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Friz Mauthners Kritik der Sprache.

Von Dr. Rich. Eduard Ottmann in Gießen.

Wer eine Kritik der Sprache zu schreiben unternimmt, muß ein Mensch von den seltensten Gaben und geradezu unheimlichen Kenntnissen sein; er müßte über ein Wissen verfügen, dem gegenüber das auf weit beschränkterem Gebiet sich bewegende Wissen des Sprachforschers, wie umfassend es auch ist, nur ein kleiner Bruchteil wäre. Das Urteil über Wesen und Wert der Sprache muß für eine derartige Kritik das Endziel sein; aber viele Wege führen zu diesem vielleicht unscheinbaren Ziel, und ein jeder von ihnen muß betreten werden, wenn das Ziel nicht bloß einseitig gefaßt werden soll. Der Sprachkritiker hat sein Objekt nach der psychologischen und logisch-grammatischen Seite, nach der mechanischphysiologischen, nach der phonetisch-akustischen und selbst nach der pathologischen Seite hin zu untersuchen, er muß Anthropologe und sattelfester Naturwissenschaftler sein, Kulturkenner und Literarhistoriker, Ästhetiker und Dichter, Sprachenkenner und Sprachforscher. Betrachtet man vergleichsweise die auf einen Teil des lezten Gebietes beschränkten staunenswerten Leistungen Brugmanns, so fragt man billigerweise, ob ein wenn auch weniger vertieftes, dafür aber um das Vielfache ausgedehntes Wissen und Können, wie es für jenen Zweck Voraussetzung sein sollte, überhaupt in dem Bereich des Möglichen liegt.

Es ist in unserer schreibseligen Zeit gar nicht so selten, daß der Durchschnittsliterat über das enge Gebiet, auf dem er dem Interesse des Durchschnittsmenschen allenfalls genügen kann, in gewagte Fernen. hinausstrebt, deren Schäße er auch nicht im geringsten sein eigen nennt. So irrte schon mancher auf ein Stoffgebiet ab, das nur eitle Selbstüberschätzung als rechtmäßiges Arbeitsfeld ansah, und seine Unwissenschaftlichkeit vermaß sich zu guter Lezt, die Wissenschaft abzukanzeln. Meist ist es der auf annähernd beherrschtem Gebiet errungene buchhändlerische Erfolg, der langsam zu dem Größenwahn des Autors und durch stets gesteigerte Mängel bis zur Mißhandlung der Wissenschaft führt. Man braucht nur an den Autodidakten Karl Faulmann zu erinnern. Er war Buchdrucker und hatte für sein Fach etwas übrig. Der Erfolg seiner Beitschr. f. d. deutschen Unterricht. 17. Jahrg. 1. Heft.

