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Ob Schiller unter den Dreien nicht die Mitte behaupten kann?

Zunächst halte ich den Sah des Herrn Jacob Grimm, daß die höchste Stelle unter den Dreien nothwendig die Mitte sei, in seiner unbedingten Allgemeinheit, für nicht begründet. Für die Reihenfolge einer statuarischen Dreistellung können außer den Gründen eines wirklichen oder vermeintlichen Rangverhältnisses auch noch gar manche andere Gründe und Gesichtspunkte leitend sein, und warum sollte die hier in Frage stehende Dreistellung die von dem Lessing-Comité vertretene Auffassung ausschließen, daß dadurch „jene hochgesegnete Epoche unserer Geistesbildung ihre dauernde Verherrlichung finde, die, mit Leffing be= ginnend, sich in Schiller zu ihrer idealen Verklärung erhebt und in Goethe ihre Vollendung feiert?" Wenn der Satz des Herrn Jacob Grimm aber auch unbedingt richtig wäre, und demgemäß in dem ge= genwärtigen Falle, selbst bei einer Dreistellung im Dreieck oder im Kreisbogen und mit ausreichenden und alle Selbstständigkeit der einzelnen Standbilder verbürgenden Zwischenräumen, dem mittleren Standbilde, als solchem, doch immer noch eine Art von Vorzug vor den Standbildern Goethes und Lessings eingeräumt erschiene, so würde dem SchillerStandbilde dieser Vorzug am Ende auch wohl noch zuzugestehen sein, ohne sich deshalb einer Verletzung gegen Leffing oder auch gegen Goethe schuldig zu machen. „Nicht von dem Dramatiker, von dem ganzen Dichter und dem ganzen Menschen soll das Denkmal für alle Zukunft Zeugniß geben!" sagt die Kunstabtheilung des Goethe-Comité S. 11 ihres Gutachtens vom 14. April 1862. Wohlan! Weil das Denkmal aller Zukunft ein solches Zeugniß schuldig ist, darum wird das Standbild Schillers, selbst unter dem Gesichtspunkt eines Vorzugs, den Plaz mit Recht behaupten können, den ihm Seine Majestät der König am 6. November 1861 zu bewilligen geruhte, und den zu erbitten uns Ihre Majestät die Königin am 5. Mai 1861*) ermuthigt hat.

In der geist- und liebevollen Erschließung des edelsten Dichterherzens, womit vor nunmehr zwanzig Jahren der damalige Director des * Beilage II.

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Kreuznacher Gymnasiums, Karl Hoffmeister, die deutsche Literaturgeschichte bereicherte *), heißt es: **) „Schillers fittliches Element trug dem Allgemeinen, auf welches sein Geist gerichtet war, erst den rechten Gehalt zu. Das Absolute und Nothwendige, welches er suchte, steigerte sich ihm hierdurch zu dem Idealen, welches immer sittlicher Art ist. Er be flügelte seinen Genius durch den Heroismus und die Humanität seiner Seele. Die sittlichen Ideen waren ihm aber nicht allein ein Gegenstand seiner speculirenden Vernunft, sondern zugleich die lebendigste Angelegenheit seines Herzens. Deswegen dichtete er auch immer zugleich mit dem Herzen, und ersetzte das, was seinen Gedichten an plastischer Anschaulichkeit abging, möglichst durch die Gewalt der Gefühle, die er in sie ausgoß. Seine poetischen Erzeugnisse haben nicht immer die Lebendigkeit, welche aus einer ganz individuellen Zeichnung des Gegenstandes hervorgeht, aber sie sind durch das warme Gemüth ihres Urhebers beseelt. — Wie seine Gedichte aus einem sittlich gestimmten und geweihten Gemüthe entsprangen, so üben sie auf jedes unverdorbene Gefühl einen wunderbaren Zauber aus. Viele, die meiften derselben sind schwer verständlich und müßten daher wenige Leser haben, wenn nicht eine andere geheime Macht aus ihnen wirkte. Durch das in sie hineingelegte beßte Herz find sie so anziehend und ergreifend. Dem geoffenbarten Gefühl des Dichters begegnet hochentzückt das mächtig erweckte Gefühl des Lesers. Wahrlich! nicht allein der Kopf, auch das Herz versteht, und es wäre schlimm um die begeisterte Liebe bestellt, wenn sie den langsamen Begriff abwartn müßte. Von,,,,des deutschen Barden Hochgesang"" sagt Schiller:

"Und aus Herzens Tiefen quellend.

Spottet fie der Regeln Zwang.""

Den Franzosen, welche die Kunstschätze wegschleppten, ruft er zu:

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und im Abschied vom Leser" sagt er in Bezug auf seine Muse:

"Nur wem ein Herz, empfänglich für das Schöne,

Im Busen schlägt, ist werth, daß er sie kröne.""

