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SCHILLER.

[Scherer D. 502, 552, E. II. 115-170.)

Johann Christoph Friedrich Schiller, geboren den 10. November 1759 zu Marbach in Würtemberg. Sein Vater war Hauptmann und kam 1768 nach Ludwigsburg, wo sein Sohn die Schule besuchte. 1773 erhielt Schiller eine Freistelle auf der Militär-Akademie, und kam, als diese 1775 nach Stuttgart verlegt wurde, in die Residenz. Er beschäftigte sich damals mit dem Studium der Rechte, dann mit Medicin, widmete aber seine besten Kräfte der Lecture der ältern und neuern Classiker. 1778 fasste er den Plan zu den Räubern', die 1781 anonym erschienen. Er war damals Regiments- 10 medicus in Stuttgart, entfloh aber 1782 nach Mannheim, vollendete den 'Fiesko' und begab sich sodann auf das Gut der Frau von Wolzogen in der Nähe von Meiningen. Hier schrieb er 'Kabale und Liebe' und kehrte dann nach Mannheim zurück, wo er als Theaterdichter eine Anstellung fand. Er musste sich daneben durch Herausgabe von Zeitschriften (Thalia) die Mittel zu seinem Unterhalt verdienen. 1785 wurde Schiller vom Herzog von Weimar zum herzoglichen Rath ernannt, gieng bald darauf nach Leipizg und lebte dann, unterstützt von Christian Gottfried Körner, in Dresden. 1787 siedelte er nach Weimar über. Im selben Jahre erschien sein 'Don Carlos'; 1788 die 'Geschichte des Abfalls der Niederlande'. 1789 wurde 20 er Professor der Geschichte in Jena, verheiratete sich 1790 mit Charlotte von Lengefeld, und setzte, soweit es seine Gesundheit erlaubte, seine historischen und philosophischen Studien fort. 1794 trat er mit Wilhelm von Humboldt und mit Goethe in nähere freundschaftliche und wissenschaftliche Beziehungen und erhielt neue Lust zu dichterischen Schöpfungen. In den 'Horen' 1795 und dem Musenalmanach' (1796 ff.) erschienen viele seiner Gedichte; 1799 war sein Wallenstein' vollendet. In demselben Jahre begab sich Schiller nach Weimar, gab 1801 'Maria Stuart', 1802 die 'Jungfrau von Orleans', 1803 die Braut von Messina', 1804 Wilhelm Tell' heraus, und starb plötzlich in der Fülle seiner dichterischen Schöpfungskraft am 9. Mai 1805. Eine 30 historisch kritische Ausgabe der sämmtlichen Werke Schillers erschien unter Gödekes Leitung, 15 The. in 17 Bänden (Stuttgart 1867-76). Von Briefen seien erwähnt: Der Briefwechsel mit seiner Frau. Schiller und Lotte 1788-1805' her. von Fielitz (Stuttgart 1879, 3. Aufl); mit Körner' her. von Gödeke (2 The. Leipzig 1874, 2. Aufl.); 'zwischen Schiller und W. von Humboldt' (Stuttgart 1876, 2. Aufl.); 'mit dem Herzog Friedrich Christian von Schleswig-Holstein-Augustenburg, her. von Max Müller (Berlin 1875); Briefe an denselben Über ästhetische Erziehung' her. von Michelsen (Berlin 1876).

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1.

DIE RÄUBER. 5. AKT. 1. SCENE.

Franz im Schlafrock hereingestürzt.

Daniel. Gott steh mir bey! Mein Herr! Löscht die Laterne aus. Franz. Verrathen! Verrathen! Geister ausgespien aus Gräbern -Losgerüttelt das Todenreich aus dem ewigen Schlaf brüllt wieder mich Mörder! Mörder!-wer regt sich da?

Daniel ängstlich. Hilf heilige Mutter Gottes! seyd ihrs gestrenger Herre, der so grässlich durch die Gewölbe schreyt, dass alle Schläfer auffahren?

Franz. Schläfer? wer heisst euch schlafen? Fort zünde Licht an. Daniel ab, es kommt ein andrer Bedienter. Es soll niemand schlafen in dieser Stunde. Hörst du? Alles soll auf seyn-in Waffen-alle Gewehre geladen-Sahst du sie dort den Bogengang hinschweben?

Bedienter. Wen gnädiger Herr ?

