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Schauer, in dem ein sterbender Christ jenen Kelch vorübergehen sieht, den der Versöhner für ihn bis auf die Hefen des göttlichen Zorns ausgetrunken: so lass dieses letzte Gefühl Seiner Erlösung mich zum Eintritt Seines Reichs begleiten !-und wenn Du dieses Leben meinen Freunden nützlich gemacht, so lass sie auch durch mein Ende getröstet und gestärket seyn!

Schon sucht mein neugieriger Blick schmachtend die Gegenden der Seligkeit, welche meine Mutter aufgenommen ;-noch höre ich in Ihren Seufzern, (welche bey Gott diejenigen wiederzusehen beteten, die Er Ihr auf der Welt gegeben, die Sie als Säuglinge 10 das Lob Ihres Schöpfers und Mittlers gelehrt, und denen Ihre Spuren nach der Heimath des Christen unauslöschlich seyn werden,) die feyerlichste und zärtlichste Einladung der Gnade zu einer Herrlichkeit, deren Vorstellung allein die Trauer unsers Verlustes mässigt. Das späteste Opfer Ihres Andenkens weihe die Neigung und Pflicht meines kindlichen Gehorsams Dem,-mit Dessen Erkenntlichkeit und Liebe Sie Ihre erschöpften Kräfte noch beseelte, und zu deren Nachahmung das Beyspiel und Muster Ihrer letzten Augenblicke, als dringende Bewegungsgründe, hinzugekommen!

DIE CLASSIKER.

HERDER.

[Scherer D. 473 (511, 523), E. II. 84. 84-90.]

Geboren 25. Aug. 1744 zu Mohrungen in Ost-Preussen. Sein Vater, der Schullehrer war, gab ihm eine sorgfältige Erziehung, war aber zu arm, um seinen Sohn, der grosse Anlagen zeigte, auf die Universität zu schicken. Dennoch verschaffte der junge Herder sich selbst die Mittel nach Königsberg zu gehn, erhielt sich dort kümmerlich durch Privatunterricht, gewann die Freundschaft Kants und Hamanns und erhielt später Beschäftigung als Schullehrer in Königsberg und seit 1764 in Riga. 1767 erschienen seine 'Fragmente über die neuere deutsche Literatur', 1769 die 'Kritischen Wälder'. In demselben Jahre begab er sich auf Reisen, gieng von Riga zur See nach Nantes und von da nach Paris, wo er Diderot kennen lernte. Er nahm sodann die Stelle als Begleiter eines Sohnes des Herzogs von Holstein-Eutin an, machte in Hamburg die Bekanntschaft von Lessing und reiste 1770 mit dem jungen Prinzen bis Strassburg. Hier gab Herder seine Stelle auf, blieb noch einige Zeit in Strassburg in Verkehr mit Goethe, Jung-Stilling und Andern und trat 1771 eine Stelle als Hauptpastor in Bückeburg an. Unterdessen hatte er seine Abhandlung Über den Ursprung der Sprache' geschrieben und eifrig die Überreste der alten volksthümlichen Poesie der verschiedenen Völker und Länder studiert.

1774 erschienen

'Die älteste Urkunde des Menschengeschlechts' und 'Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit'. 1776 kam er auf Goethes Empfehlung als Generalsuperintendent nach Weimar, wurde 1801 geadelt und starb 1803. Die bedeutendsten Werke, die er während seines Aufenthalts in Weimar schrieb, sind: 'Volkslieder' 1778-79; 'Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit' seit 1784; 'Briefe zur Beförderung der Humanität' 1793-97; 'der Cid' 1802-1803 (erschienen 1805). Eine Gesammtausgabe von Herders Werken erschien 60 Bde. (Stuttgart, 182730); eine kritische Ausgabe, hat unter Suphans Leitung begonnen (Berlin, 1877 ff.).

I.

ÜBER DEN URSPRUNG DER SPRACHE.

