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der Sprache mächtig, dagegen die Figuren machten ihm ziemlich lange zu schaffen. Wo er ging und stand, trug er seinen Euklid bei sich, und studirte ihn so fleißig, daß er in seinem vierzehnten Jahr ihn doch völlig inne hatte. Daneben trieb er viele andre Dinge, bauete kleine Mühlen, Schiffe, arbeitete in Stahl, Messing, Kupfer und Blei. Dem Vater gefiel das wenig und um die Grillen, wie ers nannte, dem Sohn recht gründlich auszutreiben, schickte er ihn nach der Confirmation, im Sommer 1752, an den Deich, wo er von Ostern_bis Marz tini den ganzen Tag Erde schieben mußte. Allein hier auch sezte er seine Studien fort in den Zwischenstunden, und eine Nacht um die andere wandte er für seine wissenschaftlichen und mechanischen Arbeiten an. Im Winter darauf war er fleißig besonders in Verfertigung verschiedener Instrumente, Meßketten, Boussolen, Bestecke u. a. m., die alle sich durch Genauigkeit und Schönheit auszeichneten. Im Frühjahr ging er als Landmesser nach Dithmarschen, woselbst er sich durch den Verkauf solcher Instrumente und auch durch seine Landmesserarbeit eine ziemlich bedeutende Summe Geld erwarb. Zurück aus Dithmarschen gekommen im Herbst sette er den Beutel vor seinen Vater hin mit den Worten: Seht hier, Vater, daß ich doch im Stande bin, Brod zu verdienen. Nächst ihrer Kinder Seligfeit haben gute Eltern ja keine größere Sorg' als die, daß die Kinder Brod verdienen lernen und einst ihr eignes wohlverdientes Brod essen können; es giebt aber so viele, die auf dem Wege der Kunst und Wissenschaft ganz verdeihen, Spaten und Hobel sind zuverlässigere Instrumente. Bei dem Anblick des Verdienstes erklärte der Vater dem Sohn, daß er ihm seinen Willen frei gebe, er wolle ihn auch nicht mehr in seinen Beschäftigungen stören. Diese Stunde hat Momsen die froheste seines ganzen Lebens genannt und Thränen entquollen noch bei der Erzählung seinen Augen. So nun, von der Zufriedenheit seines Vaters mit ihm, die ihm bisher gefehlt hatte, bei seinen Arbeiten begleitet, trieb er im Sommer das Landmessen vornehmlich, im Winter studirte er, machte Kupferstiche und Holzschnitte, schliff und polirte Gläser, verfertigte Teleskopen, Sertanten und Octanten. Auch Uhren vielerlei Art hat er gemacht, auch eine mit einem Glockenspiel und eine Seeuhr, in spätern Jahren auch eine niedliche Orgel. Er spielte selbst einen vierstimmigen Choral, bediente sich aber der Ziffern, da er in seinen spätern Jahren die Noten nicht mehr lernen mochte; die

Theorie der Musik kannte er gründlich. Wie er früh die holländische Sprache gelernt hatte, so lernte er später und so nach gerade, wie er zu den Büchern in andern Sprachen kam, Dänisch, Französisch, Englisch und, versteht sich, auch Latein, er hat sogar ein kleines Werk über Astronomie zu seinem Vergnügen aus dem Lateinischen ins Deutsche überseßt. Geographie, Geschichte, Naturlehre, Anthropologie, diese Wissenschaften waren Momsen unbekannt eben nicht, auch las er in seis nem Alter mit Vergnügen englische Bücher über die Religion, doch bewegte sein Geist sich vornehmlich in der Astronomie, Geometrie, Trigonometrie, Algebra, Hydraulik, Optik, Gnomonik, Mechanik und Navigation. Eine große Anzahl Seemänner, die als Steuermänner und Capitaine die ganze Welt befahren, danken Momsen ihre Bildung. Andre dienten und dienen der Welt in andern Fächern, von ihm angeregt und angeleitet. Im Sommer 1793 besuchte er Kopenhagen, wo er aufs freundschaftlichste von mehreren Gelehrten und hohen Beamten empfangen wurde. In der Königlichen und in der Universitäts-Bibliothek sah er, größtentheils zum ersten Mal die Hülfsmittel, die ihm bisher nur dem Namen nach bekannt gewesen waren.

