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sen! Ich weiß es zwar, daß ich zu der Nation selbst rede, indem ich vor den Stellvertretern derselben spreche; allein Ludwig darf es dennoch bedauern, daß die große Menge von Staatsbürgern, auf welche die Beschuldigungen gegen ihn Eindruck gemacht haben, nunmehr nicht auch im Stande ist, die Widerlegung derselben würdigen zu können. Alles liegt ihm daran zu beweisen, daß er nicht schuldig ist: dieß ist sein einziger Wunsch, sein einziger Gedanke. Ungeachtet er weiß, daß ganz Europa init Unruhe Ihr Urtheil über ihn erwartet, so beschäftigt ihn doch nur Frankreich. Ungeachtet er weiß, daß die Nachwelt alle Actenstücke dieses großen Processes zwischen einem Volke und einem Menschen sammeln wird, denkt er dennoch nur an seine Zeitgenossen. Diese aus dem Irrthum zu reißen ist sein einziger Zweck. Auch wir haben keinen höhern Zweck, als seine Rechtfertigung; auch wir wollen Nichts, als ihn vertheidigen; auch wir vergessen Europa, welches seine Augen auf uns gerichtet hat; auch wir vergessen die Nachwelt, die bereits an ihrem Urtheile sammelt; auch wir wollen weiter Nichts sehen, als den gegenwärtigen Augenblick, uns mit Nichts beschäftigen, als mit dem Schicksale Ludwigs, und unsere Pflicht werden wir ganz erfüllt zu haben glauben, wenn wir darthun, daß er unschuldig ist."

"Frankreicher! soll der Nationalcharacter, welcher vormals Eure Handlungsweise bezeichnete, soll der Character, in welchem Größe und Edelmuth Hauptzüge waren, verschwunden sein? Wollt Ihr Eure Macht darin suchen, daß Ihr Denjenigen vernichtet, der sich muthig den Stellvertretern des Volks in die Arme warf? Wollt Ihr die heiligen Rechte ei= nes gesuchten Zufluchtsortes nicht achten? Wollt Ihr bei dem äußersten Grade des Leidens ungerührt bleiben, und sollte Euch ein König, der seinen Thron verliert, nicht schon von dem Schicksale gedrückt genug zu sein scheinen, um jede Vermehrung seines Unglücks für unmöglich zu halten? Frankreicher! die Revolution, die Euch umschuf, hat große Lugenden in Euch entwickelt, aber hütet Euch, daß nicht dieselbe die Gefühle der Menschlichkeit in Euch ersticke, denn ohne Menschlichkeit giebt es keine wahre Tugend!"

„Höret, was die Geschichte dem Urtheile der Nachwelt zuruft: Im zwanzigsten Jahre bestieg Ludwig den Thron, und im zwanzigsten Jahre war er ein Muster von Reinigkeit der Sitten. Er war frei von jeder strafbaren Schwäche, von

jeder verderblichen Leidenschaft. Er war wirthschaftlich, get recht, streng, ein standhafter Freund des Volkes. Das Volk verlangte die Abstellung einer drückenden Auflage; und er stellte dieselbe ab. Das Volk verlangte die Aufhebung der Leibeigenschaft; und er hob dieselbe zuerst auf seinen Krongütern auf. Das Volk wünschte Verbesserung in der Criminaljustiz, um das Schicksal des Angeklagten zu erleichtern; und er machte diese Verbesserungen. Das Volk wollte, daß jene Tausende von Frankreichern, welche durch ein hartes Herkommen von den Bürgerrechten ausgeschlossen wurden, diese Bürgerrechte erhalten sollten; und sie wurden ihnen vermöge eines Gesezes ertheilt. Das Volk verlangte Freiheit; Ludwig gab sie ihm und kam mit Aufopferungen zuvor. Dennoch war es im Namen dieses Volkes, daß man Bürger, ich vollende nicht; ich stehe still vor der Geschichte. Bedenken Sie, daß Sie über den Ausspruch derselben richten, und daß Ihr Urtheil das Urtheil aller Jahrhunderte sein wird."

Die Ruhe, die Fassung, die Gelassenheit und Kaltblütigkeit, welche der König während der ganzen Zeit zeigte, da er sich in der Versammlung aufhielt, wurden selbst von seinen bittersten Feinden bewundert. Ludwigs Gewissen machte ihm keine Vorwürfe, er hatte rechtschaffen, seiner Pflicht und seinen Grundsäßen gemäß gehandelt; wie hätte er unter solchen Umständen unruhig sein können? Wie hätten ihn Vorwürfe fränfen können, von denen sein Gewissen ihm sagte, daß sie ungegründet wären?

