(Geschichte der deutschen National-Litteratur § 66 Anm.)
Als einst in froher Runde,
Da ihn des Weines süßer Rausch umfing, Der zweite Sohn mit allzukeckem Munde An Katharinens Namen sich verging:
Da schnell ein Ohr fand des Verräters Klage, Schwerer, denn Blutschuld, wog das leichte Wort, und tief im Bergwerk, fern vom holden Tage, In Ketten ist sein müder Leib verdorrt.
Noch einer blieb, der jüngste, Sohn der Schmerzen, Mit blauem Aug' und schwarz geloctem Haar, Ein süßes Kind, das ihrem Mutterherzen Wermut zugleich und linder Balsam war. Man hat sie oft noch mitternachts gesehen, Wie sie emporsprang bei der Lampe Schein, In ihres Kindes Angesicht zu spähen, Und dann vor seinem Lager schlief sie ein.
Er wuchs heran: sein Auge, morgenhelle, Flog stolz und fröhlich in der Welt herum; Kein andrer trieb, wie er, das Roß so schnelle, Kein andrer schwang die Lanze so, wie er. Und sang er nachts ein Liedchen vor den Zelten, Da schwieg das Volk und horchte voller Lust Und nicht' ihm zu, und mancher Dirne schwellten Sehnsücht'ge Seufzer die bewegte Brust.
Da plöglich kam, gewaltsam Recht zu sprechen Für jedes Unrecht, das der Russe that, Pugatschew kam: sein heil'ges Amt war Rächen, Ein Schwert sein Scepter, blutgetränkt sein Pfad. Und Kampfgeschrei und Freiheitruf durchschwirrte Die grüne Steppe, sausend wie ein Pfeil, Und jede Kette, die zu Boden klirrte, Ward umgeschmiedet in ein mordend Beil.
Auch an das Ohr der Mutter traf die Kunde. Zwei Tage saß sie wortelos und sann; Am dritten erst, in mitternächt'ger Stunde, Zu ihrem Sohne flüsternd hob sie an: ,,Dein erster Bruder liegt in fremder Erde, Im Bergwerk ist des andern Leib verdorrt."
Hier brach sie ab; der Sohn pfiff nach dem Pferde; Denn er verstand die Mutter ohne Wort.
Sie weinte nicht, als mit verhängten Zügeln Ihr Liebling früh aus ihren Armen flog: Sie wußte ja, daß auf des Ruhmes Flügeln Sein Name bald die halbe Welt durchzog. Rot war von Blut das Fähnlein seiner Lanze, Sein Schwert war Blikstrahl in der Feinde Reih'n, Und bald nun, bald, in hellem Siegesglanze Zieht er in Moskaus heil'ge Mauern ein.
Der Tod ist stark, ein Fürst. Wer darf ihn hindern? Denn selbst der Mutter Thräne rührt nicht ihn. Doch wird der Schmerz, der bitterste, sich lindern, Darf er am Grabe der Geliebten knien.
Es ruht sich weich an diesen grünen Hügeln, Es weint sich sanft in brünstigem Gebet An diesen Gräbern, die mit Engelsflügeln Wehmüt'gen Trostes süßer Hauch umweht! -
Ihr weht er nicht. Längst schon an fremden Lüften
Bleicht ihres Erstlings blutiges Gebein,
Und um den andern in des Bergwerks Klüften
Weint leise nur das tropfende Gestein.
Den jüngsten jest, o tragt ihn, liebe Wellen, Die er so oft mit rüst'gem Arm zerteilt,
Den Fels vorüber, durch des Stromes Schnellen, O tragt ihn sicher, tragt ihn unverweilt!
nie hat bei seinem Neze Ein armer Fischer diese Gier gefühlt,
Der Taucher nie, der um verlorne Schäze Des tiefen Meeres öden Grund zerwühlt. Laut pocht ihr Herz! All' ihre Sinne lauschen, Ihr Auge starrt, weit aufgerissen, weit. Nichts unterbricht, als nur der Woge Rauschen, Die ungeheure, stumme Einsamkeit.
Doch sieh', wer kommt hier dicht herangetragen, Als sucht' er selbst ein Grab sich an dem Strand? Ihm ward das Haupt zerschmettert und zerschlagen, Sein bester Freund hätt' ihn nicht mehr gekannt. Und doch, in diesen Orden ist's zu lesen, Einst bei der Zarin lächelt' ihm das Glück, Es ist ein Feind, ein Russe ist's gewesen,
Und mit dem Fuße stößt sie ihn zurück!
Kein Ende noch! Schon senkt der Tag sich nieder, Die Nacht bricht ein: - horch auf, da rauscht's vorbei Und schwirrt und schlägt mit flatterndem Gefieder, Und kreischt und schrillt mit heiserem Geschrei: Das ist das Volk der Geier und der Raben Fernher gefolgt dem leckern Festgericht
ew'ger Gott, o schont nur meinen Knaben, Nur in sein Antlig schlagt die Klaue nicht!"
Sie sprang empor: rasch mit erhob'nem Stecken Schlug sie die Luft mit lautem Jammerton, Und Rab' und Geier schienen zu erschrecken, Umkreisten sie und stußten und entfloh'n. Und wieder nur den Nachtwind hört sie pfeifen, Die Sterne schau'n großaugig in die Flut, Und ihren Blick noch immer läßt sie schweifen, Der heller flammt, als aller Sterne Glut.
Dort plöglich, dort! Ihr Herz hat nicht gelogen, Dorthin, schau'! Ihr Auge kennt ihn schon! Der nächste dort, das Haupt zurückgebogen, Allmächt'ger Himmel, ja, es ist ihr Sohn! Die sie so oft geküßt, die Locken schmiegen Sich wie ein Kissen um den blut'gen Mann, Rasch rinnt der Strom, und weiche Wellen wiegen Zu seiner Mutter schmeichelnd ihn heran.
„Du sollst mir nicht in dieser Flut verderben, In die des Feindes rohe Hand dich wars: Nicht alles wird von meinem Sohn mir sterben, Bleibt mir ein Grab, an dem ich weinen darf.“ Sie rief's und schwang mit rasch gewagtem Schritte Sich in der Welle trüben Gischt hinein,
Hoch schäumt die Flut um ihres Leibes Mitte, Und tiefer taucht bis an die Brust sie ein.
Jezt sein Gewand, jezt die erstarrten Hände, Dicht um den Leib jezt hat sie ihn gefaßt; Doch steil und mühsam sind des Ufers Wände, Die Strömung stark, und o, so schwer die Last. Und weiter, weiter, ohne Ruhe drängen Zahllose Leichen rauschend hinterdrein, Und treiben sie und stoßen sie und zwängen
Sie immer tiefer in die Flut hinein.
Sie stemmt sich, kämpft sie will den Sohn nicht lassen, Mitten im Strome treibt sie selber schon –
Fest dennoch, fest! in schmerzlichstem Umfassen,
Die Mutter sterbend mit dem toten Sohn!
Da bricht ihr Fuß, da senkt ihr Haupt sich nieder, Die Locken trinken in der Flut sich schwer;
Und Brust an Brust, verschränkt die starren Glieder, Treibt mit dem Sohn die Mutter in das Meer.
Kein Ende noch! Noch immer treiben Leichen, Nachzügler sind's mit ungewissem Lauf, Bis daß die Sterne dämmernd jezt erbleichen, Der Nebel sinkt, der Morgen steigt herauf; Und was die Flut mit Rosen da bemalte, Es war kein Blut, geflossen in der Schlacht: Die Sonne war's, die hoch von oben strahlte, Ein Bote Gottes, leuchtend durch die Nacht!
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