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Beispiel 8.

Aus Laokoon, oder über die Grenzen der Mahlerei und
Poesie. (Tb. VI. S. 409.)

Der Einfall, den Vater mit seinen beyden Söhnen durch die mördrischen Schlangen in einen Knoten zu schürzen, ist ohnstreitig ein sehr glücklicher Einfall, der von einer ungemein mahlerischen Phantasie zeiget. Wem gehört er? Dem Dichter, oder den Künstlern? Montfaucon will ihn bey dem Dichter nicht finden. Aber ich meine, Montfaucon hat den Dichter nicht aufmerksam genug gelesen.'

Der Dichter hat die Schlangen von einer wunderbaren Länge geschildert. Sie haben die Knaben umstrickt, und da der Vater ihnen zu Hülfe kömmt, ergreiffen sie auch ihn. (corripiunt) Nach ihrer Gröffe konnten sie sich nicht auf einmal von den Knaben loswinden; es mußte also einen Augenblick geben, da sie den Vater mit ihren Köpfen und Vordertheilen schon angefallen hatten, und mit ihren Hintertheilen, die Knaben noch verschlungen hielten. Dieser Augenblick ist in der Fortschreitung des poetischen Gemähldes nothwendig, der Dichter läßt ihn sattsam empfinden; nur ihn auszumahlen, dazu war ist die Zeit nicht Daß ihn die alten Ausleger auch wirklich empfunden haben, scheinet eine Stelle des Donatus zu bezeigen. Wie viel weniger wird er den Künstlern entwischt seyn, in deren verständiges Auge alles, was ihnen vortheilhaft werden kann, so schnell und deutlich einleuchtet?

In den Windungen selbst, mit welchen der Dichter die Schlangen um den Laokoon führet, vermeydet er sehr sorgfältig die Arme, um den Händen alle ihre Wirksamkeit zu lassen

Ille fimul manibus tendit divellere nodos. Hierinn mußten ihm die Künstler nothwendig folgen. Nichts giebt mehr Ausdruck und Leben, als die Bewegung der Hände; im Affecte besonders ist das sprechendste Gesicht ohne sie unbedeutend. Aerme, durch die Ringe der Schlangen fest an den Körper geschlossen, würden Frost und Tod über die ganze Gruppe verbreitet haben. Also sehen wir fie, an der Hauptfigur so wohl als an den Nebenfiguren, in völliger Thätigkeit, und da am meisten beschäftiget, wo gegenwärtig der heftigste Schmerz ist

Weiter aber auch nichts, als diese Freyheit der Arme, fanden die Künstler zuträglich, in Ansehung der Verstrickung der Schlangen, von dem Dichter zu entlehnen. Virgil läßt die Schlangen doppelt um den Leib, und doppelt um den Hals des Laokoon sich winden, und hoch mit ihren Köpfen über ihn herausragen.