Während der Verlesung seiner Schußschrift mußte Herr de Seze einigemal einhalten, um Athem zu holen. In dieser Zwischenzeit sprach der König mit seinen Sachwaltern, und es wurde bemerkt, daß er seine gewöhnliche heitere Miene hatte und bei dem Gespräche freundlich lächelte.

90. Wie späterhin die Revolution sich gewiesen.

Aber der Himmel trübte fich bald. Um den Vortheil der Herrschaft
Stritt ein verderbtes Geschlecht, unwürdig das Gute zu schaffen.
Sie ermordeten sich und unterdrückten die neuen

Nachbarn und Brüder, und fandten die eigennüßige Menge.
Und es praßten bei uns die Obern und raubten im Großen,
Und es raubten und praßten bis zu dem Kleinsten die Kleinen;
Jeder schien nur besorgt, es bliebe was übrig für morgen.
Allzugroß war die Noth, und täglich wuchs die Bedrückung;
Niemand vernahm das Geschrei, sie waren die Herren des Tages.

Da fiel Kummer und Wuth auch selbst ein gelaßnes Gemüth an;
Jeder fann nur und schwur, die Beleidigung alle zu rächen,
Und den bittern Verlust der doppelt betrogenen Hoffnung.
Und es wendete sich das Glück auf die Seite der Deutschen,
Und der Franke floh mit eiligen Märschen zurücke.
Ach, da fühlten wir erst das traurige Schicksal des Krieges!
Denn der Sieger ist groß und gut, zum wenigsten scheint er's,
Und er schonet den Mann, den besiegten, als wär er der seine,
Wenn er ihm täglich nüßt und mit den Gütern ihm dienet.
Aber der Flüchtige kennt kein Gefeß, denn er wehrt nur den Tod ab,
Und verzehret nur schnell und ohne Rücksicht die Güter.

Dann ist sein Gemüth auch erhißt, und es kehrt die Verzweiflung
Aus dem Herzen hervor das frevelhafte Beginnen.

Nichts ist heilig ihm mehr; er raubt es. Die wilde Begierde

Dringt mit Gewalt auf das Weib, und macht die Lust zum Entfehen. Ueberall sieht er den Tod, und genießt die leßten Minuten

Grausam, freut sich des Bluts und freut sich des heulenden Jammers.

Grimmig erhob sich darauf in unsern Männern die Wuth nun,

Das Verlorne zu rächen und zu vertheid'gen die Reste.

Alles ergriff die Waffen, gelockt von der Eile des Flüchtlings
Und vom blaffen Gesicht und scheu unsicheren Blicke.
Rastlos nun erklang das Getön der stürmenden Glocke,
Und die künft'ge Gefahr hielt nicht die grimmige Wuth anf.
Schnell verwandelte fich des Feldbau's friedliche Rüstung
Nun in Wehre, da troff vom Blute Gabel und Sense.
Ohne Begnadigung fiel der Feind und ohne Verfchonung;
Ueberall ras'te die Wuth und die feige tückische Schwäche.
Möcht' ich den Menschen doch nie in dieser schnöden Verirrung
Wieder sehn! Das wüthende Thier ist ein befferer Anblick.
Sprech' er doch nie von Freiheit, als könn' er sich selber regieren!
Losgebunden erscheint, sobald die Schranken hinweg find,
Alles Böse, das tief das Gefeß in die Winkel zurücktrieb.

91. Eine Reveille

aus den Jahren der tiefften Erniedrigung Deutschlands.

Die Natur gab den Menschen die Thränen und die Rede, sie von den Thieren zu unterscheiden. Die Thränen sollen sie ermahnen, freundlich und mild zu sein gegen alles, was lebendigen Athem und Gefühl hat; die Rede soll sie erinnern, daß Herrschaft, Kühnheit, Verstand Zeugen seien des anerschaffenen göttlichen Ebenbildes, sie soll sie erinnern an ihre Würde und an ihre Kraft.

Ich habe Thränen geweint über die Zeit und das Geschlecht; des Gedankens und des Gefühls zerstörender Reiz will mir ringend die Brust zersprengen. Ich muß reden, das

Herz zu erleichtern. Durch die Angen geht zart zurück, was zart kam; das Gewaltige gebiert die Brust, die Zunge spricht es aus.

