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Schäfer, sprach er, du nennest mich den blutgierigen Räuber, der ich doch wirklich nicht bin. Freylich muß ich mich an deine Schafe halten, wenn mich hungert; denn Hunger thut weh. Schüge mich nur vor dem Hunger; mache mich nur satt, und du sollst mit mir recht wohl zufrieden seyn. Denn ich bin wirklich das zahmste, sanftmüthigste Thier, wenn ich satt bin.

Wenn du satt bist? Das kann wohl seyn: verseßte der Schäfer. Aber wenn bist du denn satt? Du und der Geig werden es nie. Geh deinen Weg!

17. [2]

Der abgewiesene Wolf kam zu einem zweyten Schäfer. Du weißt, Schäfer, war seine Anrede, daß ich dir, das Jahr durch, manches Schaf würgen könnte. Willst du mir überhaupt jedes Jahr sechs Schafe geben; so bin ich zufrieden. Du kannst alsdenn sicher schlafen, und die Hunde ohne Bedenken abschaffen.

Sechs Schafe? sprach der Schäfer. Das ist ja eine ganze Heerde!

Nun, weil du es bist, so will ich mich mit fünfen begnügen: sagte der Wolf.

,,Du scherzest; fünf Schafe! Mehr als fünf Schafe opfre ,,ich kaum im ganzen Jahre dem Pan.“

Auch nicht viere? fragte der Wolf weiter; und der Schäfer schüttelte spöttisch den Kopf.

,,Drey? Zwey?"

-

Nicht ein einziges; fiel endlich der Bescheid. Denn es wäre ja wohl thöricht, wenn ich mich einem Feinde zinsbar machte, vor welchem ich mich durch meine Wachsamkeit sichern kann.

18. [3]

Aller guten Dinge sind drey; dachte der Wolf und kam zu einem dritten Schäfer.

Es geht mir recht nahe, sprach er, daß ich unter euch Schäfern als das grausamste, gewissenloseste Thier verschrieen bin.

Dir, Montan, will ich igt beweisen, wie unrecht man mir thut. Gib mir jährlich ein Schaf, so soll deine Heerde in jenem Walde, den niemand unsicher macht, als ich, frey und unbeschädigt weiden dürfen. Ein Schaf! Welche Kleinigkeit! Könnte ich großmüthiger, könnte ich uneigennügiger handeln? Du lachst, Schäfer? Worüber lachst du denn?

Düber nichts! Aber wie alt bist du, guter Freund? sprach der Schäfer.

,,Was geht dich mein Alter an? Immer noch alt genug, ,,dir deine liebsten Lämmer zu würgen."

Erzürne dich nicht, alter Jsegrim. Es thut mir Leid, daß du mit deinem Vorschlage einige Jahre zu spät kömmst. Deine ausgebissenen Zähne verrathen dich. Du spielst den Uneigennügigen, bloß um dich desto gemächlicher, mit desto weniger Gefahr nähren zu können.

19. [4]

Der Wolf ward ärgerlich, faßte sich aber doch, und ging auch zu dem vierten Schäfer. Diesem war eben sein treuer Hund gestorben, und der Wolf machte sich den Umstand zu Nuge.

Schäfer, sprach er, ich habe mich mit meinen Brüdern in dem Walde veruneiniget, und so, daß ich mich in Ewigkeit nicht wieder mit ihnen aussöhnen werde. Du weißt, wie viel du von ihnen zu fürchten hast! Wenn du mich aber anstatt deines verstorbenen Hundes in Dienste nehmen willst, so stehe ich dir dafür, daß sie keines deiner Schafe auch nur scheel ansehen sollen.

Du willst sie also, versezte der Schäfer, gegen deine Brűder im Walde beschügen?

,,Was meine ich denn sonst? Freylich."

Das wäre nicht übel! Aber, wenn ich dich nun in meine Horden einnähme, sage mir doch, wer sollte alsdenn meine ar men Schafe gegen dich beschüßen? Einen Dich ins Haus nehmen, um vor den Dieben außer dem Hause sicher zu seyn, das halten wir Menschen

Ich höre schon: sagte der Wolf; du fängst an zu moralisiren. Lebe wohl!

Lessings Werke I.

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20. [5]

Wäre ich nicht so alt! knirschte der Wolf. Aber ich muß mich, leider, in die Zeit schicken. Und so kam er zu dem fünften Schäfer.

Kennst du mich, Schäfer? fragte der Wolf.

Deines gleichen wenigstens kenne ich: verseßte der Schäfer. ,,Meines gleichen? Daran zweifle ich sehr. Ich bin ein so ,,sonderbarer Wolf, daß ich deiner und aller Schäfer Freund,,schaft wohl werth_bin.“

Und wie sonderbar bist du denn?