1. Es folgen hier die lateinischen Verse Virgils: illi agmine certo fpirisque ligant ingentibus.

Bis medium amplexi, bis collo fquamea circum

Terga dati, fuperant capite et cervicibus altis. Dieses Bild füllet unsre Einbildungskraft vortrefflich; die edelsten Theile sind bis zum Ersticken gepreßt und das Gift gehet gerade nach dem Ge sichte. Dem ohngeachtet war es kein Bild für Künstler, welche die Wirkungen des Giftes und des Schmerzes in dem Körper zeigen wollten. Denn um diese bemerken zu können, mußten die Haupttheile so frey seyn. als möglich, und durchaus müßte kein äußrer Druck auf sie wirken, welcher das Spiel der leidenden Nerven und arbeitenden Muskeln verändern und schwächen könnte. Die doppelten Windungen der Schlangen würden den ganzen Leib verdeckt haben, und jene schmerzliche Einziehung des Unterleibes, welche so sehr ausdrückend ist, würde unsichtbar geblieben seyn. Was man über, oder unter, oder zwischen den Windungen, von dem Leibe noch erblickt hätte, würde unter Pressungen und Aufschwellungen erschienen seyn, die nicht von dem innern Schmerze, sondern von der äussern Last gewirket worden. Der eben so oft umschlungene Hals würde die pyrami dalische Zuspitzung der Gruppe, welche dem Auge so angenehm ist, gänz lich verdorben haben; und die aus dieser Wulst ins Freye hinausragende spitze Schlangenköpfe hätten einen so plötzlichen Abfall von Mensur gemacht, daß die Form des Ganzen äusserst anstößig geworden wäre. Es giebt Zeichner, welche unverständig genug gewesen sind, sich demohngeachtet an den Dichter zu binden. Was denn aber auch daraus geworden, läßt sich unter andern aus einem Blatte des Franz Cleyn' mit Abscheu erkennen. Die alten Bildhauer übersehen es mit einem Blicke, daß ihre Kunst hier eine gänzliche Abänderung erfordere. Sie verlegten alle Windungen von dem Leibe und Halse um die Schenkel und Füsse. Hier konnten diese Wendungen, dem Ausdrucke unbeschadet, so viel decken und pressen, als nöthig war. Hier erregten sie zugleich die Idee der gehemmten Flucht und einer Art von Unbeweglichkeit, die der künstlichen Fortdauer des nehm lichen Zustandes sehr vortheilhaft ist.

Ich weis nicht, wie es gekommen, daß die Kunstrichter diese Verschiedenheit, welche sich in den Windungen der Schlangen zwischen dem Kunstwerke und der Beschreibung des Dichters so deutlich zeiget, gänzlich mit Stillschweigen übergangen haben. Sie erhebet die Weisheit der Künst ler eben so sehr als die andre, auf die sie alle fallen, die sie aber nicht sowohl anzupreisen wagen, als vielmehr nur zu entschuldigen suchen. Ich meine die Verschiedenheit in der Bekleidung. Virgils Laokoon ist in seis nem priesterlichen Ornate, und in der Gruppe erscheint er, mit seinen bey

1. In der prächtigen Ausgabe von Drydens englischem Virgil (London 1697 in groß Folio). Und doch hat auch dieser die Windungen der Schlangen um den Leib nur einfach, und um den Hals fast gar nicht geführt.

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den Söhnen, völlig nackend. Man sagt, es gebe Leute, welche eine große Ungereimtheit darin fänden, daß ein Königssohn, ein Priester, bey einem Opfer nackend vorgestellet werde. Und diesen Leuten antworten Kenner der Kunst in allem Ernste, daß es allerdings ein Fehler gegen das Ueb liche sey, daß aber die Künstler dazu gezwungen worden, weil sie ihren Figuren keine anständige Kleidung geben können. Die Bildhaueren, sagen fie, könne keine Stoffe nachahmen; dicke Falten machten eine üble Wirfung; aus zwey Unbequemlichkeiten habe man also die geringste wählen, und lieber gegen die Wahrheit selbst verstossen, als in den Gewändern tadelhaft werden müssen. Wenn die alten Artisten bey dem Einwurfe las chen würden, so weis ich nicht, was sie zu der Beantwortung sagen dürf ten. Man kann die Kunst nicht tiefer herabseßen, als es dadurch geschieht. Denn gesetzt, die Sculptur könnte die verschiednen Stoffe eben so gut nachahmen, als die Mahlerey: würde sodann Laokoon nothwendig beklei det seyn müssen? Würden wir unter dieser Bekleidung nichts verlieren? Hat ein Gewand, das Werk sklavischer Hände, eben so viel Schönheit als das Werk der ewigen Weisheit, ein organisirter Körper? Erfordert es eis nerley Fähigkeiten, ist es einerley Verdienst, bringt es einerley Ehre, jenes oder diesen nachzuahmen? Wollen unsre Augen nur getäuscht seyn, und ist es ihnen gleich viel, womit sie getäuscht werden?

