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find! Ich rede nicht von der politischen Verfassung, sondern bloß von dem sittlichen Charakter. Fast sollte man sagen, dieser sey: teinen eignen haben zu wollen. Wir sind noch immer die geschwornen Nachahmer alles Ausländischen, bes sonders noch immer die unterthänigen Bewunderer der nie genug bewunderten Franzosen; alles, was uns von jenseit des Rheins kommt, ist schön, reizend, allerliebst, göttlich; lieber verleugnen wir Gesicht und Gehör, als daß wir es anders finden sollten; lieber wollen wir Plumpheit für Uns gezwungenheit, Frechheit für Grazie, Grimasse für Auss druck, ein Geflingel von Reimen für Poesie, Geheul für Musik, uns einreden lassen, als im Geringsten an der Sus perioritåt zweifeln, welche dieses liebenswürdige Volk, dies ses erste Volk in der Welt, wie es sich selbst sehr bescheiden zu nennen pflegt, in Allem, was gut und schön und erhas ben und anständig ist, von dem gerechten Schicksale zu seis nem Antheil erhalten hat.“ Wenn dieß seit fünf und zwanzig Jahren weniger der Fall geworden ist, wenn der Deutsche seitdem, wie wohl nicht zu leugnen steht, mehr Ges fühl für seine eigne Würde und für das Allgemeingute in Sitten und Denkungsart erhalten hat; so bleiben doch der Hindernisse noch genug, die der Originalität unsrer komischen Darstellung im Wege stehen. Ueberhaupt kommt, nach der gegründeten Bemerkung eines scharfsinnigen Kunstrichters *), bei einer Nation, die sich bildet, das tragische Genie natür licherweise weit eher zur Reife, als das komische. „Zum Tragischen braucht die Nation weder Sitten noch Lebensart zu haben. Die handelnden Personen find Helden, die bei der rohesten Nation einige Begriffe von der Anständigkeit in den Sitten besigen, aber noch nicht so sehr an diesen Begrif fen gekünstelt haben, daß sie aus Wohlstand ihre Leidens fchaften hätten verbergen gelernt. Dieses ist die glücklichste Situas

*) Briefe, die neueste Literatur betreffend, Th. XXI, S. 129.

Situation für das Trauerspiel, das, eigentlich zu reden, kein Gemählde der Sitten aufstellen, sondern Leidenschaften erregen soll. Das Lustspiel hingegen, dem keine so mächtige Triebfedern, als die Leidenschaften find, zu Dienste stehen, muß Wohl- und Uebelstand in einen Kontrast bringen, die Triebe eines wohl erzogenen Mannes mit der feinern Lebenss art in Konflikt kommen lassen, um das edle Komische zu ers halten, das auch den Weisen vergnügt; denn von dem Post senhaften ist hier die Rede nicht. Die Komödie ist weit mehr Nachahmung, mehr Portråt, als das Trauerspiel; daher sie sich auch weigert, in unbekannte Derter oder Zeiten vers legt zu werden, wie das Trauerspiel. Die Zuschauer müss sen mit den handelnden Personen vom Anståndigen ähnliche Begriffe haben, und alle ihre Verbindungen und Verhälts nisse kennen, wenn sie ihre bürgerlichen Handlungen aus dem gehörigen Augenpunkte betrachten, und das Lächerliche derselben fassen sollen. Der Dichter selbst muß die Urbilder vor Augen haben, muß den feinsten Umgang genießen, muß den ausgebildetesten, üppigsten Theil der Nation kennen lernen, um seinen Unterredungen Leben und Bewegung, und seinen komischen Situationen Salz zu geben.",,Ich weiß. nicht, fährt dieser Kunstrichter fort, ob wir Deutschen noch nicht reif genug zum Komischen sind. So viel merke ich, daß uns die Dichter allezeit fremde Sitten leihen, wenn sie im Komischen glücklich seyn wollen. Man macht uns so flatterhaft, so frech, so scheinverliebt, als die französischen Marquis, oder so offenherzig und so launisch, als man die Engländer vorzustellen pflegt. Unfre Charaktere sind der Komödie zu ruhig, zu kaltvernünftig; unsre Lebensart zu einförmig und standesmåßig; unser Umgang zu steif, und unsre gewöhnlichen Gespräche zu leer und zu wißlos. Wir find mehr langweilig als lächerlich.“ — Gern geb' ich zu, daß sich auch hierin in den beiden leßten Jahrzehnden vieles verändert hat. Der deutsche Charakter scheint in demselben

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wirklich mehr Hervorstechendes, mehr Energie im Ganzen gewonnen zu haben; und selbst unsre Sitten sind, freilich wohl nicht moralisch besser, aber doch poetisch mannichfaltis ger geworden. Ist diese Bemerkung aber gegründet, so ist aus ihr und einigen neuern beifallswürdigen dramatischen Versuchen, für die größere Vervollkommung des deutschen Lustspiels günstige Hoffnung zu schöpfen,

II.

Johann Elias Schlegel.

