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Druck alemannischen gegen fränkisches Wesen die weite Spannung, zugleich aber auch die größte Freiheit gibt. Slawisches, das mir erwünscht wäre, ja nach dem ich, um mir selber mein eingeborenes unendliches Verlangen nach der Patriarchenluft des reinen Ostens erklären zu können, sehnsüchtig suchte, hab ich im Vorleben meines Stammes ebensowenig finden können als Jüdisches, dessen auch ich zuweilen, wenn man sonst schon gar nichts mehr gegen mich vorzubringen wußte, verdächtigt worden bin ich würde mich keineswegs schämen, kann aber leider damit nicht aufwarten.

Am 19. Juli 1863 bin ich geboren. Ich hatte mich schon vierundzwanzig Stunden vorher ungestüm angekündigt, schien mir es aber darauf doch noch wieder zu überlegen, so daß ich dann eigentlich fast unerwartet erschien. Es war ein Sonntag, und bei dem wunderschönen Wetter nachmittags alles ausgeflogen, auch der Arzt, der für diesen Tag gar nicht mehr auf mich gefaßt war: mein Vater hat mir oft erzählt, ich hätte so schon gleich beim Eintritt in die Welt die Neigung gezeigt, meinen Mitmenschen einen Streich zu spielen.

Ich spielte meinen ersten Streich im Zeichen des Sagittarius, Gebieter war Jupiter, Hyleg der Mond, worin Sterndeuter eine ganz deutliche sichere zuverlässige Bestimmung zum Rechten, Heiteren, ja Großen vorgezeichnet finden wollen, die nur aber, durch das Spiel des Mondes, immer wieder fragwürdig oder doch verschleiert und gewissermaßen nebelhaft werde. Auch Astrologen aber bekennen ja selbst: Sidera inclinant, non imperant. Und so war's nun an mir, die Neigung meiner Sterne beherrschen zu lernen.

III

,,Denn wißt, es gibt nichts, das höher, stärker, gesünder und nützlicher für das Leben wäre als eine gute Erinnerung aus der Kindheit, aus dem Elternhause....

Wenn der Mensch viele solche Erinnerungen aus der Jugend hat, ist er fürs ganze Leben gerettet." Dieser Worte Dostojewskis bin ich ein leibhafter Beweis: vor dem mir zeitlebens oft genug drohenden Untergang hat mich in den gefährlichsten Augenblicken immer wieder Erinnerung ans Elternhaus bewahrt. Wenn sie mich, noch so leise, mahnend ergriff, gleich war ich wieder geborgen.

Sobald ich erschienen war, gaben die Eltern ihr eigenes Leben auf: es hatte für sie fortan nur noch den einen Sinn, meinem zu dienen. Dies war ihnen selbstverständlich, darin stimmten Vater und Mutter überein. Wie sie denn eigentlich in allen Dingen, ohne sich erst verständigen oder auch nur einander erst fragen zu müssen, übereinstimmten, nur in den Grundzügen ihres Wesens nicht: ich habe niemals wieder zwei so durchaus an Geist und Gemüt einander widersprechende, schon der ganzen inneren Anlage nach unverträgliche, grundverschiedene Menschen in solcher ungetrübter Eintracht gesehen wie meinen lieben, gütigen, frauenhaft milden Vater und meine männlich starke, männlich stolze, männlich starre Mutter. Wenn der Notar Dr. Alois Bahr, bald auch Gemeinderat, Landtagsabgeordneter, ja Landesausschuß- und Landesschulrat gar, Turner, Festredner, Gelegenheitsdichter, Führer der Libcralen, ein hochgewachsener bärtiger schöner Mann, von jedermann gegrüßt, allgemein beliebt, ja verehrt, erhobenen Hauptes, zierlichen Gangs, freundlich selbstbewußt aufrecht, mit der fast um einen Kopf kleineren, rundlichen, mühsam Schritt haltenden und wie man bei uns zu sagen pflegt: zeppelnden, immer schon leise gebeugten, in seinem Arm hängenden, zärtlich stolz emporblickenden unscheinbaren Frau durch die Stadt schritt, hätte man ihnen freilich nicht angesehen, daß dies alles aber eigentlich umgekehrt war. Doch Bürger, gar Kleinstädter, haben gute Nasen: sie vertrauten dem Vater

gern, sie witterten, daß er ihnen im Grunde doch innerlich irgendwie verwandt war, während ihnen meine Mutter immer ganz fremd blieb, verdächtig, ja fast unheimlich, als wenn es mit ihr,,nicht ganz richtig" wäre; sie hat es ihnen still bei sich mit Haß und Hohn ehrlich vergolten.

