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PT 1167

N48

Vorwort.

Eine erhabene Freude weckt die Betrachtung der Anfänge und Fortschritte, welche die deutsche Poesie innerhalb eines Zeitraumes von ungefähr zwölf Jahrzehnten gemacht hat. Hervorgetreten sind eine Reihe theils der größten Talente, theils solcher, die zu den vorzüglicheren gehören; die Einen erklommen die höchsten Spigen unsers Parnasses, die Andern schwangen sich zu irgend einer glänzenden Zinne desselben auf, von welcher sie der Nation blüthenreiche Kränze herabwarfen. Unter ihnen duften so viele immergrüne, daß wir mit Stolz zu sagen berechtigt sind: unsere Litteratur steht jeder andern europäischen an geistigem Werthe und Gehalte mindestens gleich.

Aber auch die Form der deutschen Sprache ist während dieses langen Zeitraums so kunstgerecht ausgebildet worden, daß wir nicht allein das Ziel der Vollendung klar erkennen, auf welches sie zu steuern hatte, sondern daß der fachkundige Beurtheiler auch sieht, es sei schließlich erreicht worden; das Ziel nämlich, welches im Geist und Charakter unserer Sprache, in ihrer Bildungsfähigkeit lag und vorgeschrieben war: ein ähnliches ruhmreiches Ziel, wie es Italien, Spanien und Frankreich in ihren Litteraturen seit dem Mittelalter aufzeigen. Sollten etwa die Deutschen mit einer weit bildungsfähigeren Sprache, als irgend ein anderes europäisches Kulturvolk besißt, hinter dem höchsten Ziele der Ausbildung zurückbleiben, ihre Sprache verachten, mißhandeln oder jie wieder in den rohen Zustand zurückbringen, worin sie ehedem eine Pferdesprache hieß? Durch die Hände einer Reihe von Meistern ist sie hindurchgegangen, um am Schlusse des Zeitraums den Stempel ihrer Vollendung nach allen Seiten hin zu empfangen; nicht etwa in der Weise des Gellert'schen Hutes, welcher bald so, bald so für die Mode des Tags umgeformt wurde, sondern nach folgerechter Entwicklung scharfdenkender Sprachbewältiger. Wir sehen zwar, daß die Vervollkommnung der poetischen Redeform nicht in Einem Stromzuge wie der Rhein vorwärts gegangen ist; es traten Hemmnisse des Bettes ein, nicht sowohl durch die „,,romantische Schule", die hierin wenigstens einiges Verdienst des Fortschrittes hatte, als durch die befangene Anschauung der „schwäbischen Schule“ und fast gleichzeitig durch die heillose Gegenwirkung

des „jungen Deutschlands“. Mehrere große Dichter indessen verirrten sich nicht auf solche Abwege, sie bethätigten die Echtheit ihres Berufes dadurch, daß sie, nachdem Klopstock das Schiff der Sprache vom Stapel gelassen hatte, auf dem hohen Meere unserer ersten Glanzepoche fortsteuerten, die Kunstrichtung einhielten und abschlossen. Neue Talente werden fünftighin wissen, worin die Meisterschaft der deutschen Sprachform zu suchen ist, oder müssen es wissen, wenn sie den vorausgegangenen Meistern nicht nachstehen wollen; sie werden namentlich einsehen, daß die Volkspoesie ebensowenig als die Kunstpoesie verzichten darf auf die von dem Genius der Sprache selbst geforderte beste und edelste Formweise. Der Volksdichter darf sich fernerhin nicht erlauben, in Vers und Strophe zu radebrechen, vorwendend und vorschützend, er drücke sich natürlich, ursprünglich und nicht papieren aus, wenn er holpere und stolpere; der Kunstdichter muß zeigen, daß er die Kunst siegreich beherrsche, daß er Stoff und Form verschmelze, daß er seinerseits gleichfalls natürlich, ursprünglich und nicht papieren sich gefaßt habe, so unpopulär auch die Gestaltung seiner Verse scheinen möge. Erstes und legtes Erforderniß ist: Nationalität des Ausdrucks, sie verlangen wir von jedem Dichter, welche Form er immer benutze.

Die Folgezeit wird, ich bezweifle es keinen Augenblick, diese Anschauung durch die That bekräftigen. Denn der Verfasser vorliegenden Werkes theilt keineswegs die Meinung, daß unsere Litteratur und Poesie am Abend ihrer Entwicklung angekommen sei, weder mit der ersten Glanzepoche durch Goethe und Schiller, noch mit den denkwürdigen Fortschritten in diesem Jahrhunderte. durch Platen und Rückert. Vielmehr ist der Himmel klar geworden und aufgethan für eine neue ebenso schöne oder verhältnißmäßig noch schönere Aera: so lange der deutsche Geist nicht versiegt, wird der Prophezeiende nicht irren, wenn er eine solche ankündigt. Ich berufe mich auf Goethe selbst, der am Schlusse seines „Vermächtnisses an die jüngere Nachwelt“ sagt:

Schon seh' ich neue Sonnenaare fliegen.

