder eng mit den Rassenanlagen zusammen, wie im ersten Teile gezeigt wurde. Auf jeden Fall aber hat die Tuberkulose auch wesentlichen Einfluß auf die Verschiebung der großen Rassen. Die Indianerbevölkerung Nordamerikas ist bei der Berührung mit den Europäern z. B. nicht so sehr durch Waffengewalt als durch Tuberkulose und Pocken zusammengeschmolzen, die in kurzer Zeit viele Millionen dahinrafften. Die Feuerländer sind an der Tuberkulose geradezu ausgestorben.

Sehr merkwürdig ist es, daß Beziehungen zwischen der Tuberkuloseempfänglichkeit und der Pigmentierung zu bestehen scheinen. Schon Beddoe2) fiel es auf, daß in England blonde Menschen seltener der Lungenschwindsucht verfallen als braune. Lundborg fand in Schweden etwa doppelt so viele Braunäugige unter Tuberkulösen als in der Gesamtbevölkerung. Moro und Kolb3) stellten fest, daß deutsche Kinder, welche zu Hautentzündungen neigen, einerseits meist zarte weiße Haut, lichtblondes Haar und hellblaue Augen haben, und daß andererseits sich bei solchen Individuen später nur sehr selten Lungenschwindsucht entwickelt. Man muß wohl daran denken, daß die starke Abwehrbereitschaft, welche sich bei Kindern in der Neigung zu Hautentzündungen äußert, auch bei der Abwehr der Tuberkulose erfolgreich mitwirken könne. Weiter kommt m. E. in Betracht, daß bei hellhäutigen Menschen die Sonnenstrahlen, welche ja einen so wohltuenden vorbeugenden und heilenden Einfluß gegenüber der Tuberkulose ausüben, stärker zur Wirkung kommen. Wenn das aber der Fall ist, so muß man allen Ernstes daran denken, daß die Tuberkulose mit dazu beigetragen haben könne, im sonnenarmen Nordeuropa den blonden, hellhäutigen Typus herauszuzüchten, während im Süden, wo die hellhäutigen Menschen gegen Malaria anfälliger als die dunklen sind, umgekehrte Auslesevorgänge stattfanden.

Es ist wohl geltend gemacht worden, daß die günstige Auslesewirkung der Tuberkulose durch Schädigung der Erb

1) Hereditas. Bd. I. S. 161.

2) Beddoe. The races of Britain. London 1885.

3) Moro, E. u. Kolb, L. Über das Schicksal von Ekzemkindern. Monatsschr. f. Kinderheilkunde 1910. Bd. IX.

masse infolge der Krankheit mehr als ausgeglichen werde und daß daher die Gesamtwirkung der Tuberkulose auf die Rasse doch unbedingt ungünstig sei. Eine idiokinetische Wirkung der Tuberkulose ist zwar denkbar; nachgewiesen ist aber nichts davon. Jedenfalls dürfen wir damit nicht als mit einer gegebenen Tatsache rechnen. Die Auslesewirkung der Tuberkulose aber liegt auf der Hand. Der bekannte Sozialhygieniker Grotjahn1) sagt sogar: „Erst wenn wir den Lungenkranken die Möglichkeit abschneiden, ihre körperliche Minderwertigkeit auf dem Wege der Vererbung weiterzugeben, dürfen wir ihnen die Maßnahmen ärztlicher, pfleglicher, sozialhygienischer und wirtschaftlicher Art angedeihen lassen, ohne fürchten zu müssen, damit der Gesamtheit mehr Schaden als Nutzen zuzufügen." Selbstverständlich darf das Interesse der Rasse nicht etwa dadurch gewahrt werden, daß man die Tuberkulose weiter wüten läßt. Der Rassenhygieniker bekämpft ja die krankhaften Erbanlagen nur darum, weil sie die damit behafteten Menschen krank machen. Es wäre also widersinnig, wenn man dauernd zahlreiche Menschen wollte dahinsiechen lassen, nur damit die Erbanlagen der Bevölkerung verbessert würden.

e) Die Auslese durch Syphilis und Gonorrhoe.

Einer besonderen Betrachtung bedürfen die sogenannten Geschlechtskrankheiten, die Syphilis und die Gonorrhoe (der Tripper). Über die ungeheure Verbreitung dieser Krankheiten haben wir eigentlich erst in den letzten Jahren ein einigermaßen zuverlässiges Bild gewonnen. Auf Grund einer Rundfrage, welche i. J. 1913 vom Verbande der deutschen Städtestatistiker bei den Ärzten der Großstädte angestellt wurde und welche in Hamburg unter allen 800 Ärzten nur von zweien nicht beantwortet wurde, läßt sich berechnen, daß etwa 40% aller Männer, welche in Hamburg das 50. Lebensjahr erreichen, wegen Syphilis ärztlich behandelt werden. Dabei sind die, welche sich von Kurpfuschern behandeln ließen, und die, welche ganz unbehandelt blieben, noch nicht einmal erfaßt. In anderen Großstädten konnte die Erhebung nicht mit gleicher Vollständigkeit durchgeführt werden, doch ergab sich im ganzen ein ähnliches 1) Grotjahn 1. c. (vgl. S. 28). Baur-Fischer-Lenz, Erblichkeitslehre II. 2. Aufl.