Bey dem Dichter ist ein Gewand fein Gewand; es verdeckt nichts; unsere Einbildungskraft sieht überall hindurch. Laofoon habe es bey dem Virgil, oder habe es nicht, sein Leiden ist ihr an jedem Theile seines Körpers einmal so sichtbar, wie das andere. Die Stirne ist mit der pries sterlichen Binde für sie umbunden, aber nicht umbüllet. Ja sie hindert nicht allein nicht, diese Binde; sie verstärkt auch noch den Begriff, den wir uns von dem Unglücke des Leidenden machen.

Perfufus fanie vittas atroque veneno.

Nichts hilft ihm seine priesterliche Würde; selbst das Zeichen derselben, das ihm überall Ansehen und Verehrung verschaft, wird von dem giftigen Geifer durchnetzt und entheiliget.

Aber diesen Nebenbegriff mußte der Artist aufgeben, wenn das Hauptwerk nicht leiden sollte. Hätte er dem Laokoon auch nur diese Binde gelassen, so würde er den Ausdruck um ein grosses geschwächt haben. Die Stirne wäre zum Theil verdeckt werden, und die Stirne ist der Sitz des Ausdruckes. Wie er also dort, bey dem Schreyen, den Ausdruck der Schönheit aufopferte, so opferte er hier das Uebliche dem Ausdrucke auf. Ueberhaupt war das Uebliche bey den Alten eine sehr geringschätzige Sache. Sie fühlten, daß die höchste Bestimmung ihrer Kunst sie auf die völlige Entbehrung desselben führte. Schönheit ist diese höchste Bestimmung; Noth erfand die Kleider, und was hat die Kunst mit der Noth zu thun? Ich gebe es zu, daß es auch eine Schönheit der Bekleidung giebt: aber was

ist sie gegen die Schönheit der menschlichen Form? Und wird der, der das Grössere erreichen kaun, sich mit dem Kleinern begnügen? Ich fürchte sehr, der vollkommenste Meister in Gewändern, zeigt durch diese Ge schicklichkeit selbst, woran es ihm fehlt.

Beispiel 9.

Aus der Dramaturgie. (B. VII. S. 17.)
(Von dem Vortrage moralischer Stellen.)

Wenn in einer heftigen Situation die Seele sich auf einmal zu sam meln scheint, um einen überlegenden Blicke auf sich, oder auf das, was sie umgiebt, zu werfen; so ist es natürlich, daß sie allen Bewegungen des Körpers, die von ihrem bloßen Willen abhangen, gebieten wird. Nicht die Stimme allein wird gelassener; die Glieder alle gerathen in einen Stand der Ruhe, um die innere Ruhe auszudrücken, ohne die das Auge der Vernunft nicht wohl um sich schauen kann. Mit eins tritt der fortschreitende Fuß fest auf, die Arme sinken, der ganze Körper zieht sich in den wagrechten Stand; eine Pause und dann die Reflexion. Der Mann steht da, in einer feyerlichen Stille, als ob er sich nicht stöhren wollte, sich selbst zu hören. Die Reflexion ist aus, wieder eine Pause und so wie die Reflexion abgezielet, seine Leidenschaft entweder zu mäßigen, oder zu befeuern, bricht er entweder auf einmal wieder los, oder sehet allmälig das Spiel seiner Glieder wieder in Gang. Nur auf dem Gesichte blei ben, während der Reflexion, die Spuren des Affekts; Mine und Auge sind noch in Bewegung und Feuer; denn wir haben Mine und Auge nicht so urplötzlich in unserer Gewalt, als Fuß und Hand. Und hierin dann, in diesen ausdrückenden Minen, in diesem entbrannten Auge, und in dem Ruhestande des ganzen übrigen Körpers, bestehet die Mischung von Feuer und Kälte, mit welcher ich glaube, daß die Moral in heftigen Situationen gesprochen seyn will.

