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mit Eins zu Männern machen zu können glaubten, die ihres dritten Zeitalters würdig wären.

§. 90

Und eben das machte sie zu Schwärmern. Der Schwärmer that oft sehr richtige Blicke in die Zukunft: aber er kann diese Zukunft nur nicht erwarten. Er wünscht diese Zukunft beschleuniget; und wünscht, daß sie durch ihn beschleuniget werde. Wozu sich die Natur Jahrtausende Zeit nimmt, soll in dem Augenblicke seines Daseyns reifen. Denn was hat er davon, wenn das, was er für das Bessere erkennt, nicht noch bey sei nen Lebzeiten das Bessere wird? Kömmt er wieder? Glaubt er wieder zu kommen? Sonderbar, daß diese Schwärmerey allein unter den Schwärmern nicht mehr Mode werden will!

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§. 91.

Geh deinen unmerklichen Schritt, ewige Vorsehung! Nur laß mich dieser Unmerklichkeit wegen an dir nicht verzweifeln. Laß mich an dir nicht verzweifeln, wenn selbst deine Schritte mir scheinen sollten, zurück zu gehen! Es ist nicht wahr, daß die kürzeste Linie immer die ge rade ist.

§. 92.

Du hast auf deinem ewigen Wege so viel mitzunehmen! so viel Seitenschritte zu thun! — Und wie? wenn es nun gar so gut als ausgemacht wäre, daß das große langsame Rad, welches das Geschlecht seiner Vollkommenheit näher bringt, nur durch kleinere schnellere Räder in Bewegung gesezt würde, deren jedes sein Einzelnes eben dahin liefert?

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§. 93.

Nicht anders! Eben die Bahn, auf welcher das Geschlecht zu seiner Vollkommenheit gelangt, muß jeder einzelne Mensch (der früher, der später) erst durchlaufen haben. In einem und eben demselben Leben ,,durchlaufen haben? Kann er in eben demselben Leben ein sinnlicher Jude und ein geistiger Christ gewesen seyn? Kann er in eben demselben Leben ,,beyde überhohlet haben?"

Das wohl nun nicht!

§. 94.

Aber warum könnte jeder einzelne Mensch auch nicht mehr als einmal auf dieser Welt vorhanden gewesen seyn?

§. 95.

Ist diese Hypothese darum so lächerlich, weil sie die älteste ist? weil der menschliche Verstand, ehe ihn die Sophisterey der Schule zerstreut und geschwächt hatte, sogleich darauf verfiel?

§. 96.

Warum könnte auch Ich nicht hier bereits einmal alle die Schritte zu meiner Vervollkommnung gethan haben, welche blos zeitliche Strafen und Belohnungen den Menschen bringen können?

§, 97.

Und warum nicht ein andermal alle die, welche zu thun, uns die Aussichten in ewige Belohnungen, so mächtig helfen?

§. 98.

Warum sollte ich nicht so oft wiederkommen, als ich neue Kenntnisse, neue Fertigkeiten zu erlangen geschickt bin? Bringe ich auf Einmal so viel weg, daß es der Mühe wieder zu kommen etwa nicht lohnet?

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§. 99.

Darum nicht? Oder, weil ich es vergesse, daß ich schon da gewesen? Wohl mir, daß ich das vergesse. Die Erinnerung meiner vorigen Zustände, würde mir nur einen schlechten Gebrauch des gegenwärtigen zu machen erlauben. Und was ich auf iht vergessen muß, habe ich denn das auf ewig vergessen?

§. 100.

Oder, weil so zu viel Zeit für mich verloren gehen würde? Ver foren? Und was habe ich denn zu versäumen? Ist nicht die ganze Ewigkeit mein?

V. Christoph Martin Wieland. 1733-1813.

Christoph Martin Wieland war der Sohn eines Predigers im Dorfe Oberholzheim bei Biberach und wurde daselbst am 5. Septb. 1733 geboren. Sehr früh entwickelten sich bei ihm seine ausgezeichneten Fähig feiten für Sprache und Dichtkunst. Der Vater begann ihn im vierten Lebensjahre zu unterrichten, im siebenten las er den Cornelius Nepos mit Bergnügen, im dreizehnten Virgil und Horaz und fing auch jetzt schon ein episches Gedicht über die Zerstörung Jerusalems an. Im fünfzehnten Jahre seines Lebens schickte ihn sein Vater auf die damals unter dem Abte Steinmeß blühende Schule zu Kloster Berge bei Magdeburg, wo er zwei Jahre blieb, und sowohl in Schulwissenschaften bedeutende Fortschritte machte, als auch durch den frommen Sinn, welcher hier herrschte, auf gläubige Weise angeregt wurde. Als er im siebzehnten Jahre die Universität Tübingen bezog, um die Rechte zu studiren, mussten diese Studien vor seinen dichterischen bald zurücktreten. Er zog sich sehr zurück und verschloss sich oft in sein Zimmer um zu dichten. So erschienen schon 1752 von ihm gedruckt: die Natur der Dinge, der Antiovid und die moralischen Briefe und Erzählungen, welche alle das Gewand des Gläubigen und Frommen an sich tragen, obschon der Dichter nach

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1. Vgl. Morgenblatt 1817. No. 267. Daß Wieland Biberach seine Vaterstadt nennt beweist nichts dagegen, weil der Vater nachher Senior in Biberach und Wieland dort erzogen wurde.