Das erste Wörterbuch war aus den Lauten aller Welt gesammelt. Von jedem tönenden Wesen klang sein Name; die menschliche Seele prägte ihr Bild darauf, dachte sie als Merk. zeichen: wie nun anders, als dass diese tönenden Interjektionen die

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1772

1773

ersten Machtworte der Sprache würden? Und so sind z. B. die morgenländischen Sprachen voll Verba als Grundwurzeln der Sprache. Der Gedanke an die Sache selbst schwebte noch zwischen dem Handelnden und der Handlung: der Ton musste die Sache bezeichnen, so wie die Sache den Ton gab; aus den Verbis wurden also Nomina, und Nomina aus den Verbis. Das Kind nennet das Schaf, als Schaf nicht, sondern als ein blökendes Geschöpf, und macht also die Interjektion zu einem Verbo. Im Stufengange der menschlichen Sinnlichkeit wird diese Sache erklärbar, aber nicht in der Logik des höheren Geistes.

Alle alten, wilden Sprachen sind voll von diesem Ursprunge; und in einem 'philosophischen Wörterbuch der Morgenländer' wäre jedes Stammwort mit seiner Familie recht gestellet und gesund entwickelt, eine Charte vom Gange des menschlichen Geistes, eine Geschichte seiner Entwicklung, und ein ganzes solches Wörterbuch die vortrefflichste Probe von der Erfindungskunst der menschlichen Seele. Ob aber auch von der Sprach-und Lehrmethode Gottes ? Ich zweifle.

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Indem die ganze Natur tönt, so ist einem sinnlichen Menschen nichts natürlicher, als dass er denkt, sie lebe, sie spreche, sie 20 handle. Jener Wilde sah den hohen Baum mit seinem prächtigen Gipfel, und bewunderte ihn; der Gipfel rauschte: das, sprach er, ist webende Gottheit! er fiel nieder und betete an. Sehet da die Geschichte des sinnlichen Menschen, das dunkle Band, wie aus den Verbis Nomina werden, und zugleich den leichtesten Schritt zur Abstraktion.

Bei den Wilden von Nordamerika z. B. ist noch alles belebt: jede Sache hat ihren Genius, ihren Geist ; und dass es bei Griechen und Morgenländern eben so gewesen, davon zeugt ihr ältestes Wörterbuch, ihre älteste Grammatik. Sie sind, wie die ganze Natur dem Erfinder war, ein Pantheon, ein Reich belebter, handelnder Wesen.

2.

VON DEUTSCHER ART UND KUNST.

Lasset uns also ein Volk setzen, das aus Umständen, die wir nicht untersuchen mögen, Lust hätte, sich statt nachzuäffen und mit der Wallnussschale davon zu laufen, selbst lieber sein Drama

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zu erfinden: so ists, dünkt mich, wieder erste Frage: wann? wo? unter welchen Umständen? woraus solls das thun? und es braucht keines Beweises, dass die Erfindung nichts als Resultat dieser Fragen seyn wird und seyn kann. Holt es sein Drama nicht aus Chor, aus Dithyramb her: so kanns auch nichts Chormässiges Dithyrambisches haben. Läge ihm keine solche Simplicität von Faktis der Geschichte, Tradition, Häusslichen, und Staats- und Religionsbeziehungen vor-natürlich kanns nichts von Alle dem haben. Es wird sich, wo möglich, sein Drama nach seiner Geschichte, nach Zeitgeist, Sitten, Meinungen, Sprache, National- 10 Vorurtheile, Tradition, und Liebhabereyen, wenn auch aus Fastnachts- und Marionettenspiel (eben, wie die edlen Griechen aus dem Chor) erfinden-und das Erfundne wird Drama seyn, wenn es bey diesem Volk dramatischen Zweck erreicht. Man sieht, wir sind bei den

toto divisis ab orbe Britannis

und ihrem grossen Shakespear.