,,Ich könnte kein lebendiges Schaf würgen und fressen, und ,, wenn es mir das Leben kosten sollte. Ich nähre mich blos ,,mit todten Schafen. Ist das nicht löblich? Erlaube mir ,,also immer, daß ich mich dann und wann bei deiner Heerde ,,einfinden, und nachfragen darf, ob dir nicht "

Spare der Worte! sagte der Schäfer. Du müßtest gar keine Schafe fressen, auch nicht einmal todte, wenn ich dein Feind nicht seyn sollte. Ein Thier, das mir schon todte Schafe frißt, lernt leicht aus Hunger kranke Schafe für todt, und gesunde für krank ansehen. Mache auf meine Freundschaft also keine Rechnung, und geh!

21. [6]

Ich muß nun schon mein Liebstes daran wenden, um zu meinem Zwecke zu gelangen! dachte der Wolf, und kam zu dem sechsten Schäfer.

Schäfer, wie gefällt dir mein Belz? fragte der Wolf.

Dein Belz? sagte der Schäfer. Laß sehen! Er ist schön; die Hunde müssen dich nicht oft unter gehabt haben.

"

Nun so höre, Schäfer; ich bin alt, und werde es so „lange nicht mehr treiben. Füttere mich zu Tode; und ich ,,vermache dir meinen Belz.“

Ey sich doch! sagte der Schäfer. Kömmst du auch hinter die Schliche der alten Geißhälse? Nein, nein; dein Belz würde mich am Ende siebenmal mehr kosten, als er werth

wäre. Ist es dir aber ein Ernst, mir ein Geschenk zu machen,

so gieb mir ihn gleich ist.

Hiermit grif der Schäfer nach

der Keule, und der Wolf flohe.

22. [7]

O die Unbarmherzigen! schrie der Wolf, und gerieth in die äußerste Wuth. So will ich auch als ihr Feind sterben, che mich der Hunger tödtet; denn sie wollen es nicht besser!

Er lief, brach in die Wohnungen der Schäfer ein, riß ihre Kinder nieder, und ward nicht ohne große Mühe von den Schäfern erschlagen.

Da sprach der Weiseste von ihnen: Wir thaten doch wohl Unrecht, daß wir den alten Räuber auf das Aeußerste brachten, und ihm alle Mittel zur Besserung, so spät und erzwungen sie auch war, benahmen!

23. Die Maus.

Eine philosophische Maus pries die gütige Natur, daß sie die Mäuse zu einem so vorzüglichen Gegenstande ihrer Erhaltung gemacht habe. Denn eine Helfte von uns, sprach sie, erhielt von ihr Flügel, daß, wenn wir hier unten auch alle von den Kagen ausgerottet würden, sie doch mit leichter Mühe aus den Fledermäufen unser ausgerottetes Geschlecht wieder herstellen fönnte.

Die gute Maus wußte nicht, daß es auch geflügelte Kagen giebt. Und so beruhet unser Stolz meistens auf unsrer Unwissenheit!

24. Die Schwalbe.

Glaubet mir, Freunde; die große Welt ist nicht für den Weisen, ist nicht für den Dichter! Man kennet da ihren wahren Werth nicht, und ach! sie sind oft schwach genug, ihn mit einem nichtigen zu vertauschen.

In den ersten Zeiten war die Schwalbe ein eben so tonrei= cher, melodischer Vogel, als die Nachtigall. Sie ward es aber

bald müde, in den einsamen Büschen zu wohnen, und da von niemand, als dem fleißigen Landmanne und der unschuldigen Schäferinn gehöret und bewundert zu werden. Sie verließ ihre demüthigere Freundin, und zog in die Stadt. Was geschah? Weil man in der Stadt nicht Zeit hatte, ihr göttliches Lied zu hören, so verlernte sie es nach und nach, und lernte dafür bauen.

25. Der Adler.

Man fragte den Adler: warum erziehest du deine Jungen so hoch in der Luft?

Der Adler antwortete: Würden sie sich, erwachsen, so nahe zur Sonne wagen, wenn ich sie tief an der Erde erzöge?

26. Der junge und der alte Hirsch.

Ein Hirsch, den die gütige Natur Jahrhunderte leben lassen, sagte einst zu einem seiner Enkel: Ich kann mich der Zeit noch sehr wohl erinnern, da der Mensch das donnernde Feuerrohr noch nicht erfunden hatte.

Welche glückliche Zeit muß das für unser Geschlecht gewesen seyn! seufzete der Enkel.

Du schließest zu geschwind! sagte der alte Hirsch. Die Zeit war anders, aber nicht besser. Der Mensch hatte da, anstatt des Feuerrohres, Pfeile und Bogen; und wir waren eben so schlimm daran, als igt.

27. Der Pfau und der Hahn.

Einst sprach der Pfau zu der Henne: Sich einmal, wie hochmüthig und trogig dein Hahn einher tritt! Und doch sagen die Menschen nicht: der stolze Hahn; sondern nur immer: der stolze Pfau.

Das macht, sagte die Henne, weil der Mensch einen gegründeten Stolz übersiehet. Der Hahn ist auf seine Wachsamkeit, auf seine Mannheit stolz; aber worauf du? - Auf Farben und Federn.

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