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das Tereld; da wollte er von Dem nichts hören, was die zahme, abgeschliffene, keiner kräftigen Leidenschaft fähige Welt Anstand und guten Ton nennt. — Viele haben damals und jetzt die Kriegsführung Lessings nicht verträglich gefunden mit den Forderungen christlicher Milde und Liebe. Aber diese vergessen, daß man mit Kolben drein schlagen und doch Liebe im Herzen tragen kann, daß ohne Leidenschaft nichts Großes in der Welt vollbracht wird, daß auch Christus nicht jenes heiligen Zorns, mit dem er die Pharifäer und Schriftgelehrten vernichtete, fähig gewesen, wenn sein Herz nicht von Liebe überflossen wäre. Wenn Lessing und Goeze gegeneinanderstehen, steht nicht Person gegen Person, sondern Sache gegen Sache, Gedanken gegen Gedanken, Princip gegen Princip; die schließen sich aus und sollen keine Milde und Liebe kennen; aber derselbe, der eben mit der ganzen Entrüstung seines Wahrheitseifers im Gegner das falsche Princip und dessen abscheuliche Folgen gegeißelt hat er würde das Leben des Gegners aus den Wellen oder dessen Ehre aus dem Munde des Verleumders retten, wenn sich Gelegenheit böte.

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Lessings Nathan" - dieses Evangelium der Humanität und der Liebe, das Evangelium Jesu Christi selber nach derjenigen Seite, nach welcher er bisher am Wenigsten gefannt und geübt worden. Man hat den Nathan eine Sottise auf das Christenthum gescholten und auch Gemäßigtere haben darin ein Unrecht gegen das Christenthum gefunden, daß im Nathan die Christen fast alle lieblos und inhuman, dagegen der Jude und der Muhamedaner als die Vertreter der Liebe und der wahren Humanität dargestellt werden. Wenn Christus, der als Jude zu Juden sprach, in der bekannten Parabel vom barmherzigen Samariter — dem geistesverwandten Vorläufer des Nathan den Samariter zum Träger der über Nationalität und Glaubensbekenntniß erhabenen rein menschlichen Liebe, dagegen den jüdischen Priester und Leviten zu Vertretern der Lieblosigkeit machen durfte und machen mußte, sofern seine Parabel ihren Zweck erreichen sollte warum soll es Lessing, der als Christ zu Christen sprach, zum Vorwurf gereichen, daß er in seinem Falle eben so verfuhr? Wäre Lessing Muhamedaner unter Muhamedanern gewesen, er hätte, um den Lehrzweck seines Gedichtes an seinem Volfe zu erreichen, nothwendig alsdann die Christen und Juden als die Träger der Humanitätsreligion beschämend dem Muhamedaner gegenüber stellen müssen.

Aber"

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frägt man

was ist die Lehre des Stücks? Auf was läuft der Nathan hinaus? Doch am Ende auf den trostlosesten Indifferentismus und Scepticismus! Es ist gleichgültig, was Du glaubst, ob

Du ein Jude oder ein Türke oder ein Heide oder ein Christ b, enn Du nur rechtschaffen lebst. Die Wahrheit läßt sich doch nicht fuden, der ächte Ring kann doch von den falschen auf Erden nicht unterschieden werden! Das soll Lessing haben lehren wollen, Leffing, dem der Drang nach Wahrheit seine Seele, feine Qual und sein Trost war! Der in der unablässigen Wahrheitsforschung den einzigen Werth des Lebens erkannte? - Nur eine völlige Gedankenlosigkeit kann das in Nathan und überhaupt in Lessings Denkungsart finden. Nein! Es ist gar nicht gleichgültig, was und ob Du Etwas glaubst, ob Du eine Ueberzeugung habest oder keine. Seines Glaubens, des Glaubens, der Jedem sein innerstes, heiligstes Eigenthum ist, weil er seiner Geistesanlage und seinen Gemüthsbedürfnissen entspricht, weil er ihn sich erworben durch Kampf und Anstrengung, durch Benutzung aller ihm gegebenen Bildungsmittel, durch Nachdenken und unablässiges Ringen diesen Glauben an die Wahrheit, diese innerste Selbstgewißheit der Wahrheit als eines ihn beseligenden Gutes, muß Jeder haben, der nicht unbeständig sein will „in allen seinen Wegen"". Aber sollte mit dieser Ausprägung der eignen Individualität und Ueberzeugung die Toleranz, die liebevolle Anerkennung fremder Individualität und Ueberzeugung nicht vereinbar sein? - Jeder forsche, prüfe, untersuche und fördere das gemeinfame, nie abgeschlossene Geschäft der Wahrheitsforschung. Streit und Widerspruch der Ansichten kann bei der großen von Gott gewollten Verschiedenheit der Menschen nicht ausbleiben; aber die Streitenden sollen nie vergessen, daß ihre erste und letzte Bestimmung ist, Menschen zu sein, das allen gemeinsame, rein Menschliche, das zugleich das wahrhaft Göttliche ist, in reiner Sittlichkeit und selbst= verleugnender, opferfreudiger Liebe auszubilden und zu entwickeln. Das ist der Grundgedanke des Nathan."