Bei diesen wissenschaftlichen und künstlerischen Beschäftigungen, wie Momsen sie mit vielem Fleiße trieb, läßt sich allerdings nicht denken, daß er auch ein eben so tüchtiger Bauer und Hauswirth gewesen sei. Nein, aber er hatte eine treffliche Frau, welche die Wirthschaft wohl verstand und derselben eben so wohl vorstand. So konnte er denn leben von dem Ertrag seines Besizes, zumal da er ihn meistens verpachtet hatte und, was hier hauptsächlich in Betracht kommt, äußerst einfach lebte. Er war ein Bauer und blieb einer in Essen, Trinken, Wohnung, Kleidung und Umgang. Er wurde geehrt und geliebt von seinen Landsleuten und viel gesucht, um Rath von ihm zu hören in ihren dortigen Angelegenheiten; seine Meinung galt wie ein Orakelspruch. Wenn er sprach, gewöhnlich plattdeutsch und friesisch, hörten alle schweigend und ehrerbietig zu. Langsam und bedächtig war seine Sprache, doch disputirte er gern und es war seine Weise, ruhig anzuhören und mit einer Miene, als gäbe er wol Beifall, dann aber machte er eine kleine Bemerkung und setzte seinen Gegner unerwartet in die Enge. Uebrigens war Eigensinn seiner Seele so fremd, wie es der Eigennuß war.

Die Lasten des Alters hat er zu tragen bekommen. Einige Jahre vor seinem Tode verlor er sein Gehör fast gänzlich, so wurde auch sein Gedächtniß schwach, dennoch arbeitete er dabei immer fort in seiner Weise, sogar ertheilte er bei diesem Leibes- und Geisteszustand immer noch Unterricht.

Dieß ist nun das dritte Bild, welches denen, die zwar mit Hans Momsen zu gleicher Zeit gelebt haben, aber nicht mit ihm bekannt gewesen sind, so wie auch den spätern Geschlechtern vorgestellt wird. Dieß leßte Bild ist nach zwei ältern gemalt, wie zu Anfang gesagt ist; möchte es nicht das allerleßte bleiben. Wenn nun aber der Maler dieses Bildes oder der gegenwärtige Erzähler noch einige nüßliche Lehren folgen läßt, so geschicht es allerdings in Momsens Weise nicht, als welcher selbst fuchte und fand, aber in der Weise eines bekannten Schulbuchs gefchicht es und immer Einigen ist wohl gedient damit. Indessen, um doch über Momsens Bild nicht Momsens Weg gänzlich zu verlassen, deßhalb scien nur sechs Lehren vorgesprochen, und diese mit der gestellten Aufgabe verbunden, sechs und mehrere andere felber aufzufinden, als ebenfalls in dieser Erzählung liegende.

1) Die feuchtere und dickere Marschluft muß doch eben den Kopf nicht einnehmen, oder sich als ein Brett vor ihn legen.

2) Wo wirklich ein ausgezeichnetes Talent ist, da überwindet es auch große Schwierigkeiten.

3) Siehe her, wie mit dem Talente fich der Fleiß zusammen fpannt.

4) Gehe nicht und hänge nicht der Kunst nach, wenn du nicht Brød allenfalls ohne sie hast.

5) Es ist so gar gefährlich nicht für Leben und Gesundheit, wenn Jemand in seinen jüngeren Jahren zuweilen auch die Nacht zu Hülfe nimmt, um etwas zu lernen.

6) Wirst du ein bekannter und berühmter Mann, so werde nicht ein ́vornehmer Mann oder gar ein Narr zugleich.

20. Die Kunst.

Ueberall, wohin der Mensch kommt, drückt er die Spuren seines Daseins dem Antlitz der Erde auf. Wenn Ansiedler in unbebaute Gegenden vordringen, bleibt alsbald kein Baum und kein Strauch an der Stelle, wo er von Natur gewachsen ist, kein Stein auf dem andern, wo er seit Jahrtausenden gelegen hat. In wenig Monden und Jahren verwandelt sich das Ansehen des Landes weit und breit; die finstern Wälder werden ausgerodet, die Sümpfe abgezapft, die Wildniß verschwindet und macht Saatfeldern Plaß, die nach Maß und Zahl regelmäBig abgetheilt und gefurcht sind. Der Herr der Erde zieht in sein Erbtheil ein, und die Natur muß ihm dienen; sobald er kommt, hat ihre Herrschaft ein Ende. So beweist der Mensch an der Natur die Macht seines Verstandes, sein Kennen und sein können. Vom Kennen hat die Kunst ihren Namen, und die Kunst, wenn wir sie so im Allgemeinen der Natur entgegenseßen, bedeutet das Vermögen des Menschen, die Natur zum Mittel für seine Zwecke zu gebrauchen, oder sie seinen Absichten dienstbar zu machen.

