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3.

AUS DER Vorrede zu DEN DEUTSCHEN SAGEN.

Es wird dem Menschen von heimathswegen ein guter Engel beigegeben, der ihn, wann er ins Leben auszieht, unter der vertraulichen Gestalt eines Mitwandernden begleitet; wer nicht ahnt, was ihm Gutes dadurch widerfährt, der mag es fühlen, wenn er die Grenze des Vaterlandes überschreitet, wo ihn jener verlässt. Diese wohlthätige Begleitung ist das unerschöpfliche Gut der Märchen, Sagen und Geschichte, welche nebeneinander stehen und uns nacheinander die Vorzeit als einen frischen und belebenden Geist nahe zu bringen 10 streben. Jedes hat seinen eigenen Kreis. Das Märchen ist poetischer, die Sage historischer; jenes stehet beinahe nur in sich selber fest, in seiner angeborenen Blüthe und Vollendung; die Sage, von

er eingeringeren Mannichfaltigkeit der Farbe, hat noch das Besondere, dass sie an etwas Bekanntem und Bewusstem hafte, an einem Ort oder einem durch die Geschichte gesicherten Namen. Aus dieser ihrer Gebundenheit folgt, dass sie nicht, gleich dem Märchen, überall zu Hause sein könne, sondern irgend eine Bedingung voraussetze, ohne welche sie bald gar nicht da, bald nur unvollkommener vorhanden sein würde. Kaum ein Flecken wird sich in ganz Deutsch- 20 land finden, wo es nicht ausführliche Märchen zu hören gäbe, manche, an denen die Volkssagen blos dünn und sparsam gesä't zu sein pflegen. Diese anscheinende Dürftigkeit und Unbedeutendheit zugegeben, sind sie dafür innerlich auch weit eigenthümlicher ; sie gleichen den Mundarten der Sprache, in denen hin und wieder sonderbare Wörter und Bilder aus uralten Zeiten hangen geblieben sind, während die Märchen ein ganzes Stück alter Dichtung, so zu sagen, in einem Zuge zu uns übersetzen. Merkwürdig stimmen auch die erzählenden Volkslieder entschieden mehr zu den Sagen, als zu den Märchen, die wiederum in ihrem Inhalt die 30 Anlage der frühesten Poesien reiner und kräftiger bewahrt haben, als es sogar die übrig gebliebenen grösseren Lieder der Vorzeit konnten. Hieraus ergiebt sich ohne alle Schwierigkeit, wie es kommt, dass fast nur allein die Märchen Theile der urdeutschen Heldensage erhalten haben, ohne Namen, (ausser wo diese allgemein und in sich selbst bedeutend wurden, wie der des alten

Hildebrand); während in den Liedern und Sagen unseres Volkes so viele einzelne, beinahe trockene Namen, Oerter und Sitten aus der ältesten Zeit festhaften. Die Märchen also sind theils durch ihre äussere Verbreitung, theils ihr inneres Wesen dazu bestimmt, den reinen Gedanken einer kindlichen Weltbetrachtung zu fassen, sie nähren unmittelbar, wie die Milch, mild und lieblich, oder der Honig, süss und sättigend, ohne irdische Schwere; dahingegen die Sagen schon zu einer stärkeren Speise dienen, eine einfachere, aber desto entschiedenere Farbe tragen, und mehr Ernst und Nachdenken fordern. Ueber den Vorzug beider zu streiten wäre ungeschickt; auch soll 10 durch diese Darlegung ihrer Verschiedenheit weder ihr Gemeinschaftliches übersehen, noch geleugnet werden, dass sie in unendlichen Mischungen und Wendungen in einander greifen und sich mehr oder weniger ähnlich werden. Der Geschichte stellen sich beide, das Märchen und die Sage, gegenüber, insofern sie das sinnlich natürliche und begreifliche stets mit dem unbegreiflichen mischen, welches jene, wie sie unserer Bildung angemessen scheint, nicht mehr in der Darstellung selbst verträgt, sondern es auf ihre eigene Weise in der Betrachtung des Ganzen neu hervorzusuchen und zu ehren weiss. Die Kinder glauben an die Wirklichkeit der 20 Märchen, aber auch das Volk hat noch nicht ganz aufgehört, an seine Sagen zu glauben, und sein Verstand sondert nicht viel darin; sie werden ihm aus den angegebenen Unterlagen genug bewiesen, d. h. das unleugbar, nahe und sichtliche Dasein der letzteren überwiegt noch den Zweifel über das damit verknüpfte Wunder. Diese Eingenossenschaft der Sage ist folglich gerade ihr rechtes Zeichen. Daher auch von dem, was wirkliche Geschichte heisst, (und einmal hinter einen gewissen Kreis der Gegenwart und des von jedem Geschlechte durchlebten tritt,) dem Volke eigentlich nichts zugebracht werden kann, als was sich ihm auf dem Wege der 30 Sage vermittelt; einer in Zeit und Raum zu weit entrückten Begebenheit, der dieses Erfordernis abgeht, bleibt es fremd oder lässt sie bald wieder fallen. Wie unverbrüchlich sehen wir es dagegen an seinen eingeerbten und hergebrachten Sagen haften, die ihm in rechter Ferne nachrücken und sich an alle seine vertrautesten Begriffe schliessen. Niemals können sie ihm langweilig werden, weil sie ihm kein eiteles Spiel, das man einmal wieder fahren lässt, sondern eine Nothwen