Und wenn sich meine grauen Wimpern schließen,
So wird sich noch ein mildes Licht ergießen,
Bei dessen Wiederschein von jenen Sternen
Die spätern Enkel werden sehen lernen,

Um in propbetisch höheren Gesichten

Von Gott und Menschheit Höh’res zu berichten.

Das Gegentheil freilich sagten eine Menge oberflächliche Köpfe aus, indem sie ihrer eigenen Ohnmacht mit den Worten Luft zu machen pflegten: die Glanzepoche sei ein für allemal vorüber, eine ähnliche könne nie wiederkehren und späte Zahrhunderte noch würden mit chrfurchtsvollem Erstaunen auf den unvergleichlichen Frühling unserer Litteratur emperschauen, welchen Goethe und Schiller hervorgerufen hätten! Gegen eine so maßlose Ueberschätzung ihrer herrlichen Leistungen würde Niemand entschiedener pretestiren, als diese beiden dergestalt bewunderten Männer selbst, wenn sie noch lebten.

Daß Goethe mit hellem Blicke eine derartige blinde Lobpreisung nicht mochte, hat er in diesen Zeilen wie an andern Orten vielfach ausgesprochen; leider lesen, kennen und beachten die seichten Kritiker unserer Tage die Urtheile des großen Genius nicht. Sie verstehen nicht die Freiheit des Geistes, die ihn überall auszeichnet, die Liebe zu seiner Nation, die ihn tief beseelte und allein schon gehindert hätte, solche geisttödtende Meinungen in die Welt zu streuen oder aus Ehrgeiz daran zu glauben.

Begegnen wir auf dieser Seite einer seltsamen Ueberschätzung, die auch ihren Unsegen hat, so müssen wir mit um so schärferem Widerspruch diejenigen. abfertigen, die nicht erröthen vor der Unterschätzung und Herabseßung genialer Leistungen. Wer sollte es für möglich halten, daß auch Schiller und Goethe angetastet würden von anmaßenden und plumpen Federn, deren Besitzer sich einbilden an Geistesflug, Geschmack und Kunsteinsicht dem Größten überlegen zu sein? Wir haben es aber seit lange erlebt und erleben es noch alle Tage, daß sie von einem elenden Litteratenthum nicht blos abgetrumpft, sondern auch ihrer Würde entkleidet werden; wie denn erst neuerlich ein solcher sauberer Federheld in seiner After-Litteraturgeschichte den Wahnsinn hingeklert hat, Schiller hätte selbst in seinen reifsten Produkten nichts eigentlich Vollendetes hervorgebracht und es würde in der Ordnung sein, wenn ihn die Nation nicht mehr läse! Allerdings ist diese kostbare Ansicht schon vor der hundertjährigen Geburtsfeier des größten deutschen Lieblingsdichters an das langmüthige Publikum gebracht worden; aber wird die Scham künftighin von dergleichen schamlosen Selbstzeugnissen der Unwissenheit abhalten? Wird man sich noch wundern, wenn eine Reihe anderer ausgezeichneter Geister ebenfalls von dieser Kritikersorte mißverstanden und mißhandelt werden? Wird man es nicht in der Ordnung finden, daß die Einen unterschätzt, die Andern überschäßt werden, Beides auf eine fast unglaubliche Weise? Die Motive solchen Gebahrens, welches die Nation schändet, habe ich hier nicht näher zu untersuchen. Was den Ausschlag bei dem großen Haufen der heutigen Litteraten giebt, ist das Coteriewesen; ich will deutsch hinzusetzen, die mit dem Unverstand Hand in Hand gehende Unehrlichkeit verbündeter Dichterlinge.

Das Coteriewesen und sein verderbliches System aufzudecken, den schädlichen Einfluß desselben unschädlich zu machen, habe ich meine Erfahrungen hier zusammengestellt. Sie sind nicht von gestern her, sondern aus einer langen unpartheiischen Beobachtung hervorgegangen. Alles liegt mir daran, die Wahrheit zu sagen und zu treffen. Autoritäten gelten mir sehr wenig, und gelten mir sehr viel; ihre Sichtung und Würdigung lieferte mir den Maßstab, wonach ich sie beachtete. Es schien mir das Beste, die einzelnen Autoren vorzuführen nach ihrem Wirken, ihrem Wollen und Verdienste; in welcher Anordnung, war Nebensache für meinen Zweck. Denn dieser ging lediglich dahin: die Berkannten in ihre Rechte wiedereinzusetzen, die man ihnen aus leichtfertiger oder absichtlicher Unterschätzung genommen hat, die aus irgend einem Grund Ueberschätzten dagegen auf dasjenige Maß der Achtung zurückzuführen, das

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