Franz. Wen, Dummkopf, wen? So kalt, so leer fragst du, wen? hat michs doch angepackt wie der Schwindel? wen, Eselskopf! wen? Geister und Teufel! wie weit ists in der Nacht? Bedienter. Eben izt ruft der Nachtwächter zwey an.

Franz. Was? will diese Nacht währen bis an den jüngsten Tag? hörtest du keinen Tumult in der Nähe? Kein Siegsgeschrey? Kein Geräusch galoppirender Pferde? wo ist Kar-der Graf, will ich sagen?

Bedienter. Ich weis nicht, mein Gebieter.

Franz. Du weists nicht? Du bist auch unter der Rotte? Ich will dir das Herz aus den Rippen stampfen! mit deinem verfluchten: ich weis nicht! Fort, hole den Pastor!

Bedienter. Gnädiger Herr!

ΤΟ

20

Franz. Murrst du? zögerst du? Erster Bediente eilend ab. 30 Was auch Bettler wider mich verschworen? Himmel, Hölle! alles wider mich verschworen?

Daniel kommt mit dem Licht. Mein Gebieter

Franz. Nein! ich zittere nicht! Es war ledig ein Traum. Die

Toden stehen noch nicht auf-wer sagt, dass ich zittere und bleich bin? Es ist mir ja so leicht, so wol.

Daniel. Ihr seyd todenbleich, eure Stimme ist bang und lallet. Franz. Ich habe das Fieber. Sage du nur, wenn der Pastor kommt, ich habe das Fieber. Ich will morgen zur Ader lassen, sage dem Pastor.

Daniel. Befehlt ihr, dass ich euch Lebensbalsam auf Zucker tröpfle ?

Franz. Tröpfle mir auf Zucker! der Pastor wird nicht sogleich da seyn. Meine Stimme ist bang und lallet, gib Lebensbalsam auf 10 Zucker!

Daniel. Gebt mir erst die Schlüssel, ich will drunten holen im Schrank

Franz. Nein, nein, nein! Bleib! oder ich will mit dir gehn. Du siehst, ich kann nicht allein seyn! wie leicht könnt ich, du siehst ja―unmächtig-wenn ich allein bin. Lass nur, lass nur! Es wird vorübergehen, du bleibst.

Daniel. Oh ihr seyd ernstlich krank.

Franz. Ja freylich, freylich! das ists alles.-Und Krankheit verstöret das Gehirn, und brütet tolle und wunderliche Träume 20 aus-Träume bedeuten nichts-nicht wahr Daniel? Träume kommen ja aus dem Bauch, und Träume bedeuten nichts-ich hatte so eben einen lustigen Traum. Er sinkt unmächtig nieder.

Daniel. Jesus Christus! was ist das? Georg! Conrad! Bastian! Martin! so gebt doch nur eine Urkund von euch! Rüttelt ihn. Maria, Magdalena und Joseph! so nimmt doch nur Vernunft an! So wirds heissen, ich hab ihn tod gemacht, Gott erbarme sich meiner !

Franz verwirrt. Weg-weg! was rüttelst du mich so, scheussliches Todengeripp?—die Toden stehen noch nicht auf—

Daniel. O du ewige Güte! Er hat den Verstand verloren. Franz richtet sich matt auf. Wo bin ich ?-du Daniel? was hab ich gesagt? merke nicht drauf! ich hab eine Lüge gesagt, es sey was es wolle-komm! hilf mir auf!-es ist nur ein Anstos von Schwindel-weil ich-weil ich-nicht ausgeschlafen habe.

Daniel. Wär nur der Johann da! ich will Hülfe rufen, ich will nach Ärzten rufen.

30

Franz. Bleib! sez dich neben mich auf diesen Sopha-so-du bist ein gescheuter Mann, ein guter Mann. Lass dir erzählen! Daniel. Izt nicht, ein andermal! ich will euch zu Bette bringen, Ruhe ist euch besser.

Franz. Nein, ich bitte dich, lass dir erzählen, und lache mich derb aus!-Siehe mir dauchte, ich hätte ein königlich Mahl gehalten, und mein Herz wär guter Dinge, und ich läge berauscht im Rasen des Schlossgartens, und plözlich-es war zur Stunde des Mittagsplözlich, aber ich sage dir, lache mich derb aus!

Daniel. Plözlich?

