ihnen zukommt. Ich hoffte hierdurch der Erkenntniß der Litteraturgeschichte zu nüßen, wofern das deutsche Publikum noch die furchtlose Stimme der Wahrheit zu hören vermag. Meinen Standpunkt ausführlicher darzustellen, als es im Obigen geschehen ist, erscheint mir um so überflüssiger, als ich bei der Charakterisirung der einzelnen Autoren hinlängliche Gelegenheit hatte ihn zu bezeichnen, wiederholt zu erörtern und zu schützen: es ist der Standpunkt der Kunst, der partheilose und nach den Gesezen der Schönheit richtende, Gehalt wie Form gleichmäßig wägende *). Die Nachwelt und die kommende Dichterjugend möge darüber entscheiden, wie ich meiner Aufgabe genügt habe; sie wird es gleichfalls unpartheiisch thun. Eine genetische Entwicklung unserer neuhochdeutschen Dichtung im Zusammenhange zu geben, lag nicht in meinem Plane, kann also auch nicht von mir gefordert werden. Demungeachtet habe ich nicht unterlassen, von einem jeden Autor in seinen Beziehungen zu den Zeitgenossen, zu den Vorgängern und Nachfolgern ein möglichst bestimmtes Bild zu liefern. Daß übrigens eine genetische Entwicklung des Ganzen, die nicht in der Luft steht, heutzutage gegeben werden kann, möchte nicht zu bezweifeln sein. Georg Gottfried Gervinus schrieb um dreißig Jahre zu früh über die neuhochdeutsche Dichtung oder machte doch den Tod von Goethe zum Schluß seiner Darstellung; es will mich bedünken, daß diese Einschränkung ihm nicht zu Statten gekommen ist, weder für die Uebersicht des Zeitraums, den er behandelt hat, noch für die gesammte Würdigung des Verlaufs und der Ziele unserer Litteratur. Denn der sterbende Goethe bezeichnet durchaus nicht den Endpunkt einer abgeschlossenen Epoche. Der genannte Litterarhistoriker, so verdienstvoll wie kaum ein zweiter, würde nach Gehalt und Form bestimmter zu urtheilen in der Lage gewesen sein, wenn er einen hundertjährigen Zeitraum in seiner ganzen Ausdehnung vor sich hatte; kann man doch selbst die Litteratur unsers Jahrhunderts keine junge mehr nennen, daß man Grund hätte, sie gegen das vorige Jahrhundert irgendwie zurückzustellen. Leipzig, am 101. Geburtstage Schillers. *) Ein Berliner Litterat äußerte, als ihm die ersten sechs Lieferungen des Werks zuge kommen waren: „er theile meinen Standpunkt nicht." Also theilt er den Standpunkt der Unkunst, und seine Gründe bestehen darin, daß ich irgend einen Kameraden seiner Coterie von dem Parnasse geworfen habe. |