Darum auch ist er „der Dichter der Frauen,

ist er der Dich

*) Vergl. Beiblatt der Kölnischen Zeitung vom 4. März 1838.

**) Schillers Leben, Geistesentwickelung und Werke im Zusammenhange, von

D. Karl Hoffmeister. Stuttgart 1839. III. Bd. S. 245 folg.

ter der Deutschen! Die Worte, die er in dem „Mädchen von Orleans, über sein gleichnamiges Drama sagt:

"Dich schuf das Herz, du wirst unsterblich sein," "

konnte er beinahe über jedes seiner Erzeugnisse aussprechen. Die Wärme, das Feuer des Herzens schien ihm von einer wahrhaft dichterischen Anlage unzertrennlich; das Herz war ihm die Stimme des Höchsten im Menschen. Der edelste Mensch empfiehlt bei uns den Künstler, und die freudige Liebe bahnt der Verehrung den Weg. Schiller will immer das Höchste im Menschen ergreifen, während Goethe jedes poetische Erzeugniß, wie ein Naturproduct, in seiner eigenthümlichen Weise wirken läßt und sich um diese Wirksamkeit nicht weiter bekümmert; Schiller hat immer den Leser im Auge und der Leser sieht ihn im Gedichte, während Goethe, selbst wenn er seine eigenen Zustände darstellt, ganz in der Sache verschwindet und sich und den Leser vergißt. Von der Würde der Dichtkunst hatte nicht leicht Jemand einen erhabnern Begriff, war nicht leicht Jemand tiefer durchdrungen. Man erinnere sich nur an den neunten Brief über die ästhetische Erziehung des Menschen und unter so vielen Gesängen „„an die Künstler"" und die „„Macht des Gesanges““. Um sich diesen hohen Idealen zu nähern, und der begeisternde Sänger seines Jahrhunderts werden zu können, schien es ihm vor Allem nothwendig, sich selbst wissenschaftlich und sittlich zu läutern, und nicht eher, als er dieses große Werk vollbracht, kehrte er zum Dichten zurück Sein Individuum, wie er sagt, in sich auszulöschen, und sich zur Gattung zu steigern, seine Empfindungen, von allem Zufälligen gereinigt, zu allgemeinen und reinmenschlichen Gefühlen zu läutern, den idealischen Menschen in sich zu entwickeln und zu verwirklichen, dies war die Aufgabe, die er dem neuen Dichter stellte, die er an der Hand der Lebensphilosophie zu lösen suchte, "welche durch stete Hinweisung auf allgemeine Geseze das Gefühl für unsere Individualität entkräftet, im Zusammenhang des großen Ganzen unser kleines Ich uns verlieren lehrt, und uns dadurch in Stand seht, mit uns selbst, wie mit Fremdlingen umzugehen."" Schon in der Recension Bürgers hatte er es, mit unverkennbarer Beziehung auf sich selbst als das wichtigste Geschäft des Dichters genannt, seine Individualität soviel als möglich zu veredeln und zur reinsten Menschheit hinauf zu läutern, ehe er es unternehme, die Trefflichsten seiner Zeit zu rühren. Alle Weisheit und Bildung des vorgeschrittenen Jahrhunderts müsse er in sich aufgenommen haben und in sich zum Ideale verklären können, welches durch seine Dichtkunst

