Der wilde Jäger. *) Vom Strahl der Sonntagsfrühe war Rischrasch! quer über'n Kreuzweg ging's, Wer waren Reiter links und rechts? „Willkommen hier zu rechter Frist! „Schlecht stimmet deines Hornes Klang," Sprach der zur Rechten, sanften Muts, „Zu Feierglod' und Chorgesang. Kehr' um! Erjagst dir heut' nichts Gut's. Laß dich den guten Engel warnen Und nicht vom Bösen dich umgarnen!" { "Jagt zu, jagt zu, mein edler Herr!" Fiel rasch der linke Reiter d'rein, " Was Glockenklang? Was Chorgeplärr? Die Jagdlust mag euch baß erfreu'n! Laßt mich, was fürstlich ist, euch lehren Und euch von jenem nicht bethören!“ Gude I, 127 ff. ,,Ha! Wohlgesprochen linker Mann! Du bist ein Held nach meinem Sinn. Wer nicht des Weidwerks pflegen kann, Der scher' ans Paternoster hin! Mag's, frommer Narr, dich baß verdrießen, So will ich meine Lust doch büßen!" Und hurre, hurre, vorwärts ging's, Feld ein und aus, Berg ab und an. Stets ritten Reiter rechts und links Zu beiden Seiten neben an. Auf sprang ein weißer Hirsch von ferne Mit sechzehnzacigem Gehörne. Und lauter stieß der Graf ins Horn, Und rascher flog's zu Fuß und Roß; Und sieh'! bald hinten und bald vorn Stürzt einer tot dahin vom Troß. ,,Laß stürzen! Laß zur Hölle stürzen! Das darf nicht Fürstenlust verwürzen!" Das Wild duckt sich ins Aehrenfeld Und hofft da sichern Aufenthalt. Sieh' da! Ein armer Landmann stellt Sich dar in kläglicher Gestalt. „Erbarmen, lieber Herr, Erbarmen! Verschont den sauren Schweiß des Armen!" Der rechte Ritter sprengt heran Und warnt den Grafen sanft und gut; Doch baß hezt ihn der linke Mann Zu schadenfrohem Frevelmut. Der Graf verschmäht des Rechten Warnen Und läßt vom Linken sich umgarnen. ,,Hinweg, du Hund!" schnaubt fürchterlich Der Graf den armen Pflüger an; „Sonst heb' ich selbst, beim Teufel! dich. Hallo! Gesellen, drauf und dran! Zum Zeichen, daß ich wahr geschworen, Knallt ihm die Peitschen um die Ohren!" Gesagt, gethan! der Wildgraf schwang Sich übern Hagen rasch voran Und hinterher, bei Knall und Klang, Der Troß mit Hund und Roß und Mann. Und Hund und Mann und Roß zerstampfte Die Halmen, daß der Acker dampfte. Lüben und Nade II, 183 ff. Pröhle, S. 124. Leimbach 1, 47 ff. Friedrich Otto, Anleitung zur Behandlung des Lesebuchs, Erfurt und Leipzig 1857, Göinger I, 264 ff. S. 236 ff. Aus deutschen Lesebüchern III, 407. Vom nahen Lärm emporgescheucht, Feldein und aus, bergab und an Gesprengt, verfolgt, doch unerreicht Ereilt das Wild des Angers Plan Und mischt sich da, verschont zu werden, Schlau mitten zwischen zahme Herden. Doch hin und her, durch Flur und Wald, „Erbarmen, Herr, Erbarmen! Laßt Der rechte Ritter sprengt heran ,,Verweg'ner Hund, der du mir wehrst! So sollt' es baß mein Herz ergößen, Hallo! Gesellen, drauf und dran! Dem Mordgewühl entrafft sich kaum Risch ohne Rast mit Peitschenknall, Und Kliff und Klaff und Hörnerschall „Laß ab, laß ab von dieser Spur! Entweihe Gottes Freistatt nicht! Zum Himmel ächzt die Kreatur Und heischt von Gott dein Strafgericht. Zum leztenmale laß dich warnen, Sonst wird Verderben dich umgarnen!" Der Rechte sprengt besorgt heran Und