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Lessing der Dichter. „Man hat ihm wollen den Dichterberuf absprechen. Aber wer wird es glauben, daß man eine Minna oder einen Nathan nur aus dem Aermel der Kritik schöpfen könne, ohne ein ächtes, tiefes Dichtergemüth voll unbefangener Lust und Liebe zu Welt und Menschen, ohne schöpferische Phantasie, ohne erhöhtes Gefühlsleben?

„Das ist das Große an Leffing: Das stete Beisichsein des Geistes; nicht blos der klare Verstand, der immer die Zügel in der Hand hat, sondern der Manneswille, der Charakter. In dem rauschenden Strome des Weltlebens in Breslau, in der sorglosen Stimmung der Freude vergißt er die objectiven Zwecke der Wissenschaft, die allgemeinen Interessen der Menschheit, die eigene Lebensaufgabe eben so wenig als am Sterbebette seiner Frau und seines Kindes. Seiner Stimmung läßt er den

vollen Lauf, die Freude, wie den Schmerz hat er mit kräftiger Empfänglichkeit durchgekostet, aber er ist immer bei sich, er ist stets ein Mann in des Wortes tiefster Bedeutung. Daher jene Formvollendung, mit welcher er fortgerissen von seiner Meinung doch wieder über derselben steht, den tiefsten Schmerz sich gegenüberstellt, belauscht und nach seinem eigenthümlichen Wesen in Worte faßt.

„Ist das nicht der Dichter, der mit einer gewaltigen Seelenstimmung, mit kräftiger Leidenschaft, mit leichter Erregbarkeit des Gefühls und tiefster Empfindung wieder jene Ruhe und Klarheit des Geistes verbindet, mit welcher er im Stande ist, den inneren Sinn zu bewältigen und die innere Erfahrung geläutert in den Rahmen der Dichtung zu faffen? Aber das ist eben auch der große Charakter. Was Lessing zum Dichter macht, das macht ihn in einem gewissen Sinne zugleich zum großen Menschen. Liegt nicht das Geheimniß der Gesundheit, welches uns aus allen Geisteswerken Lessings in so einziger Weise entgegenweht, eben zumeist in dieser kräftigen und harmonischen Ausbildung von Geistesvermögen, von denen bei Anderen, auch ausgezeichneten Menschen so leicht das Eine oder Andere einseitig hervor- oder zurücktritt? Der Klarheit seines Geistes, dem Umfange seines Wissens, der Tapferkeit seines Willens stand der Adel der Seele, die Lauterkeit der Gesinnung, die Wärme des Herzens, ebenbürtig zur Seite, und wenn in seiner geistigen Verfassung überhaupt von einem Zuviel geredet werden dürfte, so wäre es ein Zuviel auf Seiten des Herzens, ein Ueber= maß der Herzensgüte.“*)

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*) „Ich habe ihn öfters vermahnt," erzählte Garves würdige Mutter, als das Gespräch zu Breslau im häuslichen Kreise auf Lessing kam, „bedachtsamer in seiner Freigebigkeit zu sein und an sein künftiges Alter zu denken. Er antwortete mir aber: „Hoffentlich wird es mir nicht an Geld fehlen, so lange ich diese drei Finger habe, und es hier auf die Stirn zeigend nicht fehlen wird."" Als ihm einst vorgestellt wurde, daß der Bittende die Unterstügung nicht verdiene, entgegnete er: ,,Ach Gott, wenn auch wir nur bekämen, was wir verdienen, wie viel würden wir dann wohl haben!"" (Mitgetheilt von Dittmar in der Zeitschrift: Geschichte und Politik, herausgeg. von K. L. Woltmann. I. Berlin 1800., nach Guhrauer II. 328.)

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Dr. Dietrich.*)

