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ARTHUR SCHOPENHAUER.

[Scherer D. 619, E. II. 234.]

Geboren 1788 zu Danzig, aus reicher Handelsfamilie, zuerst Kaufmann, studierte dann in Göttingen und Berlin, zuerst Naturwissenschaften und Geschichte, dann Philosophie, habilitierte sich 1820 in Berlin, ohne eine Professur zu erlangen, und zog sich seit 1831 nach Frankfurt a. M. ins Privatleben zurück. Er starb 1860. Sein Hauptwerk 'Die Welt als Wille und Vorstellung' erschien zuerst 1819; sein letztes Werk 'Parerga und Paralipomena' eine Sammlung seiner kleineren philosophischen Schriften, 1851; seine Sämmtlichen Werke' wurden von Frauenstädt herausgegeben, 6 Bde. (Leipzig 1873-74, 1877).

AUS DIE WELT ALS WILLE UND Vorstellung.

ΙΟ

Es ist schon oben bemerkt, dass das Versetzen in den Zustand des reinen Anschauens am leichtesten eintritt, wenn die Gegenstände demselben entgegenkommen, d. h. durch ihre mannigfaltige und zugleich bestimmte und deutliche Gestalt leicht zu Repräsentanten ihrer Ideen werden, worin eben die Schönheit, im objektiven Sinne, besteht. Vor Allem hat die schöne Natur diese Eigenschaft und gewinnt dadurch selbst dem Unempfindlichsten wenigstens ein flüchtiges ästhetisches Wohlgefallen ab: ja, es ist so auffallend, wie besonders die Pflanzenwelt zur ästhetischen Betrachtung auffordert und sich gleichsam derselben aufdringt, dass man 20 sagen möchte, dieses Entgegenkommen stände damit in Verbindung, dass diese organischen Wesen nicht selbst, wie die thierischen Leiber, unmittelbares Objekt der Erkenntniss sind, daher sie des fremden verständigen Individuums bedürfen, um aus der Welt des blinden Wollens in die der Vorstellung einzutreten, weshalb sie gleichsam nach diesem Eintritt sich sehnten, um wenigstens mittelbar zu erlangen, was ihnen unmittelbar versagt ist. Ich lasse übrigens diesen gewagten und vielleicht an Schwärmerei gränzenden Gedanken ganz und gar dahingestellt seyn, da nur eine sehr innige und hingebende Betrachtung der Natur ihn erregen 30 oder rechtfertigen kann. Solange nun dieses Entgegenkommen der Natur, die Bedeutsamkeit und Deutlichkeit ihrer Formen, aus denen die in ihnen individualisirten Ideen uns leicht ansprechen, es

ist, die uns aus der dem Willen dienstbaren Erkenntniss blosser Relationen in die ästhetische Kontemplation versetzt und eben damit zum willensfreien Subjekt des Erkennens erhebt: so lange ist est bloss das Schöne, was auf uns wirkt, und Gefühl der Schönheit was erregt ist. Wenn nun aber eben jene Gegenstände, deren bedeutsame Gestalten uns zu ihrer reinen Kontemplation einladen, gegen den menschlichen Willen überhaupt, wie er in seiner Objektität, dem menschlichen Leibe, sich darstellt, ein feindliches Verhältniss haben, ihm entgegen sind, durch ihre allen Widerstand aufhebende Uebermacht ihn bedrohen, oder vor ihrer unermess- 10 lichen Grösse ihn bis zum Nichts verkleinern; der Betrachter aber dennoch nicht auf dieses sich aufdringende feindliche Verhältniss zu seinem Willen seine Aufmerksamkeit richtet; sondern, obwohl es wahrnehmend und anerkennend, sich mit Bewusstseyn davon abwendet, indem er sich von seinem Willen und dessen Verhältnissen gewaltsam losreisst und allein der Erkenntniss hingegeben, eben jene dem Willen furchtbaren Gegenstände als reines willenloses Subjekt des Erkennens ruhig kontemplirt, ihre jeder Relation fremde Idee allein auffassend, daher gerne bei ihrer Betrachtung weilend, folglich eben dadurch über sich selbst, seine Person, sein Wollen 20 und alles Wollen hinausgehoben wird :-dann erfüllt ihn das Gefühl des Erhabenen, er ist im Zustand der Erhebung, und deshalb nennt man auch den solchen Zustand veranlassenden Gegenstand erhaben. Was also das Gefühl des Erhabenen von dem des Schönen unterscheidet, ist dieses: beim Schönen hat das reine Erkennen ohne Kampf die Oberhand gewonnen, indem die Schönheit des Objekts, d. h. dessen die Erkenntniss seiner Idee erleichternde Beschaffenheit, den Willen und die seinem Dienste fröhnende Erkenntniss der Relationen, ohne Widerstand und daher unmerklich aus dem Bewusstseyn entfernte und dasselbe als reines 30 Subjekt des Erkennens übrig liess, so dass selbst keine Erinnerung an den Willen nachbleibt: hingegen bei dem Erhabenen ist jener Zustand des reinen Erkennens allererst gewonnen durch ein bewusstes und gewaltsames Losreissen von den als ungünstig erkannten Beziehungen desselben Objekts zum Willen, durch ein freies, von Bewusstseyn begleitetes Erheben über den Willen und die auf ihn sich beziehende Erkenntniss. Diese Erhebung muss mit Be

