GOTTLIEB WILHELM RABENER. [Scherer D. 405, E. II. 13.] Geboren 1714 zu Wachau bei Leipzig, gebildet auf der Schule in Meissen und auf der Universität in Leipzig; 1741 wurde er Steuerrevisor in Leipzig; er starb als Obersteuerrath zu Dresden 1771. Er war Mitarbeiter an den 'Bremer Beiträgen' und namentlich durch seine satirischen Schriften bekannt, die seit 1751 wiederholentlich in Sammlungen herauskamen. VERSTAND. Weil ich hier nicht Willens bin, eine philosophische Abhandlung zu schreiben: So wird man mir nicht zumuthen, von demjenigen Begriffe etwas zu gedenken, welchen man sich auf der Catheder von dem Worte, Verstand, macht. Ich schreibe nicht für Pedanten, sondern für die grosse Welt, und in der grossen Welt heisst Verstand so viel, als Reichthum. Ein Mensch ohne Verstand, ist nichts anders, als ein armer. Er kann ehrlich, er kann gelehrt, er kann witzig, mit einem Worte, er kann der artigste, und nützlichste Mann in der Stadt seyn, das 10 hilft ihm alles nichts; der Verstand fehlt ihm, denn er hat kein Geld. Es ist nicht für einen Dreyer Verstand darinnen! spricht mein Wirth, wenn er ein vernünftiges Gedicht liest. Warum? Mein Wirth ist ein Wechsler, welcher in der Welt nichts gelernt hat, als addiren, und er glaubt, wenn er die schönste Ode auf die Börse trüge, so würde er doch nicht einen Dreyer dafür bekommen. Das Mädchen hat Verstand, sagt ein Liebhaber, der nur aufs Geld sieht, wenn gleich sein Mädchen weiter nichts thut, als dass 20 es Caffee trinkt, Lomber spielt, Knötchen macht, zum Fenster hinaus sieht, und wenn es hoch kömmt, über das Nachtzeug ihrer Nachbarinn spottet. In Gesellschaften, wo sie keines von diesem allen thun kann, ist sie nicht im Stande, etwas weiter zu sagen, als ein trockenes Ja und Nein; und spielte sie nicht mit ihrem Fächer: So würde man sie für eine schöne Statue ansehen. Aber, das thut alles nichts; für ihren Liebhaber hat sie doch viel Ver stand, denn ihre Mutter hat ihr ein sehr schönes Vermögen hinterlassen. Der Mensch hat einen sehr guten natürlichen Verstand, heisst so viel: Er hat von seinen Ältern eine reiche Erbschaft überkommen, und nicht nöthig gehabt, selbst Geld zu verdienen. Was also dieses heisse: Er wuchert mit seinem Verstande, das darf ich niemanden erklären; es versteht sich von sich selbst. Ich bin der dümmste eben nicht, denn ich habe auch etwas weniges von Vermögen, und dieses hat mir Gelegenheit gegeben, durch eine dreyssigjährige Erfahrung die verschiedenen Grade des 10 Verstandes kennen zu lernen. Nach gegenwärtigem Cours kann ich von dem Verstande meiner Landsleute ohngefähr folgenden Tariff machen: 1000 Thaler, nicht ganz ohne Verstand; 6000 Thaler, ein ziemlicher Verstand; 12000 Thaler, ein feiner Verstand; 30000 Thaler, ein grosser Verstand; 50000 Thaler, ein durchdringender Verstand: 100000 Thaler, ein englischer Verstand; und auf solche Weise steigt es mit jedem Tausend Thalern. Ich habe den Sohn eines reichen Kaufmanns gekannt, welcher kaum so klug war, als sein Reitpferd. Er besass aber 400000 Thaler, und um des willen versicherte mich mein Correspondente, dass er in ganz Mecklenburg beinahe der Verständigste wäre. 20 Der Kerl hat seinen Verstand verloren! wird man also von einem bankerutten Kaufmanne sagen, und ich kenne einige davon, welche dieser Vorwurf weit mehr schmerzt, als wenn man sagen wollte, sie hätten ihren ehrlichen Namen verloren. Dieses ist noch der einzige Trost für dergleichen Männer, dass ihre Weiber, welche durch ihre üble Wirtschaft und durch ihren unsin- 30 nigen Staat an diesem Verluste gemeiniglich die meiste Ursache haben, dennoch ihren eingebrachten Verstand, dass ich mich kunstmässig ausdrücke, oder deutlich zu reden: ihr eignes Vermögen und daher noch allemal so viel übrig behalten, als nöthig ist, sich und ihren unverständigen Mann auf das bequemlichste zu ernähren. FRIEDRICH WILHELM ZACHARIAE. [Scherer, D. 406, E. II. 14.] Geboren 1726 zu Frankenhausen, studierte in Leipzig und Göttingen die Rechte; starb als Professor in Braunschweig, 1777. Das älteste seiner komischen Heldengedichte Der Renommiste', das schon 1748 erschien, ist das beste. Eine Sammlung seiner Poetischen Schriften' erschien (Braunschweig, 1763–65) 9 Bde.; ‘Hinterlassene Schriften' (Braunschweig, 1781). AUS DER RENOMMISTE. Mein Lied besingt den Held, den Degen, Muth und Schlacht In Jena fürchterlich, in Leipzig frech gemacht. Der, wenn man ihn erzürnt, ein ganzes Heer bekriegte, Und wenn er focht, auch schlug, und wenn er schlug, auch siegte. So wird die Nachwelt noch auf diesen Blättern lesen: Es war ein jenisch Pferd. Es flog mehr, als es lief; Es sprengt ihn muthig durch; im Laufen und im Setzen Es rauchte vor Begier, sein Fuss lief noch behend, Auf einmal stutzig wird. Es setzt durch Busch und Graben, Hat diesen Geist um sich, der ihm zum Schutzgeist ist. Um ihn herum verdickt in einen dunkeln Duft. Ein Nebel war um ihn, der ihm den Blick versteckte, 'Wie leicht wärst du verführt, wie leicht wärst du galant! Er sagts, und lähmt dem Pferde Er schwört, er schreyt, er peitscht und schlägts mit eignen Händen, Doch es lag, wie es fiel, entkräftet, lahm an Lenden. ΙΟ 20 30 Diess sah er Unmuths voll. Er flucht auf diesen Fall: 'Wärst du, o Bestie! nur in des Philisters Stall, Indem so sah es ihn mit matten Blicken an, Als spräch es schone mich, da ich nicht laufen kann! Sein Finger streichelt es, bis es zu stehn begonnte, Er führt den müden Gaul. Wie wird das Gehn ihm schwer! 'Ja hier, wo alles ruht, wird auch dein Degen ruhn. 10 20 30 |