Dass da, und zu der und vor der Zeit kein Griechenland war, wird kein pullulus Aristotelis läugnen, und hier und da also griechisches Drama zu fodern, dass es natürlich (wir reden von 20 keiner Nachäffung) entstehe, ist ärger, als dass ein Schaaf Löwen gebären solle. Es wird allein erste und letzte Frage: 'wie ist der Boden? worauf ist er zubereitet? was ist in ihn gesäet? was sollte er tragen können?'-und Himmel! wie weit hier von Griechenland weg! Geschichte, Tradition, Sitten, Religion, Geist der Zeit, des Volks, der Rührung, der Sprache-wie weit von Griechenland weg! Der Leser kenne beyde Zeiten viel oder wenig, so wird er doch keinen Augenblick verwechseln, was nichts Aehnliches hat. Und wenn nun in dieser glücklich oder unglücklich veränderten Zeit, es eben Ein Alter, Ein Genie gäbe, das aus seinem Stoff so natürlich, 30 gross, und original eine dramatische Schöpfung zöge, als die Griechen aus dem Ihren-und diese Schöpfung eben auf den verschiedensten Wegen dieselbe Absicht erreichte, wenigstens an sich ein weit vielfach Einfältigers und einfach Vielfältigers-also (nach aller metaphysischen Definition) ein vollkommenes Ganzes wäre— was für ein Thor, der nun vergliche und gar verdammte, weil dies Zweyte nicht das Erste sey? Und alle sein Wesen, Tugend und

Vollkommenheit beruht ja darauf, dass es nicht das Erste ist: dass aus dem Boden der Zeit eben die andre Pflanze erwuchs.

Shakespear fand vor und um sich nichts weniger als Simplicität von Vaterlandssitten, Thaten, Neigungen und Geschichtstraditionen, die das griechische Drama bildete, und da also nach dem Ersten metaphysischen Weisheitssatze aus Nichts Nichts wird, so wäre, Philosophen überlassen, nicht blos kein Griechisches, sondern wenns ausserdem Nichts giebt, auch gar kein Drama in der Welt mehr geworden, und hätte werden können. Da aber Genie bekanntermaassen mehr ist, als Philosophie, und Schöpfer ein ander Ding, 10 als Zergliederer: so wars ein Sterblicher mit Götterkraft begabt, eben aus dem entgegen gesetztesten Stoff, und in der verschiedensten Bearbeitung dieselbe Würkung hervor zu rufen, Furcht und Mitleid! und beyde in einem Grade, wie jener Erste Stoff und Bearbeitung es kaum vormals hervorzubringen vermocht !-Glücklicher Göttersohn über sein Unternehmen! Eben das Neue, Erste, ganz Verschiedne zeigt die Urkraft seines Berufs.

Shakespear fand keinen Chor vor sich; aber wohl Staats- und Marionettenspiele-wohl! er bildete also aus diesen Staats- und Marionettenspielen, dem so schlechten Leim! das herrliche Ge- 20 schöpf, das da vor uns steht und lebt! Er fand keinen so einfachen Volks- und Vaterlandscharakter, sondern ein Vielfaches von Ständen, Lebensarten, Gesinnungen, Völkern und Spracharten-der Gram um das Vorige wäre vergebens gewesen; er dichtete also Stände und Menschen, Völker und Spracharten, König und Narren, Narren und König zu dem herrlichen Ganzen! Er fand keinen so einfachen Geist der Geschichte, der Fabel, der Handlung er nahm Geschichte, wie er sie fand, und setzte mit Schöpfergeist das verschiedenartigste Zeug zu einem Wunderganzen zusammen, was wir, wenn nicht Handlung im griechischen Verstande, so Aktion im 30 Sinne der mittlern, oder in der Sprache der neuern Zeiten Begebenheit (événement), grosses Eräugniss nennen wollen-o Aristoteles, wenn du erschienest, wie würdest du den neuen Sophokles homerisiren würdest so eine eigne Theorie über ihn dichten, die jetzt seine Landsleute, Home und Hurd, Pope und Johnson noch nicht gedichtet haben! Würdest dich freuen, von Jedem Deiner Stücke, Handlung, Charakter, Meinungen, Ausdruck, Bühne, wie aus zwey

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