digkeit scheinen, die mit ins Haus gehört, sich von selbst versteht, und nicht anders, als mit einer gewissen, zu allen rechtschaffenen Dingen nöthigen Andacht bei dem rechten Anlass, zur Sprache kommt. Jene stete Bewegung und dabei immerfortige Sicherheit der Volkssagen stellt sich, wenn wir es deutlich erwägen, als eine der trostreichsten und erquickendsten Gaben Gottes dar. Um alles menschlichen Sinnen ungewöhnliche, was die Natur eines Landstrichs besitzt, oder wessen ihn die Geschichte gemahnt, sammelt sich ein Duft von Sage und Lied, wie sich die Ferne des Himmels blau anlässt und zarter, feiner Staub um Obst und Blumen setzt. 10 Aus dem Zusammenleben und Zusammenwohnen mit Felsen, Seen, Trümmern, Bäumen, Pflanzen entspringt eine Art von Verbindung, die sich auf die Eigenthümlichkeit jedes dieser Gegenstände gründet, und zu gewissen Stunden ihre Wunder zu vernehmen berechtigt ist. Wie mächtig das dadurch entstehende Band sei, zeigt an natürlichen Menschen jenes herzzerreissende Heimweh. Ohne diese sie begleitende Poesie müssten edle Völker vertrauern und vergehen; Sprache, Sitte und Gewohnheit würde ihnen eitel und unbedeckt dünken, ja hinter allem, was sie besässen, eine gewisse Einfriedigung fehlen. Auf solche Weise verstehen wir das Wesen zo und die Tugend der deutschen Volkssage, welche Angst und Warnung vor dem Bösen und Freude an dem Guten mit gleichen Händen austheilt. Noch geht sie an Oerter und Stellen, die unsere Geschichte längst nicht mehr erreichen kann, vielmal aber fliessen sie beide zusammen und untereinander; nur dass man zuweilen die an sich untrennbar gewordene Sage, wie in Strömen das aufgenommene grünere Wasser eines anderen Flusses, noch lange zu erkennen vermag.

4.

JACOB GRIMM.

AUS DER VORREDE ZUM ERSTEN THEIL DER DEUTSCHEN

GRAMMATIK, 1819.

Seit man die deutsche Sprache grammatisch zu behandeln angefangen hat, sind zwar schon bis auf Adelung eine gute Zahl Bücher und von Adelung an bis auf heute eine noch fast grössere darüber