Mein Vater war in seiner Art ein vollendeter Mensch, in der mittleren Art des gebildeten Bürgertums; meine Mutter war ein mißlungenes oder doch irgenwie gehemmtes, verkümmertes, irgend einmal stecken gebliebenes Exemplar der höchsten Menschenart: ein Genie, von der bureaukratischen Umgebung ihrer Jugend plattgedrückt. Er, von einer inneren Freiheit, Anmut und Würde, wie sie mir kein zweites Mal an einem Spießbürger erschienen, immer von vornherein geneigt, lieber sich selber Unrecht zu geben als anderen, immer erst ganz zuletzt, wenn überhaupt, an sich denkend, ein wohlwollend geborener Mann, der sein ganzes Leben immer nur Opfer gebracht hat und höchst erstaunt, ja beschämt gewesen wäre, wenn ihm jemand dafür gedankt hätte, was sich übrigens auch niemand einfallen ließ, heiter, für alles empfänglich, selig, wenn er nur an schönen Sommerabenden, abgehetzt von der Hast der Tagesarbeit, geschwind noch auf den Freinberg rennen konnte, um vor dem Jesuitenkloster dort bei Sonnenuntergang die fernen Berge verblassen zu sehen, dankbar für alles, für ein Gedicht Platens oder Geibels wie für jeden harmlosen Scherz oder wenn man ihm auch nur an langen Winterabenden von dem alten Burgtheater, seiner schönsten Erinnerung, erzählen zuhörte. Kränkungen nicht bemerkend, Unrecht gern verzeihend, weil er es sich immer als Mißverständnis auslegte, unerschütterlich in seinem Glauben an eine dem Menschenherzen angeborene Güte, die nur zuweilen irrt, weil es ihr, um sich selber recht zu verstehen, bisher noch an der rechten Ausbildung und Einübung des Verstandes

gefehlt hätte, voll innigen Vertrauens auf die lenkende Macht über den Sternen und daß ihre große, gütig gebietende, beglückende Stimme zu jedem von uns aus seinem Gewissen spricht, und so des Rechten immer still bei sich ganz unmittelbar gewiß, immer im Grunde heiter beruhigt, freudig arbeitsam, unverzagt auch in Leiden, demütig auch in Freuden, immer dankbar, jeden Tag von neuem dankbar und darum, so wenig ihm, dem sein Leben lang ans Rad der Arbeit geflochtenen, das Schicksal eigentlich jemals Anlaß dazu gab, einer der glücklichsten Menschen, die mir je begegnet sind. Aber an seiner Seite nun sie, jahrelang vergebens umworben, ihn bald kokett anlockend, bald höhnisch abstoßend, endlich doch heimgeführt, errungen, nie ganz bezwungen, seiner überlegenen Bildung spottend im Bewußtsein ihrer inneren Übermacht, ihres gewaltigen Verstandes, ihres durchdringenden Blicks für menschliche Schwächen, dabei nun aber auch noch eine so ganz aus Scham gewobene Frau, daß ihr die bloße Nähe von Menschen körperlich widerwärtig, ja die Berührung einer Hand schon unerträglich war, unerträglich aber gar ihr eigenes Bedürfnis nach Zärtlichkeit, ihr eigener insgeheim so heiß empfundener Wunsch, einmal wen lieb zu haben, ihre Gier, sich hinzugeben, die sie, als wäre sie dadurch befleckt, ja geschändet, mit der gegen sich selbst wie gegen andere gleich unerbittlichen Entschlossenheit ihres ganz stillen, unter allerhand Ausgelassenheit, Spott und Übermut maskierten Willens niederrang, kleine Brünhilde der schlesischen Statthalterei, lebenslang unerlöst geblieben, ja durch ihres geliebten Gatten ahnungslose, still verklärte, gütige Heiterkeit insgeheim oft fast bis zur Raserei gereizt. Ich vermute, daß ich der einzige Mensch bin, der jemals ahnte, was, diese von tragischer Liebesleidenschaft und einer dämonischen Liebesohnmacht gepeinigte Frau, die sich in einemfort über die ganze Welt lustig machte, deren

entsetzliche Herzensnot sich in einem unauslöschlichen Feuerwerk alles verspottender Neckereien entlud, an ihrem Unvermögen, zärtlich zu sein, gelitten haben muß. Ich ahnte das, weil ich's von ihr erbte. Sie wußte, daß ich's ahnte. Darum hat sie keins ihrer Kinder so sehnsüchtig gemieden, keins inniger mißhandelt als mich. Wir haben einander mit erfinderischem Hasse geliebt und hätten uns eher die Zunge durchbissen, als uns ein gutes Wort zu geben; es war aber auch wirklich nicht nötig, wir blieben so verwachsen, als wäre sie nie ganz von mir entbunden worden. Auch hielt uns noch ein unausgesprochenes Geheimnis zusammen: wir beide ganz allein wußten von unserer Art, wenn uns zum Weinen war, einen schlechten Witz zu machen, über den alle lachen mußten. Kindern mit lieb kuschelnden Mamas gönn ich's, doch ich beneide sie nicht. Ich war zu sehr der Sohn meiner Mutter, um mich herzen zu lassen. Und das Geschenk der tiefen inneren Einsamkeit, das mich bis auf den heutigen Tag vor den Menschen verwahrt hält, will ich ihr nie vergessen. Ein einziges Wesen fand ich auf meinem Wege, das mich aufschloß; und da hat es sich verlohnt. Mit den anderen aber will ich mir hoffentlich auch weiter meine Späße machen, noch eine Zeitlang.

Daß ich unter der Härte meiner Mutter, die das ungestillte Verlangen nach einer überwältigenden Empfindung in grimmiger Ironie verbarg, daß ich als Kind da nicht zusammenbrach, verdank ich meinem Vater. Er war ein so rührender Mensch, daß man in seiner lieben Nähe gleich immer von neuem Zutrauen zum Leben gewann. Im bloßen Blick seiner guten Augen, die, wie kurzsichtige gern, etwas hilflos Suchendes, Bittendes hatten, lag so viel beruhigende Kraft, daß, wenn er dann noch, die Worte sorgfältig wägend und messend, in einem linzerisch gemilderten Hochdeutsch mir ins Gewissen zu reden begann, vor dem Wohlgefühl, das

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