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für ihre Zeit glänzend ausgestatteten Geschichte der Buchdruckerkunst trieb ihn weiter auf der betretenen Bahn. Von einer Geschichte des Buchdrucks zu einer Geschichte der Schrift schien kein weiter Schritt. Er wurde getan, und die Einsichtigen machten eine bedenkliche Miene; es folgte eine Geschichte der Kultur, und die Verständigen schüttelten den Kopf; es tam schließlich das berüchtigte etymologische Wörterbuch, und die Urteilsfähigen fielen auf den Rücken. Denkt man gar noch an den auch sonst schlecht kreditierten Rudolf Falb, der in seinem Buch über das Land der Inka in geradezu unwissenschaftlicher Weise sich auf sprachlichem Gebiete versuchte, so ist es dem Gebildeten nicht zu verargen, wenn er neuen Erscheinungen, die mit der deutlich vorgekehrten Absicht, die Wissenschaft zu korrigieren, von Schriftstellern ohne fachwissenschaftlichen Ruf weiteren Kreisen geboten werden, mit Mißtrauen begegnet. Und wenn ein umfängliches Werk eines seit langem lediglich auf dem Gebiet der schönen Literatur bewährten Verfassers sich die nur mit unendlich reicheren Mitteln als denen seines Spezialfachs zu leistende Kritik der Sprache als Ziel seht, wie es bei Friz Mauthner, dem Verfasser der ergößlichen Parodien,,Nach berühmten Mustern", in seinem neuesten umfänglichen Werk,,Beiträge zu einer Kritik der Sprache") der Fall ist, von dem die beiden Bände I. Sprache und Psychologie und II. Zur Sprachwissenschaft vorliegen, und man den zweifellos hochbegabten Verfasser nach fünfundzwanzig schöngeistigen Jahren plöglich als einen ganz andern und in den Reihen der Forscher sieht, so wird man begreiflicherweise stußig. Aber das Mißtrauen, das an Falb und Faulmann zu denken wagt, soll durchaus keine Voreingenommenheit bedeuten, und es macht dem Rezensenten Freude, dem Werk als Ganzem Weine über die Form der Höflichkeit hinausgehende Anerkennung zollen zu können. Mit den Mitteln der Möglichkeit bleibt dabei immer zu rechnen; denn wenn ein Werk wie das vorliegende sich auf alle Gebiete erstreckt, die mit dem Sprachleben zusammenhängen, so muß es, weil kein Mensch mit ausreichender wissenschaftlicher Kenntnis alle diese Gebiete beherrschen kann, entweder ungeschrieben bleiben, oder vorbehaltlich der auch in dem Titel gewahrten Unzulänglichkeit darf es vielleicht doch gerade derjenige am ehesten unternehmen, der die Sprache in ihrem Zusammenhang mit dem Denken und den Denkformen, mit den bewegenden Ideen und dem. seelischen Fühlen, mit dem Eigenindividuum und einer Außenwelt inniger belauscht hat: der feinfühlige Schriftsteller; und wenn wir an ihm das ernste Streben bemerken, sich auf allen irgendwie in Betracht kommenden Gebieten genau zu orientieren, und eine überraschende Sachkenntnis und

1) Verlag der J. G. Cottaschen Buchhandlung Nachf., Stuttgart (u. Berlin), 1901.

Urteilsfähigkeit auch im fernerliegenden entdecken, so dürfen wir seine kritischen Streifzüge sogar mit der Erwartung leidlicher Ausbeute getrost mitmachen. Und wem es sonst noch nicht zum Bewußtsein gekommen ist: hier wird es ihm mit erfreulichem Mut vorgehalten, wie sehr er ein Sklave seiner Zeit und des hergebrachten Wortdenkens ist, wie das stolze Selbstgefühl, das schließlich auch bei besserer Erkenntnis und geistiger Überlegenheit den Bann des überkommenen nicht zu sprengen vermag, geäfft wird von dem geschichtlich Gewordenen, von der Summe jahrtausendelangen Erwerbs. Die Kritik der Sprache wird damit zu einer Metatritit des Denkens und der Vernunft: für Mauthner steht und fällt das eine mit dem andern.