Freilich muß der Mensch sich dabei auch seinerseits wieder nach dem Laufe der Natur richten, und indem er ihr Geseze vorschreibt, schreibt sie ihm auch wieder Gesetze vor. Er kann den Bächen und Flüssen einen andern Lauf vorzeichnen, den Bäumen einen andern Stand geben; aber er kann dem Wasser nicht gebieten, die Berge hinan zu fließen, und den Bäumen, die er verpflanzt, darf er nicht Sonnenlicht und Feuchtigkeit entziehen, wenn sie ihm dienen und Früchte bringen sollen. Will der Mensch etwas über die Natur vermögen und können, so muß er die Geseße kennen lernen, die ihr vom Schöpfer gegeben sind, und sich sammt der Natur nach dieser göttlichen Ordnung richten. Die Dienerin Natur wird somit wieder die Lehrmeisterin ihres Herrn, des Menschen, und wehe ihm, wenn er die Vorschriften Gottes, des gemeinschaftlichen Oberherrn, verkennet und verachtet; die Natur kehrt sich wider ihn um, und die empörten Elemente strafen mit Wasserfluten, Feuersgluten, Hungersnoth und allen Schrecken der Natur den Uebermuth oder die Sorglosigkeit des ohnmächtigen Menschen.

Nur durch Verstand und Weisheit kann er sein Regiment begründen, und nur durch Mäßigung erhalten. Er kann die Natur durch keine Kunst verdrängen, sondern muß sich nach ihr

richten, damit sie sich wieder nach ihm richte, und im Ganzen muß immer die allgemeine Ordnung bestehen bleiben, wenn auch der Mensch einen freien Spielraum darin haben darf. Findet nun der Herr dabei seinen Vortheil, so geht auch die Dienerin nicht leer aus; sie selbst gewinnt unter der Pflege des Menschen. Ihre edelsten Erzeugnisse werden hervorgezogen und selbst noch mehr veredelt; die Weinrebe, der Delbaum, das Getreide und Obst erhalten ihren Plaß in der fettesten Erde, dem hellsten Sonnenlichte, sie kommen zu ihrer Ehre vor allen andern; das Schlechtere muß überall zurückweichen, das Nußlose, Schädliche und Giftige muß sich in die Einöden verkriechen, bis es auch da wieder vertrieben wird und am Ende ganz verschwindet.

Das ist die Kunst des Menschen im weitesten Sinne des Wortes, sein Vermögen über die Natur, seine Herrschaft auf der Erde, die ihm verliehen ward, damit er sich selbst dadurch zuerst im Sinnlichen und Natürlichen an Maß und Ziel gewöhne, mäßig und zufrieden und verständig würde. Aber um die Natur zu bezwingen und zu beherrschen bedarf der Mensch immer wieder der Natur selber, das heißt: er bedarf vieler Mittel, Werkzeuge, Kräfte, die nur bei der Natur selbst zu fin= den und zu holen sind. Um gegen Frost und Hiße sich zu schüzzen, baut er Häuser; aber dazu muß ihm die Natur selbst erst Holz und Steine liefern, und um diesen Baustoff zu bearbeiten, muß er wieder nach Eisen und Feuer, und außerdem nach Zugthieren als Gehülfen sich umsehen, und also wiederum zu der Natur hingehen und fragen, ob sie ihm aus ihren Vorrathskammern unter und über der Erde diese Mittel gewähren wolle. Ehe er zu seinem eigentlichen oder leßten Endzweck gelangt, muß er sich erst viele Mittel bereiten. Dieser Endzweck ist die Sicherheit und Wohlfahrt des Lebens, und alles, was der Mensch zu diesem Zwecke bedarf, nennt er ein nothwendiges Lebensbedürfniß, wobei er es freilich nicht so genau nimmt mit dieser angeblichen Nothwendigkeit, denn so Manches, was er dafür ausgiebt, ist, genau erwogen, allerdings entbehrlich und keinesweges so schlechterdings nothwendig, wie er sich einbildet. Indessen möchte es auch sehr schwer sein, überall eine scharfe Gränze zu ziehen und von allem und jedem Dinge zu urtheilen, ob es im Ganzen nöthig oder unnöthig, nüßlich oder ein ganz überflüssiger Lurus sei. Soll doch der Mensch sein Leben immerhin in Dank und Freude genießen, soweit es ihm

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