warnt den Grafen sanft und gut, Doch baß hezt ihn der linke Mann Zu schadenfrohem Frevelmut, Und wehe, tros des Rechten Warnen Läßt er vom Linken sich umgarnen. " Verderben hin, Verderben her! Das", ruft er, macht mir wenig Graus. Er schwingt die Peitsche, stößt ins Horn; Erschrocken blickt der Graf umher; Er stößt ins Horn, es tönet nicht; Er ruft und hört sich selbst nicht mehr, Der Schwung der Peitsche sauset nicht; Er spornt sein Roß in beide Seiten Und kann nicht vor-, nicht rückwärts reiten. Drauf wird es düster um ihn her Und immer düstrer, wie ein Grab. Dumpf rauscht es, wie ein fernes Meer. Hoch über seinem Haupt herab Ruft furchtbar mit Gewittergrimme Dies Urteil eine Donnerstimme: ,,Du Wütrich, teuflischer Natur, Frech gegen Gott und Mensch und Tier! Das Ach und Weh der Kreatur Und deine Missethat an ihr Hat laut dich vor Gericht gefodert, Wo hoch der Rache Fackel lodert. Fleuch, Unhold, fleuch, und werde jezt, Von nun an bis in Ewigkeit, Von Höll' und Teufel selbst geheht! Zum Schreck der Fürsten jeder Zeit, Die, um verruchter Lust zu frohnen, Nicht Schöpfer, noch Geschöpf verschonen!" Ein schwefelgelber Wetterschein Das Grausen weht, das Wetter saust, Es flimmt und flammt rund um ihn her Der Kaiser und Nur schade! sein Schäfer war klüger als er. Oft schlief er bepanzert im Kriegesgezelte; Und öfter noch litt er gar Hunger und Durst. Das Pfäfflein, das wußte sich besser zu hegen D'rob suchte der Kaiser am Pfäfflein oft Einst ritt er mit reisigem Kriegesgeschwader Stunde!" Und grüßte das Pfäfflein mit höhnischem *) Göinger I 237 ff. Aus deutschen Lesebüchern III, 492. Er rafft sich auf durch Wald und Feld Im Nacken bleibt sein Antlig stehn; Das ist des wilden Heeres Jagd, der Abt. *) 1784. ,,Knecht Gottes, wie geht's dir? Mir deucht Doch deucht mir daneben, euch plage viel Weile. Man rühmt, ihr wäret der pfiffigste Mann, So geb' ich denn euern zwei tüchtigen Backen Zum ersten: Wann hoch ich, im fürstlichen Rate, Zu Throne mich zeige im Kaiser-Ornate, Zum zweiten sollt ihr mir berechnen und und keine Minute zu wenig und viel! Lüben und Nade II, 172 ff. - Pröhle, S. 115. Leimbach I, 34 ff. — Zum dritten noch sollst du, o Preis der Aufs Härchen mir meine Gedanken erraten. sein. Und könnt ihr mir die drei Fragen nicht So seid ihr die längste Zeit Abt hier gewesen; D'rauf trabte der Kaiser mit Lachen von hinnen; Das Pfäfflein zerriß und zerspliß sich mit Sinnen. Kein armer Verbrecher fühlt mehr Schwulität, Er schichte nach ein, zwei, drei, vier Er fragte nach ein, zwei, drei, vier Fakultäten, Schnell wuchsen bei herzlichem Zagen und Pochen Die Stunden zu Tagen, die Tage zu Wochen, Die Wochen zu Monden; schon kam der Termin! Ihm ward's vor den Augen bald gelb und bald grün. Nun sucht' er, ein bleicher, hohlwangiger Werther, In Wäldern und Feldern die einsamsten Derter; Da traf ihn auf selten betret'ner Bahn Hans Bendir, sein Schäfer, am Felsenhang an. „Herr Abt“, sprach Hans Bendix, „was mögt ihr euch grämen? Ihr schwindet ja wahrlich dahin wie ein Schemen. Maria und Joseph! Wie hohelt ihr ein! Mein Sirchen! es muß euch was angethan