6. B. I. S. 298. Die dramatischen Arbeiten dieses allzu jung verstorbenen, und immer noch sehr schäßenss würdigen Dichters unterscheiden sich von allen åhnlichen Wers ten seiner Borgånger und Zeitgenossen so sehr, daß man ihn als Schöpfer des bessern deutschen Geschmacks, sowohl in der komischen als tragischen Gattung, anzusehen hat. Schon in seinen Schuljahren arbeitete er an einer prosaischen Uebers Segung der Elektra des Sophokles, und entwarf bald hers nach ein eignes Trauerspiel, Während seines akademischen Aufenthalts in Leipzig ermunterte ihn Gottsched zu fernern dramatischen Arbeiten; der Jünger war gar bald über seis nen Meister; und in der Gottschedischen deutschen Schauf bühne stechen die Schlegelschen Schauspiele gar sehr vor allen abrigen hervor. Unstreitig aber sind die Verdienste dieses Dichters in der tragischen Dichtungsart größer, als in der tomischen. Seine Lustspiele sind: Der geschäftige tüffiggånger Der Geheimnißvolle Der Triumph der Die ftumine Schöns heit Die Langeweile. Auch findet man in der Samms Jung seiner Werke noch einige unvollendete dramatische Frags mente und Entwürfe. Den Werth dieser Stücke weiß ich nicht besser zu würdigen, als mit den Worten des oben anger

guten Frauen

Der gute Rath

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führten

führten Kunstrichters in den Literaturbriefen *): „Ich habe, sagt er, den geschäftigen Müssiggånger dee Hrn. Schlegel ́gelesen. Die Charaktere schienen mir vollkommen nach dem Leben; solche Müssiggånger, solche in ihre Kinder vernarrte Mütter, solche schalwitzige Besuche, und solche dumme Pelzs håndter, sehen wir alle Tage. So denkt, so lebt, so hans delt der Mittelstand unter den Deutschen. Der Dichter hatseine Pflicht gethan; er hat uns geschildert, wie wir sind. Allein ich gähnte vor Langerweile **). Den Geheims nißvola

25

*) Th. XXI, S. 132 ff. Die Recension ist von Moses Mens delssohn; und Lessing, der dessen Urtheit in seiner Dramaturgie, St. 52, aussieht, und unterschreibt, segt am Ende hinju: „Ich freue mich, daß die beste deutsche Komödie dem „richtigsten deutschen Beurtheiler in die Hände gefallen ist. ,,ind doch war es vielleicht die erste Komödie, die dieser „Mann beurtheilte."

**) Leffing urtheilt am angef. Orte von dem gefchäftigen Müss figgänger, daß er das kdlteste, langweiligste udtagsgewäsche enthalte, das nur immer in dem Hause eines Meißnischen Pelshandlers vorfallen kann. Der Geheimnißvolle, sagt er, ist um vieles beffer; ob es gleich der Geheimnißvolle gar nicht geworden, den Moliere in der Stelle (Misanthrope, Act, II. Sc. 4.) geschildert hat, aus welcher Schlegel den Anlaß zu diesem Stücke wollte genommen haben. Moliere's Ges heimnisvoller ist ein Geck, der sich ein wichtiges Anschen ges ben will; Schlegels Geheimnißvoller aber ein gutes ehrliches Schaf, das den Fuchs spielen will, um von den Wölfen nicht gefreffen zu werden, Der Triumph der guten Frauen hingegen hat überall, wo er nur aufgeführt worden, einen sehr vorzüglichen Beifall erhalten; und daß sich dieser Beifall auf wahre Schönheiten gründen müsse, daß er nicht das Werk einer überraschenden, blendenden Vorstellung sen, ist daher klar, weil ihn noch Niemand, nach Lesung des Stücks, zurück genommen. Wer es zuerst gelesen, dem gefällt es um so viel mehr, wenn er es spielen sieht; und wer es zuerst spielen ges sehen, dem gefällt es um so viel mehr, wenn er es lieset.

Auch

nißvollen überschlug ich, und las den Triumph der guten Frauen. Welcher Unterschied! Hier finde ich Leben in den Charakteren, Feuer in ihren Handlungen, ächten Wih in ihren Gesprächen, und den Ton einer feinen Lebensart in ihrem ganzen Umgange. Das Stück gefiel mir so sehr, daß ich es mehr als Einmal durchlesen musste. Mit einigem Widerwillen merkte ich zuleßt, daß diese Charaktere nicht Deutsch sind. Cikander ist ein französischer Abentheurer, der auf Eroberungen ausgeht, allen Frauenzimmern nachs stellt, teinem im Ernst gewogen ist, alle ruhige Ehen in Uns einigkeit zu stürzén, aller Frauen Verführer und aller Månner Schrecken zu werden sucht, und der bei allem diesem kein schlechtes Herz hat. Das herrschende Verderbniß der Sitten und Grundsäge scheint ihn mit fortgerissen zu haben. Gotts lob! daß ein Deutscher, der so leben will, das verderbteste Herz von der Welt haben muß. — ilaria, des Titanders Frau, die er vier Wochen nach der Hochzeit verlassen, und nunmehr in zehn Jahren nicht gesehen hat, kommt auf den Einfall ihn aufzusuchen. Sie kleidet sich als eine Mannst person, und folgt ihm, unter dem Namen Philinte, in alle Häuser nach, wo er Abentheuer suchte. Philinte ist wiķi, ger, flatterhafter und unverschämter, als L7ikander. Das Frauenzimmer ist dem Philinte mehr gewogen; und so bald er mit seinem frechen, aber doch artigen Wesen sich sehen lässt, steht Nikander da, wie verstummt. Dieses giebt Ges legenheit zu sehr lebhaften Situationen. Die Erfindung ist artig, der zwiefache Charakter wohl gezeichnet, und glücklich mit in Bewegung geseßt; aber das Original zu diesem Petitmaitre ist gewiß kein Deutscher. Was mir an diesem Lustspiele mißfällt, ist der Charakter des Agenor.

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Den Triumph

Auch haben es die frengßten Kunstrichter eben so sehr seinen übrigen Luftspielen, als diese überhaupt dem gewöhnlichen Praffe deutscher Komödien vorgezogen.

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