Mauthner ist freilich mehr der Geist, der verneint, als der schaffende Titan, mehr Zertrümmerer als Erbauer, in den Endfragen mehr die; Sphinx, die Rätsel wiederholt, als der lösende und erlösende Übermensch. Wir bewundern die umfassende Kenntnis, die dem Verfasser weit mehr als dem Professionisten Beweisstoffe und Vergleiche an die Hand gibt, den weiten Blick, der das in Einzelwissenschaften Auseinandergehende überschaut und sammelt, die Vorurteilslosigkeit — so scheint es, die den Bann der Voreingenommenheit, des Aberglaubens, des blinden Nachtretens überwindet und die Fessel überkommener Spruchweisheit abzutun redlich bestrebt ist; aber wir werden die Empfindung nicht los, daß das genial schaltende Wissen sich nur graduell vom Dilettantismus abhebt. Wir bewundern in dem Verfasser den Naturforscher, der die Formen des organischen Lebens in ihren Entwicklungsstadien zurückverfolgt und überall Analogien aufdeckt, den Weltweisen, der keinem Gözen opfert und grübelnd seine eigenen Wege geht, den Kritiker, der keine Autorität gelten lassen will, den Rechtslehrer, der ohne die Befangenheit des ihm durch Studiengang verwandten Standes die Unvollkommenheit und den höchst relativen Wert menschlicher Einrichtungen und Urteile vorkehrt, den Ästhetiker, den Dichter, den Sprachgewaltigen; den Schriftsteller schließlich, der einem Lieblingswerk sein Brot zum Opfer bringt. Und doch hätte er, der Schriftsteller von Fach, der seine Meisterschaft in der Handhabung der Sprachform bereits vor manchem Jahr der Welt kundgetan hat, der Wissenschaft vielleicht einen besseren Dienst geleistet, wenn er von weniger hoher Zinne gesprochen hätte und sich an geringerer Umschau hätte genügen lassen. Es scheint, er habe sich selbst verleugnet; so sehr tritt er als Formdeuter hinter der abstrakten Spekulation zurück, die in den Endfragen von vornherein zur Ergebnislosigkeit führen mußte. Auch Mauthner ist Mensch, und wieviel Faustschen Erkenntnistriebes auch in ihm steckt: die Grenzen menschlichen Erkennens sind auch ihm gezogen. Er leistet nichts Positives, wenn er die Aufgabe der

Sprachwissenschaft um Jahrtausende zurückschiebt. Vielleicht daß er sich so dem Vorhang, der den Blick in den Urgrund aller Dinge verschließt, um einen winzigen Schritt nähert. Die Sprachwissenschaft darf selbst diesen kleinen Schritt nicht bedingungslos mittun, soll sie nicht in Gefahr kommen, sich zu diskreditieren. Nur das gewagte Vorgehen trägt auf dem trügerischen Boden; wo der feste Grund schwindet, ist es Zeit zu Einhalt und Umkehr.

Man wird es der Sprachwissenschaft nicht zum Vorwurf machen, daß sie diese Grenze scheinbar überschreitet. Sie erfüllt nur die Pflicht der Wissenschaft überhaupt, wenn sie aus dem Lezterreichbaren ein Fazit zieht, das, an sich ungebucht, das notwendige Ergebnis des Rückschlusses sein muß. Was Mauthner in weit kühnerem Vorgehen sich selbst gegen= über als natürliche Forderung ansieht und in der Richtung des eigenen Interesses von der Sprachforschung verlangt, das versagt er den Zunftmäßigen da, wo der vermeintliche Zunftzwang ihnen einen andern Weg weist und rascheren Stillstand gebietet. Der exakten Wissenschaft ist vieles, vielleicht das meiste gleichgültig, was für Mauthner Hauptsache ist: nicht aus Interesselosigkeit, sondern weil sie sich am Ziel des Beweisbaren sieht.

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Wie der blinde Bekenner des Naturheilevangeliums, wieviel ihm an den nötigen Kenntnissen auch abgehen mag, den Arzt lästert, so wird Mauthner der vergleichenden indogermanischen Sprachforschung, der das Wesen der Sprachwissenschaft ausmachenden Etymologie nicht gerecht. Mauthner ist gerade auf diesem Gebiet, das wenige überblicken und nur Auserwählte beherrschen, zu sehr Passant, um Arbeit und Leistung des Indogermanisten richtig zu würdigen, wenn es auch bei ihm an Äußerungen der Anerkennung nicht fehlt. Aber es ist das Wohlwollen, das der sich höher Dünkende dem Arbeiter bekundet, der den Garten pflegt, aus dem er sich gelegentlich mit Gönnermiene eine Blume bricht. Die Verzweigungstheorie nach landläufig wissenschaftlicher Anschauung mag man sich die Ausbreitung der indogermanischen Völkerfamilie auf linearem Weg oder in der Form der Wellenbewegung oder sonstwie vorstellen wird von Mauthner völlig verurteilt: an Stelle der Wanderungen erscheint eher Seßhaftigkeit, an Stelle sprachlicher Vererbung Sprachmischung und gegenseitiges Entlehnen des Sprachguts, und selbst für die greifbare Zeit romanischer Sprachentwicklung muß die Vorstellung einer Anleihe herhalten, die erst als Anleihe im großen verständlich würde. Glücklicherweise ist die Sprachwissenschaft nicht so blind und ungeschickt, daß fie die Worteindringlinge nicht herausfände, und nicht so arglos, dem Verdachtsmoment keinen oder zu geringen Raum zu gestatten. Eher das Gegenteil: und allemal, wo der Zwiespalt mit der normalen Entwicklung