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einen veredelnden Einfluß auf dasselbe zu gewinnen hoffen dürfe. Er müsse der verfeinerte Wortführer der Volksgefühle sein, und denselben einen reinern und geistreichern Tert unterlegen; er müsse als Vorläufer der hellen Erkenntniß die gewagtesten Vernunftwahrheiten in reizender Hülle ihre leise Macht an dem Herzen beweisen lassen, ehe sie zur Ueberzeugung des Kopfes würden; er müsse aus dem Jahrhundert selbst Muster für das Jahrhundert erschaffen. Der Künstler,"" sagt er dann an einer andern Stelle, „sei nur der Sohn, nicht aber der Zögling oder gar der Günstling seiner Zeit; nur den Stoff seiner Schöpfungen entnehme er von der Gegenwart, die Form entlehne er von einer edlern Zeit und von der absoluten, unwandelbaren Einheit seines Wesens. Hier, aus dem inneren Aether seiner dämonischen Natur, rinne die Schönheit herab, unangesteckt von dem Verderbniß der Geschlechter und Zeiten, welche tief unter ihr in trüben Strudeln sich wälzen!"" "Aus diesem erhabenen, universellen Standpunkte ist die Reinheit, der Ernst, die Tiefe, die Großartigkeit, der Ideenreichthum seiner Poesie begreifbar. Nur von dem reifen und vollkommenen Geiste könne im Aesthetischen wie im Sittlichen das Reife und Vollkommene ausfließen, und kein noch so großes Talent vermöge dem einzelnen Kunstwerke zu verleihen, was seinem Schöpfer gebreche"" das war seine feste Ueberzeugung. Wer hätte nach dieser Selbstvollendung je mit heiligerm Ernst gestrebt? Jahrhundert, aber sei nicht sein Geschöpf; leiste aber was sie bedürfen, nicht was sie loben."" Zeitgenossen findest, umgieb sie mit edeln, mit großen, mit geistreichen Formen, schließe sie ringsum mit den Symbolen des Vortrefflichen ein, bis der Schein die Wirklichkeit und die Kunst die Natur überwindet."" Gieb der Welt, auf die du wirkst,"" ruft Schiller dem Freund der Wahrheit und der Schönheit zu, „„gieb ihr die Richtung zum Guten! Diese Richtung hast du ihr gegeben, wenn du bildend das Nothwendige und Ewige in einen Gegenstand ihrer Triebe verwandelst." Dieses ist Schillers unsterbliches Werk." Ueber Don Carlos: Schöne Menschlichkeit und erhabene Freiheit sind hier die laut proclamirten Cardinaltugenden. Eine auf Ideen ge= gründete Freundschaft, eine sich zum Höchsten veredelnde Liebe, Aufopferung, Seelengröße, Menschenwürde glänzen an dem Himmel dieser neuen Welt, und diese Tugenden sind von den wärmsten Gefühlen durchdrungen, welche ich die Religiösität im Drama nennen möchte. Denn was ist Religiösität anders, als die Auffassung der Tugendgebote

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Lebe mit deinem deinen Zeitgenossen,

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Wo du deine

„„die

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durch das reinste, innigste Gefühl? Warum, könnte man aus der Seele des Dichters denen zurufen, welchen das Stück nur deswegen nicht recht ist, weil ihnen sein Stoff nicht zusagt, warum sollen die Bretter, die die Welt bedeuten,"" allein den hocherhabenen Kampf für die wichtigste Angelegenheit unseres Geschlechtes, für religiöse und bürgerliche Freiheit nicht aufnehmen können? Ein prophetischer Heros, welcher sich mit seinem Freunde vereinigt, um eine neue, auf Freiheit und Vernunftideen gegründete Wendung der Dinge herbeizuführen und das Menschengeschlecht für alle Folgezeit zu veredlen und zu beglücken, und welcher in diesem Unternehmen untergeht, ist ein für die tragische Muse höchst würdiger Gegenstand. Und wenn ein thätiger Held, den die Menschenliebe treibt, mehr Werth hat, als der, welcher in sein Privatinteresse verstrickt ist, wer könnte mit Posa verglichen werden, dessen Herz der ganzen Menschheit schlägt, dessen Neigung die Welt ist, mit allen kommenden Ge= schlechtern?"" Wenn es wahr ist, was unser Dichter sagt: Nur der große Gegenstand vermag den tiefen Grund der Menschheit aufzuregen"" welche Tragödie vermöchte einen tiefern Eindruck auf den Zuhörer zu machen, als diese, welche in Philipp und seinem Hofe die alte Zeit mit ihrem traurigen Despotismus, in Posa und seinen Freunden das neue Jahrhundert mit seinen großen Tugenden sich aufopfernder Liebe und Freundschaft einander gegenüberstellt, und das Edle dem Schlechten zur irdischen Beute werden läßt?" „Die drei früheren negirenden Tragödien Schillers: die Räuber, Fiesko, Cabale und Liebe, zerreißen unser Herz, und lassen, troß ihres moralischen Ausganges, in unserm sittlichen Gefühl eine schmerzhafte Wunde zurück; Carlos dagegen zaubert uns in eine höhere Ordnung der Dinge, in ein Erdenparadies der Bruderliebe und der Bürgerfreiheit, dessen Vorstellung immer auf unsere edelsten Kräfte eine wohlthätige und erhebende Wirkung haben wird, auch wenn der berechnende Verstand einen solchen höchst glücklichen und vernunftgemäßen Zustand der menschlichen Gesellschaft nur für einen schönen Traum halten sollte. Sittlich empfängliche, jugendlich frische Gemüther wird diese Tragödie unfehlbar immer ergreifen, -in der wir beide sittliche Lebensgrundtriebe Schillers einstimmig arbeiten sehen seinen hohen Freiheitssinn und seines Herzens schöne Menschlichkeit."

An einer andern Stelle sagt Hoffmeister: „Schiller näherte sich der reinen Form, ohne sie vollkommen zu erreichen, und hierin, also grade im Wesen der Dichtung, behauptet Goethe einen entschiedenen Vorzug, welcher allein schon, wenn man beide Männer nur als Dich

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