10

Franz. Plözlich traf ein ungeheurer Donner mein schlummerndes Ohr, ich taumelte bebend auf, und siehe da war mirs, als säh ich aufflammen den ganzen Horizont in feuriger Lohe, und Berge und Städte und Wälder, wie Wachs im Ofen zerschmolzen, und eine heulende Windsbraut fegte von hinnen Meer Himmel und Erde da erscholls wie aus ehernen Posaunen: Erde gib deine Toden, gib deine Toden, Meer! und das nackte Gefild begonn zu kreisen, und aufzuwerfen Schedel und Rippen und Kinnbacken und Beine, die sich zusammenzogen in menschliche Leiber, und daher strömten unübersehlich, ein lebendiger Sturm: Damals sah ich 20 aufwärts, und siehe, ich stand am Fus des donnernden Sina, und über mir Gewimmel und unter mir, und oben auf der Höhe des Bergs auf drey rauchenden Stühlen drey Männer, vor den Blick flohe die Kreatur

Daniel. Das ist ja das leibhaft Konterfey vom jüngsten Tage. Franz. Nicht wahr? das ist tolles Gezeuge ? Da trat hervor Einer, anzusehen wie die Sternennacht, der hatte in seiner Hand einen eisernen Siegelring, den hielt er zwischen Aufgang und Niedergang und sprach: Ewig, heilig, gerecht, unverfälschbar! Es ist nur Eine Wahrheit, es ist nur Eine Tugend! Wehe, wehe, 30 wehe dem zweifelnden Wurme!-da trat hervor ein Zweyter, der hatte in seiner Hand einen blizenden Spiegel, den hielt er zwischen Aufgang und Niedergang, und sprach: Dieser Spiegel ist Wahrheit; Heucheley und Larven bestehen nicht-da erschrack ich und alles Volk, denn wir sahen Schlangen und Tyger und Leoparden Gesichter zurückgeworfen aus dem entsetzlichen Spiegel. Da trat hervor ein Dritter, der hatte in seiner Hand eine eherne Wage, die VOL. II.

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hielt er zwischen Aufgang und Niedergang, und sprach: tretet herzu, ihr Kinder von Adam-ich wäge die Gedanken in der Schaale meines Zornes! und die Werke mit dem Gewicht meines Grimms!

Daniel. Gott erbarme sich meiner.

Franz. Schneebleich stunden alle, ängstlich klopfte die Erwartung in jeglicher Brust. Da war mirs, als hört ich meinen Namen zuerst genannt aus den Wettern des Berges, und mein innerstes Mark gefror in mir, und meine Zähne klapperten laut. Schnell begonn die Waage zu klingen, zu donnern der Fels, und die Stunden zogen 10 vorüber, eine nach der andern an der links hangenden Schaale, und eine nach der andern warf eine Todsünde hinein

Daniel. Oh Gott vergeb euch!

Franz. Das that er nicht!-die Schaale wuchs zu einem Gebirge, aber die andere voll vom Blut der Versöhnung hielt sie noch immer hoch in den Lüften-zulezt kam ein alter Mann, schwer gebeuget von Gram, angebissen den Arm von wütendem Hunger, aller Augen wanden sich scheu vor dem Mann, ich kannte den Mann, er schnitt eine Locke von seinem silbernen Haupthaar, warf sie hinein in die Schaale der Sünden, und siehe, sie sank, sank plötzlich zum Ab- 20 grund, und die Schaale der Versöhnung flatterte hoch auf!-Da hört ich eine Stimme schallen aus dem Rauche des Felsen: Gnade, Gnade jedem Sünder der Erde und des Abgrunds! Du allein bist verworfen !-Tiefe Pause. Nun, warum lachst du nicht?

Daniel. Kann ich lachen, wenn mir die Haut schaudert? Träume kommen von Gott.

Franz. Pfui doch, pfui doch! sage das nicht! Heis mich einen Narren, einen aberwitzigen, abgeschmackten Narren! Thu das, lieber Daniel, ich bitte dich drum, spotte mich tüchtig aus!

Daniel. Träume kommen von Gott. Ich will für euch beten. Franz. Du lügst, sag ich-geh den Augenblick, lauf, spring, sieh, wo der Pastor bleibt, heiss ihn eilen, eilen, aber ich sage dir, du lügst. Daniel im Abgehn. Gott sey euch gnädig!

Franz.

Pöbel-Weisheit, Pöbelfurcht!-Es ist ja noch nicht ausgemacht, ob das Vergangene nicht vergangen ist, oder ein Auge findet

30

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