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Bild. I. J. 1919 ist eine ähnliche Rundfrage vom Reichsgesundheitsamt angestellt worden. Die Ergebnisse sind von Seutemann1) für Hannover, wo alle Ärzte bis auf einen Facharzt für Geschlechtskrankheiten geantwortet hatten, in einer sehr dankenswerten Arbeit veröffentlicht worden. Es ergab sich, daß so wie die Verhältnisse im Herbst 1919 in Hannover lagen, dort etwa 35% aller Männer und 22% aller Frauen bis zum 50. Lebensjahr an Syphilis erkranken. Das Ergebnis entspricht durchaus dem, was man nach der Berechnung in Hamburg erwarten konnte. Noch schlimmer scheinen die Dinge in Berlin zu liegen. Dort litten 4,2% aller Männer, die in den Jahren 1905-1914 im Alter von mehr als 30 Jahren starben, an jener syphilitischen Zerstörung des Gehirns, die man Paralyse nennt. Da wir Grund zu der Annahme haben, daß etwa 7% aller Syphilitiker der Paralyse verfallen, so würde das bedeuten, daß etwa 60% aller Männer in Berlin sich mit Syphilis infizieren. In den kleinen Städten und auf dem Lande ist die Verseuchung natürlich geringer. Für das ganze Reich wird man die Syphilishäufigkeit wohl auf 10% schätzen dürfen. Im weiblichen Geschlecht ist die Häufigkeit der Syphilis weniger groß; von den weiblichen Mitgliedern der Berliner Gewerkschaftskrankenkasse wurden nur etwa 2/3 so viele wegen Syphilis behandelt als von den männlichen. Insgesamt werden in Deutschland vielleicht nur halb so viele weibliche als männliche Personen syphilitisch sein.

Die Gonorrhoe ist nach den Erfahrungen der Ärzte und den Aufzeichnungen der Krankenkassen mehrfach so häufig als die Syphilis. Die meisten Männer in der Großstadt machen also mehrmals Gonorrhoe durch. Ein gewisser Bruchteil auch der großstädtischen Männer, der überhaupt den außerehelichen Geschlechtsverkehr vermeidet, bleibt selbstverständlich auch von Gonorrhoe frei. Insgesamt dürften im Reichsdurchschnitt vielleicht 40-50% aller Männer während ihres Lebens mindestens einmal an Gonorrhoe erkranken und vielleicht 20-25% aller Frauen.

Eine starke Ausbreitung der Geschlechtskrankheiten hat die Revolution in Deutschland mit sich gebracht. Aus den

1) Seutemann, K. Die Geschlechtskrankheiten in der Stadt Hannover Ende 1919. Archiv für Soziale Hygiene 1921. H. 3.

Zahlen von Seutemann geht hervor, daß in Hannover im Herbst 1919 frische Syphilis im männlichen Geschlecht etwa um 50% häufiger war als im Herbst 1913, im weiblichen Geschlecht sogar gegen 230% häufiger.

In den letzten Jahrzehnten gingen ungefähr 10% aller Syphilitiker an Zerstörung des Zentralnervensystems (hauptsächlich Paralyse und Tabes) zugrunde und über 20% an Zerstörung der Hauptschlagader (Aorta). Da außerdem die Syphilis auch noch in mannigfacher anderer Art als Todesursache auftritt, erlagen in den letzten Jahrzehnten schließlich über 30% aller Syphilitiker ihrer Krankheit. In Großstädten wie Berlin und Hamburg sterben also wohl reichlich 15% aller Männer an Syphilis; und im ganzen Reich dürften jährlich gegen 50 000 Männer im Grunde an Syphilis zugrundegehen.

Die Auslesewirkung der Syphilis kommt nur zum kleinen Teil durch die Verkürzung der Lebensdauer, welche im Durchschnitt schätzungsweise immerhin 6-8 Jahre betragen dürfte, zustande. Stärker fällt der Umstand ins Gewicht, daß die Syphilis in der Regel mindestens einen Aufschub der EheschlieBung um mehrere Jahre bedingt und daß viele Syphilitiker ganz ehelos bleiben. Wenn die Syphilis in die Ehe eingeschleppt wird, so endet eine Schwangerschaft sehr oft mit Fehlgeburt; in anderen Fällen werden syphilitisch infizierte Kinder geboren; nach Löser1) sind gegen 4% aller Neugeborenen syphilitisch, was für das Reich jährlich gegen 70 000 syphilitische Kinder machen würde. Die meisten der syphilitischen Kinder sterben in den ersten Lebensjahren; andererseits kommen aber auch viele Fälle vor, wo die Kinder ehemaliger Syphilitiker keinerlei krankhafte Zeichen aufweisen. Wenn die Syphilis in den ersten Wochen nach der Ansteckung sachgemäß behandelt wird, so kann sie heute zwar mit ziemlicher Sicherheit geheilt werden. Bisher ließ sich aber nur ein kleiner Teil der Syphilitiker ausreichend behandeln. Insgesamt darf man jedenfalls annehmen, daß die Nachkommenschaft der Syphilitiker im Durchschnitt quantitativ nicht zur Erhaltung der Familie ausreicht. Junius

1) Löser. Syphilis und Schwangerschaft. Zentralbl. f. Gynäkologie 1920. Nr. 44.

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