wusstseyn nicht nur gewonnen, sondern auch erhalten werden und ist daher von einer steten Erinnerung an den Willen begleitet, doch nicht an ein einzelnes, individuelles Wollen, wie Furcht oder Wunsch, sondern an das menschliche Wollen überhaupt, sofern es durch seine Objektität, den menschlichen Leib, allgemein ausgedrückt ist. Träte ein realer einzelner Willensakt ins Bewusstseyn, durch wirkliche, persönliche Bedrängniss und Gefahr vom Gegenstande; so würde der also wirklich bewegte individuelle Wille alsbald die Oberhand gewinnen, die Ruhe der Kontemplation unmöglich werden, der Eindruck des Erhabenen verloren gehen, 10 indem er der Angst Platz macht, in welcher das Streben des Individuums, sich zu retten, jeden andern Gedanken verdrängte.— Einige Beispiele werden sehr viel beitragen, diese Theorie des Aesthetisch-Erhabenen deutlich zu machen und ausser Zweifel zu setzen; zugleich werden sie die Verschiedenheit der Grade jenes Gefühls des Erhabenen zeigen. Denn da dasselbe mit dem des Schönen in der Hauptbestimmung, dem reinen, willensfreien Erkennen und der demselben nothwendig eintretenden Erkenntniss der ausser aller durch den Satz des Grundes bestimmten Relation stehenden Ideen, Eines ist und nur durch einen Zusatz, nämlich zo die Erhebung über das erkannte feindliche Verhältniss eben des kontemplirten Objekts zum Willen überhaupt, sich vom Gefühl des Schönen unterscheidet; so entstehen, je nachdem dieser Zusatz stark, laut, dringend, nah, oder nur schwach, fern, bloss angedeutet ist, mehrere Grade des Erhabenen, ja, Uebergänge des Schönen zum Erhabenen. Ich halte es der Darstellung angemessener, diese Uebergänge und überhaupt die schwächeren Grade des Eindrucks des Erhabenen zuerst in Beispielen vor die Augen zu bringen, obwohl Diejenigen, deren ästhetische Empfänglichkeit überhaupt nicht sehr gross und deren Phantasie nicht 30 lebhaft ist, bloss die später folgenden Beispiele der höheren, deutlicheren Grade jenes Eindrucks verstehen werden, an welche allein sie sich daher zu halten und die zuerst anzuführenden Beispiele der sehr schwachen Grade des besagten Eindrucks auf sich beruhen zu lassen haben.

Wie der Mensch zugleich ungestümer und finsterer Drang des Wollens... und ewiges, freies, heiteres Subjekt des reinen Erkennens...