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schweren Kämpfen und Zweifeln durch die Schriften von Bayle, d'Argens und Voltaire schon dahin gekommen war den Entschluß zu fassen: „dem Kopfe nach ein Freidenker und im Herzen der tugendhafteste Mann zu werden." Er versuchte auch in Tübingen ein Heldengedicht, Arminius, in heroischem Versmaaß zu dichten und schickte die fünf erften Gesänge Bodmer zu, welcher sie Hagedorn mittheilte und mit diesem vergeblich auf den Verfasser rieth, bis Wieland selbst sich ihm als solchen entdeckte und darauf von Bodmer freundlich nach Zürich eingeladen wurde, wo Klopstock kurz zuvor gelebt hatte. Hier gab er sich nach Bodmers Vorbilde und Anleitung ganz der geistlichen Dichtung hin, dichtete den geprüften Abraham, eine Patriarchade, und schrieb in Hexametern die Briefe der Verstorbenen, worin er die ebenso genannten be rühmten Briefe der Madame Rowe zu übertreffen suchte. Jest waren ihm Uzens fröhliche Scherze und der Schwarm anakreontischer Sänger zu weltlich und gottlos und in seinen poetisch - prosaischen: Empfindungen eines Christen" fordert er den Hofprediger Sack in Berlin auf, öffentlich die Unordnung und das Ärgerniss zu rügen, welches diese leichtsinnigen Wißlinge anrichteten. Bald aber kam er von dieser Richtung, welche wohl nie die wahre seines Gemüthes gewesen ist, sondern die er sich nur angelernt hatte, zurück, wovon schon sein Araspes und Panthea (1758), wozu seine Beschäfftigung mit Xenophon ihn geführt hatte, Spuren enthält. So kehrte er überhaupt zu den weltlichen Studien zurück. Neben Xenophon und Euripides wurden Boccaccio und die Franzosen nebst Schaftesbury seine Lieblinge Es bedurfte darum nur noch einer äußern Veranlassung, um ihn der geistlichen Nichtung, welche ihm nicht von Herzen ging, ganz zu entfremden. Eine solche Hauptveranlassung war seine Rückkehr nach Biberach 1759, wo er Kanzleidirector wurde, wel ches Amt er bis 1769 verwaltete Hier kam er durch la Roche, den Gemahl seiner frühern Geliebten, Sophie von Gettermann, den Freund und Pflegefohn des Grafen Stadion, welcher das Gut Warthausen besaß, mit einem Bildungskreise in Berührung, welcher ihn lebendig ansprach und wo er heitren Lebensgenuß mit Sittlichkeit, welcher er stets treu bleiben wollte, verbunden sah, worin aber statt der Religion und Offenbarung nur natürliche Sittenlehre und praktische Philosophie galten. Diesen Geistesrichtungen schloss er sich nun an und sein Theages, über Schönheit und Liebe, zeigte diesen Übergang, welchen er dann in der lüsternen Erzählung „Nadine" (1762) und im Agathon (seit 1764), seinem Lieblingswerke, vollkommen aussprach. — Ihn auf dieser Bahn festzuhalten, bewürkte auch der Beifall, welchen diese spätern Werke fanden, während er in seinen geistlichen Gedichten, in seinem Epos „Cyrus" und seinen Dramen Johanna Gray und Clementine di Vischon Denkm. IV.

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Porretta, statt allgemeiner Anerkennung seines Talents nur lauten Tadel namentlich von Lessing und den Berlinern erfahren hatte. In diese Zeit fällt auch seine Überseßung Shakespeare's, welcher ihn von aller frommen Schwärmerei heilte. Aber die Frische, Natürlichkeit und Klarheit des großen Dichters hätte ihm mit Freuden gewünscht werden können, wenn er nun nur nicht entschieden als Vertheidiger und Verfechter der groben Sinnlichkeit aufgetreten wäre. Vornehmlich wird es jezt das Gebiet des Romans und der Erzählung neben dem episch - didaktischen Gedicht, worin er würksam ist und in der kurzen Zeit bis 1769 Don Sylvio di Rosalva (1762. 63. herausg. 1764), Agathon (seit 1764), Idris und Zenide (1767), Musarion oder die Philosophie der Grazien (1768) nebst mehreren Erzählungen erscheinen lässt. —

Im Jahre 1769 folgt er dem Ruf des Churfürsten von Mainz, Emmerich Joseph, und geht als Professor der Philosophie und schönen Wissenschaften nach Erfurt, wo er die Grazien (1770), den neuen Amadis (1771), Combabus oder was ist Tugend? (1771) den ver flagten Amor (1772( und den vielfach verfehlten Diogenes von Sis nope (1772) erscheinen ließ, worin Materialismus und Sinnlichkeit bis zum Äußersten, namentlich im neuen Amadis, den Stoff der Behandlung darbieten.