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Den

erschienen. Da ich nicht in diese Reihe, sondern ganz aus ihr heraustreten will; so muss ich gleich vorweg erklären, warum ich die Art und den Begriff deutscher Sprachlehren, zumal der in dem letzten halben Jahrhundert bekannt gemachten und gutgeheissenen für verwerflich, ja für thöricht halte. Man pflegt allmälig in allen Schulen aus diesen Werken Unterricht zu ertheilen und sie selbst Erwachsenen zur Bildung und Entwickelung ihrer Sprachfertigkeit anzurathen. Eine unsägliche Pedanterei, die es Mühe kosten würde, einem wieder auferstandenen Griechen oder Römer nur begreiflich zu machen; die meisten mitlebenden Völker haben aber 10 hierin so viel gesunden Blick vor uns voraus, dass es ihnen schwerlich in solchem Ernste beigefallen ist, ihre eigene Landessprache unter die Gegenstände des Schulunterrichts zu zählen. geheimen Schaden, den dieser Unterricht, wie alles überflüssige, nach sich zieht, wird eine genauere Prüfung bald gewahr. Ich behaupte nichts anders, als dass dadurch gerade die freie Entfaltung des Sprachvermögens in den Kindern gestört und eine herrliche Anstalt der Natur, welche uns die Rede mit der Muttermilch eingibt und sie in dem Befang des elterlichen Hauses zu Macht kommen lassen will, verkannt werde. Die Sprache gleich allem Natürlichen und Sitt- 20 lichen ist ein unvermerktes, unbewusstes Geheimniss, welches sich in der Jugend einpflanzt und unsere Sprechwerkzeuge für die eigenthümlichen vaterländischen Töne, Biegungen, Wendungen, Härten oder Weichen bestimmt; auf diesem Eindruck beruht jenes unvertilgliche, sehnsüchtige Gefühl, das jeden Menschen befällt, dem in der Fremde seine Sprache und Mundart zu Ohren schallt; zugleich beruhet darauf die Unlernbarkeit einer ausländischen Sprache, d. h. ihrer innigen und völligen Uebung. Wer könnte nun glauben, dass ein so tief angelegter, nach dem natürlichen Gesetze weiser Sparsamkeit aufstrebender Wachsthum durch die abgezogenen, matten und miss- 30 gegriffenen Regeln der Sprachmeister gelenkt oder gefördert würde und wer betrübt sich nicht über unkindliche Kinder und Jünglinge, die rein und gebildet reden, aber im Alter kein Heimweh nach ihrer Jugend fühlen. Frage man einen wahren Dichter, der über Stoff, Geist und Regel der Sprache gewiss ganz anders zu gebieten weiss, als Grammatiker und Wörterbuchmacher zusammengenommen, was er aus Adelung gelernt habe und ob er ihn nachgeschlagen? Vor

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sechshundert Jahren hat jeder gemeine Bauer Vollkommenheiten und Feinheiten der deutschen Sprache gewusst, d. h. täglich ausgeübt, von denen sich die besten heutigen Sprachlehrer nichts mehr träumen lassen; in den Dichtungen eines Wolframs von Eschenbach, eines Hartmanns von Aue, die weder von Declination noch von Conjugation je gehört haben, vielleicht nicht einmal lesen und schreiben konnten, sind noch Unterschiede beim Substantivum und Verbum mit solcher Reinlichkeit und Sicherheit in der Biegung und Setzung befolgt, die wir erst nach und nach auf gelehrtem Wege wieder entdecken müssen, aber nimmer zurückführen dürfen, 10 denn die Sprache geht ihren unabänderlichen Gang. Sollte es mir nicht gelungen seyn, die früheren Eigenschaften und Schicksale unserer deutschen aus den verbliebenen Denkmälern getreu darzustellen; so zweifle ich gleichwohl nicht, würde eine noch mangelhaftere Ausführung dessen, was ich im Sinn gehabt, genug siegende Kraft in sich tragen, um die völlige Unzulänglichkeit der bisher ausgeklügelten Regeln in den einfachsten Grundzügen, aus denen alles übrige fliesst, offenbar zu machen. Sind aber diese Sprachlehren selbst Täuschung und Irrthum; so ist der Beweis schon geführt, welche Frucht sie in unseren Schulen bringen und wie sie 20 die von selbst treibenden Knospen abstossen statt zu erschliessen. Wichtig und unbestreitbar ist hier auch die von vielen gemachte Beobachtung, dass Mädchen und Frauen, die in der Schule weniger geplagt werden, ihre Worte reinlicher zu reden, zierlicher zu setzen und natürlicher zu wählen verstehen, weil sie sich mehr nach dem kommenden inneren Bedürfniss bilden, die Bildsamkeit und Verfeinerung der Sprache aber mit dem Geistes fortschritt überhaupt sich von selbst einfindet und gewiss nicht ausbleibt. Jeder Deutsche, der sein Deutsch schlecht und recht weiss, d. h. ungelehrt, darf sich, nach dem treffenden Ausdruck eines Franzosen: eine 30 selbsteigene, lebendige Grammatik nennen und kühnlich alle Sprachmeisterregeln fahren lassen.

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