ist; so ist, diesem Gegensatz entsprechend, die Sonne zugleich Quell des Lichtes, der Bedingung zur vollkommensten Erkenntnissart, und eben dadurch des erfreulichsten der Dinge, — und Quelle der Wärme, der ersten Bedingung des Lebens, d. i. aller Erscheinung des Willens auf den höheren Stufen derselben. Was daher für den Willen die Wärme, das ist für die Erkenntniss das Licht. Das Licht ist eben daher der grösste Demant in der Krone der Schönheit und hat auf die Erkenntniss jedes schönen Gegenstandes den entschiedensten Einfluss: seine Anwesenheit überhaupt ist unerlässliche Bedingung; seine günstige Stellung erhöht 10 auch die Schönheit des Schönsten. Vor allem Andern aber wird das Schöne der Baukunst durch seine Gunst erhöht, durch welche jedoch selbst das Unbedeutendeste zum schönsten Gegenstande wird. Sehen wir nun im strengen Winter, bei der allgemeinen Erstarrung der Natur, die Strahlen der niedrig stehenden Sonne von steinernen Massen zurückgeworfen, wo sie erleuchten, ohne zu wärmen, also nur der reinsten Erkenntnissweise, nicht dem Willen günstig sind; so versetzt die Betrachtung der schönen Wirkung des Lichtes auf diese Massen, uns, wie alle Schönheit, in den Zustand des reinen Erkennens, der jedoch hier durch die leise Erinnerung an 20 den Mangel der Erwärmung durch eben jene Strahlen, also des belebenden Princips, schon ein gewisses Erheben über das Interesse des Willens verlangt, eine leise Aufforderung zum Verharren im reinen Erkennen, mit Abwendung von allem Wollen, enthält, eben dadurch aber ein Uebergang vom Gefühl des Schönen zu dem des Erhabenen ist. Es ist der schwächste Anhauch des Erhabenen am Schönen, welches letztere selbst hier nur in geringem Grade hervortritt. Ein fast noch eben so schwaches Beispiel ist folgendes.

Versetzen wir uns in eine sehr einsame Gegend, mit unbe- 30 schränktem Horizont, unter völlig wolkenlosem Himmel, Bäume und Pflanzen in ganz unbewegter Luft, keine Thiere, keine Menschen, keine bewegte Gewässer, die tiefste Stille ;so ist solche Umgebung wie ein Aufruf zum Ernst, zur Kontemplation, mit Losreissung von allem Wollen und dessen Dürftigkeit: eben dieses aber giebt schon einer solchen, bloss einsamen und tiefruhenden Umgebung einen Anstrich des Erhabenen. Denn K k

VOL. II.

weil sie für den des steten Strebens und Erreichens bedürftigen Willen keine Objekte darbietet, weder günstige noch ungünstige, so bleibt nur der Zustand der reinen Kontemplation übrig, und wer dieser nicht fähig ist, wird der Leere des nichtbeschäftigten Willens, der Quaal der Langenweile, mit beschämender Herabsetzung Preis gegeben. Sie giebt insofern ein Maass unseres eigenen intellektualen Werthes, für welchen überhaupt der Grad unserer Fähigkeit zum Ertragen, oder Lieben der Einsamkeit ein guter Maassstab ist. Die geschilderte Umgebung giebt also ein Beispiel des Erhabenen in niedrigem Grad, indem in ihr dem Zustand des 10 reinen Erkennens, in seiner Ruhe und Allgenugsamkeit, als Kontrast, eine Erinnerung an die Abhängigkeit und Armsäligkeit des eines steten Treibens bedürftigen Willens beigemischt ist.-Dies ist die Gattung des Erhabenen, welche dem Anblick der endlosen Prärien im Innern Nord-Amerikas nachgerühmt wird.

Lassen wir nun aber eine solche Gegend auch der Pflanzen entblösst seyn und nur nackte Felsen zeigen; so wird, durch die gänzliche Abwesenheit des zu unserer Subsistenz nöthigen Organischen, der Wille schon geradezu beängstigt: die Oede gewinnt einen furchtbaren Charakter; unsere Stimmung wird mehr tragisch: 20 die Erhebung zum reinen Erkennen geschieht mit entschiedenerem Losreissen vom Interesse des Willens, und indem wir im Zustande des reinen Erkennens beharren, tritt das Gefühl des Erhabenen deutlich hervor.

In noch höherem Grade kann es folgende Umgebung veranlassen. Die Natur in stürmischer Bewegung; Helldunkel, durch drohende schwarze Gewitterwolken; ungeheure, nackte, herabhängende Felsen, welche durch ihre Beschränkung die Aussicht verschliessen; rauschende schäumende Gewässer; gänzliche Oede; Wehklage der durch die Schluchten streichenden Luft. Unsere 30 Abhängigkeit, unser Kampf mit der feindlichen Natur, unser darin gebrochener Wille, tritt uns jetzt anschaulich vor Augen: so lange aber nicht die persönliche Bedrängniss die Oberhand gewinnt, sondern wir in ästhetischer Beschauung bleiben, blickt durch jenen Kampf der Natur, durch jenes Bild des gebrochenen Willens, das reine Subjekt des Erkennens durch und fasst ruhig, unerschüttert, nicht mitgetroffen (unconcerned), an eben den Ge

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