Wenn jetzt ein Lessing lebte und schriebe, so würde ich nicht sagen, daß solche Schriften auf die Schule gehörten. Sie würden sich an ein anderes Publicum, ein reiferes, richten und nur einem solchen recht zugänglich sein. Nachdem aber Gotthold Ephraim Lessings Werke hundert Jahre lang in unserm Volke gewirkt, nachdem Lessingsche Gedanken mit in Fleisch und Blut wenigstens der Gebildeteren in demselben übergegangen sind, kann auch die heranwachsende Jugend der gebildeteren Kreise angeleitet werden, an der Quelle selber bei ihm zu schöpfen und in diesen klaren Brunnen sich zu vertiefen. In der That sind sie es werth wegen all der großen Vorzüge, die wir an ihnen bewundern. Dieser durchdringenden Schärfe und ruhigen hellen Klarheit des Denkens, dieser einfachen und festen Bestimmtheit und der ungequälten schmucklosen Angemessenheit des Ausdrucks, der unerschütterlichen, selbstlosen Wahrheitsliebe beim Forschen, der neidlosen und strengen Gerechtigkeit gegen Freund und Feind beim Beurtheilen, des nachdrücklichen Zornes gegen nichts, als gegen hohle Anmaßung, Falschheit und Tücke. Es bedarf nicht meines Preises, um der Würdigkeit und Wortrichtigkeit der hier für unsere Jugend zu gewinnenden Nahrung Anerkennung zu verschaffen. Man kann in der Art, wie die Begriffe und Gedanken so in ihre einfachen Elemente zerlegt und aus denselben zusammengesetzt und mit mäßigen festen Schritten ruhig weiter entwickelt werden, eine Aehnlichkeit mit manchen Schriften von Plato finden, aber in das Spitfindige, Sophistische verliert sich diese Art hier fast nie. Durch die Richtigkeit und strenge Angemessenheit des Ausdrucks werden wir an Ciceros einzige Proprietät der Sprache erinnert, aber wir haben hier stets die keusche Sprache stiller uneigennütziger Forschung, dort die den Glanz suchende und selbst den Prunk nicht verschmähende Rhetorik, welche von dem Gewirre des Markts ausgehend bis in die philosophische Einsamkeit hinein sich geltend macht. In dem unparteiischen Suchen nach Wahrheit mag ihm Kant verglichen werden; aber die gefundene Wahrheit darzustellen ringt doch Kant immer mit der Form und mit dem ihm widerstrebenden Mittel der Sprache, die Lessings Geiste willig folgt, und sich in seine einfachen, aber auch nie verletzenden Formen leicht fügt. So könnte man den Ernst seines sittlichen Strebens, seine stets über das Gemeine und Gewöhnliche hinaus auf das Höhere ge=

*) Gymnasial-Director zu Hirschberg in Schlesien. Aus der Zeitschrift für das Gymnasialwesen. Verlag von Chr. Fr. Enslin. Berlin 1862.

hende Richtung mit Schillers oder wiederum mit Kants Wesen verglei= chen. Aber es ist eben die besondere Vereinigung aller dieser Eigenschaften, durch welche Lessing unvergleichlich ist; um dieser Vereinigung willen verdient er theils neben, theils vor diesen und den meisten andern. Heroen der Literaturen studirt zu werden und von der Jugend grade studirt zu werden. Zumal in unserer Zeit, wo vermöge des riesenhaft sich steigenden persönlichen und literarischen Verkehrs und bei dem immer lebhaftern ja heftigen Kampfe der Meinungen in Politik, Religion und allen möglichen Gebieten des geistigen Lebens Anschauungen und Vorstellungen, Gedanken und Lehren in verwirrender Mannigfaltigkeit und Gegensätzlichkeit schon auf die jugendlichen Geister einstürmen, und diese vor Allem Fähigkeit zu denken und zu urtheilen brauchen.

„Doch es ist nicht blos der formale Charakter der Lessingschen Schriften, um deswillen sie vorzugsweise auf der Schule verhandelt zu werden verdienen; auch ihres Stoffes und Inhaltes wegen empfehlen sie sich dazu vor andern. Indeß wird allerdings in dieser Beziehung eine Scheidung unter den einzelnen Schriften zu machen sein. Manches wird man besser dem Schüler zu eigener stiller Lectüre empfehlen und überlassen, Manches wird er ohne Schaden oder sogar mit mehr Nußen fürs Erste ungelesen lassen.

Es wird wenig Widerspruch finden, wenn ich für unseren Zweck den meisten Werth unter den ästhetischen Schriften Leffings vor Allem den Abhandlungen über die Fabel und über das Epigramm, dem Laofoon, der Hamburgischen Dramaturgie zuspreche. Es sind die vollkom=

mensten, die einflußreichsten, die am dauerndsten wirkenden von seinen prosaischen Schriften überhaupt; alle die oben bezeichneten Vorzüge ge= hören ihnen vorzugsweise an. Sie sollten von Keinem, der zur Universität geht, ungelesen sein, von keinem nur oberflächlich gelesen."

Richard Gosche.*)

Die Ruhelosigkeit, welche sich durch Lessings ganzes Leben wie ein dämonisches Schicksal zieht, wird in ihrer Bedeutung für das All

*) Lessing in Berlin, aus der Zeitschrift: Unser Vaterland." Blätter für deutsche Geschichte, Cultur und Heimathskunde. Herausgegeben von D. Proehle. Berlin, 1862. D. Seehagen.

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