Mit eben dieser Mischung will sie auch in ruhigen Situationen ge sagt seyn; nur mit dem Unterschiede, daß der Theil der Aktion, welcher dort der feurige war, hier der kältere, und welcher dort der kältere war, hier der feurige seyn muß. Nehmlich: da die Seele, wenn sie nichts als sanfte Empfindungen hat, durch allgemeine Betrachtungen diesen sanften Empfindungen einen höhern Grad von Lebhaftigkeit zu geben sucht, so wird sie auch die Glieder des Körpers, die ihr unmittelbar zu Gebothe stehen, dazu beytragen lassen; die Hände werden in voller Bewegung sein; nur der Ausdruck des Gesichts kann so geschwind nicht nach, und in Mine und Auge wird noch die Ruhe herrschen, aus der sie der übrige Körper gern herausarbeiten möchte.

Aber von was für Art sind die Bewegungen der Hände, mit welchen in ruhigen Situationen die Moral gesprochen zu seyn liebet?

Von der Chironomie der Alten, das ist von dem Inbegriffe der Regeln, welche die Alten den Bewegungen der Hände vorgeschrieben hatten, wissen wir nur sehr wenig; aber dieses wissen wir, daß sie die Hände sprache zu einer Vollkommenheit gebracht, von der sich aus dem, was unsere Redner darinn zu leisten im Stande sind, kaum die Möglichkeit sollte begreifen lassen. Wir scheinen von dieser ganzen Sprache nichts als ein unartikulirtes Geschrey behalten zu haben, nichts als das Vermögen Bewegungen zu machen, ohne zu wissen, wie diesen Bewegungen eine fixirte Bedeutung zu geben, und wie sie unter einander zu verbinden, daß sie nicht blos eines einzeln Sinnes, sondern eines zusammenhangenden Verstandes fähig werden.

Ich bescheide mich gern, daß man, bey den Alten, den Pantomimen nicht mit dem Schauspieler vermengen muß. Die Hände des Schauspielers waren bey weiten so geschwätzig nicht, als die Hände des Pantomimens. Bey diesem vertraten sie die Stelle der Sprache; bei jenem sollten sie nur 2 den Nachdruck derselben vermehren, und durch ihre Bewegungen, als natürliche Zeichen der Dinge, den verabredeten Zeichen der Stimme Wahrheit und Leben verschaffen helfen. Bei den Pantomimen waren die Bewegungen der Hände nicht bloß natürliche Zeichen; viele derselben hatten eine conventionelle Bedeutung, und dieser mußte sich der Schauspieler gänzlich enthalten.

Er gebrauchte sich also seiner Hände sparsamer, als der Pantomime, aber eben so wenig vergebens, als dieser. Er rührte keine Hand, wenn er nichts damit bedeuten oder verstärken konnte. Er wußte nichts von den gleichgültigen Bewegungen, durch deren beständigen einförmigen Gebrauch ein so großer Theil von Schauspielern, besonders das Frauenzimmer, sich das vollkommene Ansehen von Dratpuppen giebt. Bald mit der rechten, bald mit der linken Hand, die Hälfte einer krieplichten Achte, abwärts vom Körper, beschreiben, oder mit beiden Händen zugleich die Luft von sich wegrudern, heißt ihnen, Aktion haben; und wer es mit einer gewissen Tanzmeistergrazie zu thun geübt ist, o! der glaubt, uns bezaubern. zu können.

Ich weiß wohl, daß selbst Hogarth den Schauspielern befiehlt, ihre Hand in schönen Schlangenlinien bewegen zu lernen; aber nach allen Seiten, mit allen möglichen Abänderungen, deren diese Linien, in Ansehung ihres Schwunges, ihrer Größe und Dauer, fähig sind. Und endlich be. fiehlt er es ihnen nur zur Uebung, um sich zum Agiren dadurch geschickt zu machen, um den Armen die Biegungen des Reißes geläufig zu machen; nicht aber in der Meinung, daß das Agiren selbst in weiter nichts, als in der Beschreibung solcher schönen Linien, immer nach der nehmlichen Di: rektion, bestehe.

Weg also mit diesem unbedeutenden Portebras, vornehmlich bey_mo

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