Im Jahre 1772 berief ihn die verwittwete Herzoginn Anna Amalia von Weimar zum Lehrer ihrer beiden Prinzen, Karl August und Konstan

Frând gun tin, und es ist anzuerkennen, daß besonders durch ihn der/wiffenschaftlichen

Glanz Weimars gelegt wurde, wohin nun auch bald Herder (1776) und Göthe (1776) gezogen wurden, vor welchen Heroen Wieland sich beugte, aber Anerkennung fand. Aus Wielands Beschäfftigung mit Rousseau er: wuchs der politische Roman der goldene Spiegel oder die Könige von Scheschian (1772), dem die Geschichte der Abderiten (1774) folgte, wobei er die Aufstände im Auge hatte, welche die rechtgläubige Bürgerschaft Biberachs gegen die Wahl des ihr zu frei gesinnten Predigers Brechter erregt hatte, was Wieland um so mehr gegen positive Religionssatzungen stimmte. Um 1773 erhob sich in Göttingen die ganze Klopstocksche Schule (der Hainbund) gegen ihn und verbrannte seine Werke, und Lavater rief alle Christen auf die Knie, für ihn als einen gefallenen Sünder zu beten. Über solche Angriffe tröstete er sich nur durch sein uns tadelhaftes Leben, wie er unter den Seinen liebenswürdig, freundlich und reinsittlich sich zeigte; aber die Welt sieht nur den Schriftsteller, nicht den Menschen und auch das sittliche Privatleben kann nicht den Schaden öffentlis cher unfittlicher Lehren aufheben. Doch kehrte auch Wieland in der späteren Zeit mehr von der zu weit getriebenen unsittlichen Richtung zurück, wie schon „Gandelin oder Liebe um Liebe (1776)" und sein schönes Hauptgedicht Oberon (1780), wenn auch nicht vom Schlüpfrigen ganz frei,

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doch zu seinen reinsten Dichtungen gehören und er in den Unterredungen mit dem Pfarrer von (1775)" fein Unrecht wenigstens erkennt, wenn er auch vergeblich sucht es zu entschuldigen. Auch nachdem 1774 die Erziehung seiner Prinzen vollendet war, blieb Wieland als Herzogl. Sach: sen Weimarscher Hofrath und Churmainzischer Regierungsrath in Weimar und bezog ein Jahrgehalt vom Hofe. — In den späteren Zeiten, seit den achtziger und neunziger Jahren wendet er sich ganz von der Dichtung ab und fällt auf Überseßungen, wie Horazens Briefe und Satiren (1782 1786) und Lucian (1788. 89) erschienen, und kommt mehr zur würklichen Welt zurück. Seit 1773 hatte er auch den deutschen Merkur, eine literarische Zeitschrift, herausgegeben, worin die meisten seiner Schöpfungen zuerst mitge theilt wurden. Seit 1790 erschien bis 1810 der neue deutsche Merkur (von Wieland wohl nur bis 1796, dann von Böttcher fortgeseßt) und daneben und nachher das attische und neue attische Museum (1796-1809) Zu seinen letzten eignen Werken gehört Aristipp in 4 Theilen (1800-1802) und die beiden in schönen Briefen geschriebenen kleineren Romane: Menander und Glycerion und Krates und Hipparchia. In den späteren Jahren seines Lebens wohnte er auf seinem Gute Oßmanstedt bei Weimar, welches früher der Graf von Bünau besaß, kehrte aber von dort nach dem Tode seiner Gattinn 1803 nach Weimar zurück. Im Jahre 1807 trat er in den fast vergessenen Pegnißischen Blumenorden zu Nürnberg und 1808 wollte ihn Kaiser Napoleon durch Ertheilung des Kreuzes der Ehrenlegion auszeichnen. Er starb am 20. Januar 1813 und ist in Oßmanstedt begraben.

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Obschen Wieland' in seinen persönlichen und schriftstellerischen Ansichten wandelbar und wankelmüthig erscheint und nichts festhält, das Christliche im Schwärmerischen sucht und davon abfällt, die Poesie in Musik der Sprache seßt und diese wieder ganz und gar der deutschen Sprache abspricht, das Griechische im Sinnlichen sucht und auch davon zurückkommt, auf die Ritterwelt fällt, welche er früher verspottete und später wiederum gering schäßt, über die Liebe schwärmt und nur in der Freundschaft Bestand findet und auf diese Weise kein rechtes Vertrauen einflößt; ob er sich im Christlich- Epischen, Philosophischen, Politischen u. f. f. versucht und doch nichts Durchgreifendes gestaltet, ob er sich wieder über die Befirebungen der neuern Poesie täuschte, welche er verwarf und nachher anerkannte, ob er endlich vor Allem durch seine sînnlichen und schlüpfrigen Schriften manches Unsittliche und Verderbliche gewürft hat: so werden wir ihm doch für Bildung und Biegsamkeit der Sprache, treffliche Behandlung des Reims und gefälligen Ausdruck in Poesie und Prosa, für sein

1. Vergleiche über dies Alles: Gervinus Neuere Gesch. der poet. Nat. Literatur. Th. I. S. 270–318.

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