sein." Ach, guter Hans Bendir: so muß sich's wohl schicken, Der Kaiser will gern mir am Zeuge was flicken Und hat mir drei Nüsse auf die Zähne gepackt, Die schwerlich Beelzebub selber wohl knackt. Zum ersten: Wann hoch er, im fürstlichen Zu Throne sich zeiget im Kaiser-Ornate, Zum zweiten soll ich ihm berechnen und Wie bald er zu Rosse die Welt mag umjagen, Zum dritten, ich ärmster von allen Prälaten, Soll ich ihm gar seine Gedanken erraten; Die will er mir treulich bekennen; allein Es soll auch kein Titelchen Wahres d'ran sein. und kann ich ihm diese drei Fragen nicht lösen, So bin ich die längste Zeit Abt hier gewesen; So läßt er mich führen zu Efel durchs Land, Verkehrt, statt des Zaumes den Schwanz in der Hand." ,,Nichts weiter?" erwidert Hans Bendix mit Lachen; Herr, gebt euch zufrieden! das will ich schon machen. Nur borgt mir eu'r Käppchen, eu'r Kreuzchen und Kleid, So will ich schon geben den rechten Bescheid. Versteh' ich gleich nichts von lateinischen So weiß ich den Hund doch vom Ofen zu locken. Da sprang wie ein Böcklein der Abt mit Mit Käppchen und Kreuzchen, mit Mantel und Kragen Ward stattlich Hans Bendir zum Abte geschmückt Und hurtig zum Kaiser nach Hofe geschickt. Hier thronte der Kaiser im fürstlichen Rate, Hoch prangt' er mit Scepter und Kron' im Ornate. Herr Abt, als ein treuer Wardein, „Nun sagt mir, Wie viel ich ist Für dreißig Reichsgulden ward Christus verschachert; D'rum gäb' ich, so sehr ihr auch pochet Für euch keinen Deut mehr als zwanzig "Hum!" sagte der Kaiser, der Grund Nie hätt' ich, bei meiner hochfürstlichen Ehr', Nun aber sollst du mir berechnen und sagen, „Herr, wenn mit der Sonn' ihr früh sattelt Und stets sie in einerlei Tempo begleitet, So seg' ich mein Kreuz und mein Käppchen daran, In zweimal zwölf Stunden ist alles gethan!" „Ha," lachte der Kaiser, „vortrefflicher Ihr füttert die Pferde mit Wenn und mit Der Mann, der das Wenn und das Aber "Ihr denket, ich sei der Abt von Sankt Gallen?" Ganz recht! und das kann von der Wahrheit nicht fallen." Sein Diener, Herr Kaiser! Euch trüget eu'r Sinn: Denn wißt, daß ich Bendir, sein Schäfer, nur bin!" Was Henker! du bist nicht der Abt von Rief hurtig, als wär' er vom Himmel ge- Der Kaiser mit frohem Erstaunen darein; Ich will dich belehnen mit Ring und mit Denn wenn man will ernten, so muß man ,,Mit Gunsten, Herr Kaiser! das laßt nur hübsch bleiben! Ich kann ja nicht lesen, noch rechnen und schreiben; Auch weiß ich kein sterbendes Wörtchen Latein, Was Hänschen versäumt, holt Hans nicht mehr ein." ,,Ach, guter Hans Bendir, das ist ja Erbitte demnach dir ein' andere Gnade! „Herr Kaiser, groß hab' ich soeben nichts So will ich mir bitten zum ehrlichen Lohn Für meinen hochwürdigen Herren Pardon." „Ha Bravo! Du trägst, wie ich merke, Gefelle, Das Herz wie den Kopf auf der richtigsten Stelle; D'rum sei der Pardon ihm in Gnaden gewährt Und obendrein dir ein Panisbrief beschert. Wir lassen dem Abt von Sankt Gallen entbieten: Hans Bendir soll ihm nicht die Schafe mehr hüten; Der Abt soll sein pflegen nach unserm Gebot Umsonst bis an seinen fanftseligen Tod." |