einen vorderhand unlösbaren Widerspruch in sich schließt. Im Gegen saz zu der von der Wissenschaft proklamierten Ausnahmslosigkeit der Lautgeseze find Widersprüche in der sprachlichen Entwicklung für Mauthner! gegenstandslos; er trägt den Zufall in die Lautgeschichte hinein, mit dessen Anerkennung die etymologische Forschung ohne weiteres ihren Bankrott erklären müßte, und rechtet in kleinlichem Wortstreit mit der philologischen Vermessenheit, die ihre gelegentlichen Aperçus unter der Flagge von Gesezen segeln lasse Gesezen, die nur nach rückwärts taugten und nach der Seite der künftigen Entwicklung im Stich ließen und zudem aus jedem Unerklärten wieder ein Gesezchen mache.

Zufall erkennt auch die Sprachgeschichte an: aber nicht in dem rein mechanisch-physiologischen Vorgang des Lautwandels, sondern im Bedeutungswandel und dem psychologischen und darum bedingten Vorgang der Durchkreuzung der Lautgeseze durch Anlehnung. Die Bedeutung dieser sogenannten Analogie für die Entwicklung der Sprache ist seit dem Aufkommen der junggrammatischen Richtung mehr und mehr ge= würdigt worden. Ich habe bereits im Jahr 1890 in meiner Abhandlung über die reduplizierten Präterita das Wirken der die lautliche Entwicklung durchseßenden Analogie auf einem besonders lehrreichen Gebiet im einzelnen nachzuweisen gesucht. Mehr noch offenbart das Lehnwort ein Stück Zufallsgeschichte; die kulturhistorischen Bedingungen, die ihm zur Grundlage dienen, sind eben Zufallsmomente. Zufall zeigt auch die verhältnismäßig seltene volksetymologische Durchkreuzung des Lautstandes; aber ihre Bedeutung verliert ungemein dadurch, daß sie in der Hauptsache nur an fremdländische und als solche nicht mundgerechte Lautgebilde ihre Triebe anseßt und verhältnismäßig sehr selten an einheimisches Gut, und Mauthner hätte erkennen dürfen, daß in lezterer Hinsicht die für die Wissenschaft bedeutungslose konventionelle Gemeinsprache und die noch wertlosere Schriftsprache, nicht aber die lebendige Sprache, die Volkssprache, die Umprägung vorgenommen hat (man vergleiche Wörter wie Maulwurf, Fas[t]nacht). Schon von diesem Gesichtspunkt aus erscheint Mauthners unbewiesene These, daß Volksetymologie in der Entwicklung der Sprache unendlich viel einflußreicher gewesen sein müsse, als die Sprachwissenschaft sich träumen lasse, mehr als fragwürdig. Und was den Bedeutungswandel betrifft, so weiß das vielangefochtene zünftlerische Gelehrtentum - und hier würden unter den Zünstlern die Spezialisten des Romanischen am besten Auskunft geben können, daß die Kenntnis des Zusammenhangs zwischen Laut- und Bedeutungswandel (wie bei homme und on) nicht erst Mauthners Eigentum ist, die betreffende Erscheinung aber trok Mauthner unter den auch von ihm vorgekehrten Accentbedingungen in ihrer Art geseßlich verläuft.

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