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Ich war einst jung und bin ein Mann geworden ohne Männer. Ein weidlicher, lustiger Bub war ich mit tiefem, fröhlichen Muth. Glückliche Zeit, als die fromme Mutter mich lesen lehrte und ich die fünff Bücher Moses und die lustigeren der Könige las! Bei den Heerden meiner Kühe, um die Teiche, in den Büschen lebte ich mit den Erzvätern des Alterthums und die ewigen Geschichten der Fabel wurden wieder wirkliche Geschichten, der kindische Sinn bildete sich in einer früheren Welt. Ich ward größer, Andere hüteten die Kühe und Pferde meines Vaters, und Repos und Cäsar, Herodot und Xenophon folgten auf die Hebräer. Gewaltiger Menschen Thaten und Miffethaten lehrten mich das ernste Schicksal und die Allgewalt ahnen, göttlicher Genien Worte und Ausbligungen entzündeten mir die Brust: ich weinte mit Timoleon vor dem erschlagnen Bruder, mit Brutus bei Cäfars Leiche, sah mit Themistokles glühendem Blicke zu Miltiades Stein auf. Leben und Kraft, Vaterland und Geseß, die herrlichsten und menschlichsten Dinge wurden mir dunkel verständlich. Was träumte der Knabe nicht? ein glorreiches Zeitalter, ein herrliches Volk, ein siegreiches Leben voll Lust und Kampf. Es war eine schöne Zeit deutscher Nation; sie stand_nicht vollkommen, aber sie schien im frischen und freien Streben. Barden fingen an vaterländisch zu singen, schöne Genien trugen die entflohenen Geister der Vorwelt in rüftiger Einfalt und Lapferkeit zurück; man fing an von Volk, Vaterland und Freiheit zu sprechen; von deutscher Lapferkeit und Edelmuth sprach man wol lange schon zu laut. Ein großer und weiser Fürst saß auf einem deutschen Thron, Europens Völker sahen nach ihm als nach ihrem Vorbilde und Könige nannten seinen Namen mit Ehrfurcht. Die Deutschen sprachen den Namen Friedrich als einen Namen aller Deutschen, der Enthusiasmus machte das Große noch größer, als es war. Muthig begeiftert blickte man in die Zukunft und weissagete; aber ach! die Sprüche waren Kassandrisch, sie konnten nicht wahr werden, weil die Kommenden fie. für Lügen erklärten. Friedrich starb, ich ward ein Jüngling. Die Zeit, die jung zu sein schien, als ich ein Knabe war, war nun einem kindischen Greise gleich geworden. Sie schien von dem Alten nur einzelne Töne als

Erinnerungen schönerer Vergangenheit festzuhalten, aber auf dem Gegenwärtigen saß sie frierend und jämmerlich, wie der Geizhals auf seinem Goldhaufen. Doch schien sie Vielen gar flug und weise und dünkte sich selbst so, bis sie endlich des langen Wahns inne geworden ist, und nun wirklich wahnwißig sich selbst zu entlaufen sucht. Sollen wir toll sein mit den Lollen? Wir sind es, aber unglücklich, weil wir wissen, daß wir es sind. Welch ein Gefühl, daß doch noch das Leben erträgt, daß man Nichts geworden ist und Nichts kann! Dieß ist das Gefühl der Zeit, es ist das der Besseren, die jest leben, es ist das meinige. Unthätig stehen wir still im Jammer, und werden allmälig erkaltend dem Niobischen Stein gleich, oder wie die, welche das Medusenbild gesehen hatten.

Aber so lange das warme Blut und das Gefühl in dem Menschen ist, muß er weinen und reden, ob er dadurch etwa sein Leid und fremdes Leid mildere. So will denn auch ich flagen wie der Klang der Stunde ist, aber verklagen will ich nicht. Es ist das Menschliche, was mich bewegt, und darin darf, ja muß der Mensch in Grimm und in Liebe zerfließen, denn solche Empfindung gab ihm die Natur, seine Schöpferin und Königin, und was kann er dafür, daß er so geboren ist? Diese heilige Freiheit der Natur werde ich mir nie nehmen lassen, so lange noch ein Puls sich in mir bewegt, ich werde frei aussprechen, was ich frei fühle. Wahrheit ist nicht Verleumdung und wem man die Wahrheit sagt, den hasset man nicht; wem man aber vorlügt und schmeichelt, den mißbraucht und verachtet man als etwas Schlechtes; denn aufrecht und göttlich, nach dem Licht der Sterne hinsehend, ist der Mensch geschaffen, daß er das Rechte verstehe und vernehme. Ihr Edleren und Weiseren, auf! auf mit Freude und Muth! thut eure Pflicht und zeigt dem Verzweifelten die Rettung und Erlösung.

Tyrannen und Könige werden Staub, Pyramiden und Colosseen zerbröckeln, Erdbeben und Vulcane, Feuer und Schwert thun ihr Amt, das Größte verschwindet, nur Eine Unsterblich lebt ewig, die Wahrheit. Wahrheit und Freiheit sind das reine Element des Lebens des göttlichen Menschen, durch sie ist er, ohne sie Nichts. Ist nicht alles Wahn, was wir sehen und empfinden, treiben nicht die Beßten bethört mit der bethörten Zeit dahin, kann der treue Wille nicht verwunden,

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