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unwirksam sein würde. Noch während Lessings „Laokoon" entstand, riet Daniel Webb in seiner „,Inquiry into the beauties of painting" (1764) den Dichtern, sich möglichst oft und eng an die Kunstwerke anzuschließen. Zu diesem Zwecke hatte der französische Archäolog Graf 5 Caylus, der selbst Maler und Dichter war, 1755 den Künstlern eine lange Reihe von Stellen der „Ilias“, der „Odyssee“ und der „Äneis“ als Gegenstände von Gemälden empfohlen.

Für die Poesie waren die Folgen dieser Unklarheit über die Grenzen beider Kunstgebiete nicht gerade verhängnisvoll. Die ohne10 hin bei den erfindungsarmen, schwächlichen Dichtern des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts vorhandene Neigung zu breit ausgemalten Schilderungen wurde durch die herrschende Theorie gerechtfertigt und bestärkt. Die Kritik pries solche malende Gedichte wie den „Frühling" Ewald von Kleists und die Jdyllen Geßners gerade um der15 jenigen Reize willen, die den eigentlich menschlichen Gehalt gefährdeten. Aber das Streben nach Anschaulichkeit für das Auge bedeutete an sich noch kein Überschreiten der im Wesen der Gattung gegebenen Möglichkeiten. Weit empfindlicheren Schaden hatte die allgemeine Begriffsverwirrung den bildenden Künsten zugefügt. Sie wurden 20 intellektuell, wollten Geschichten erzählen und Begriffe darstellen, wählten mit Vorliebe solche Gegenstände wie Ovids „Metamorphosen“, deren plögliche Verwandlungen von Menschen in Tiere oder Bäume überhaupt nicht als einheitliches Bild darstellbar waren, und verloren dadurch das Gefühl für das Wesentliche plastischer und 25 malerischer Auffassung, für Form und Farbe.

Das erkannten feiner empfindende Beurteiler schon lange vor Lessing, indem sie die Leistungen der Zeitgenossen an den Denkmälern früherer Epochen, in erster Linie denen der Antike, maßen. Und sie suchten, gemäß dem oben umschriebenen geistigen Charakter 30 der Aufklärung, die Ursache durch logische Operationen zu ergründen. Im Jahre 1719 gab Jean Baptiste Dubos seine,,Réflexions critiques sur la Poésie et la Peinture" heraus. Hier wurden die natürlichen Zeichen der Malerei von den willkürlichen der Poesie geschieden, der einen nur ein Augenblick, der anderen eine Zeitfolge zugestanden und 35 daraus im 13. Kapitel des 1. Bandes Folgerungen für die verschiedenartigen Gegenstände beider Künste gezogen. Hier war auch bereits die Allegorie verurteilt. Aber selbst dieses Buch trug das Motto:

,,Ut pictura poësis." Daß es gerade darauf ankam, die verwischten Grenzen beider Kunstgattungen wieder deutlich hervortreten zu lassen, erkannte zuerst der Engländer James Harris in den,,Three Treatises: the first concerning Art; the second concerning Music, Painting and Poetry; the third concerning Happiness“ (1744), die 1756 auch in 5 deutscher Überseßung erschienen. Hier findet sich schon die doppelte Einteilung der Künste in solche, deren Gegenstände koexistierende oder sukzessive sind, und weiterhin nach der Bestimmung für das Auge oder für das Dhr. Aber die Folgerung Lessings, daß die Poesie Handlungen, die Malerei Körper darstelle, hat Harris nicht gezogen. 10 Schon ist die Rede von dem fruchtbarsten Moment und wieder, wie bei Dubos, von den natürlichen und den willkürlichen Zeichen. Unsystematisch, aber überall anregend berührt Diderot die Probleme in seiner „Lettre sur les Sourds et les Muets" (1751)1. Nicht den Taubstummen gilt dieser Brief, sondern denen, die hören und 15 sprechen, und der Adressat ist Batteur. Er hatte 1746 europäische Berühmtheit gewonnen durch sein Werk,,Les beaux arts, réduits à un même principe", das verschönerte Wiedergabe der Wirklichkeit zum einigenden Band aller Künste machte. Diderot folgert aus der Verschiedenheit der Geste, die für das Auge bestimmt ist, 20 und des Wortes, das dem Ohre gilt, Malerei und Poesie könnten denselben Gegenstand nicht auf dieselbe Weise darstellen. Die Schönheiten des Dichters sind nicht zugleich Schönheiten für den Maler.

Einer der angesehensten deutschen Kunstkenner, Christian Ludwig von Hagedorn, verteidigte in seinen „Betrachtungen über die Ma- 25 lerei“ (1762) zwar noch die allegorischen Gemälde, aber er betonte daneben die Einheitlichkeit der Handlung, die der Maler zu wählen habe, und versagte ihm, wie Diderot, das Häßliche und Ekelerregende.

Allen diesen Theoretikern fehlte entweder eine umfassendere Kenntnis von Kunstwerken, oder sie ließen wenigstens in ihren Er- 30 örterungen das Begriffliche so stark vorwalten, daß ihr angeborenes und erworbenes Kunstempfinden daneben gar nicht zur Geltung kam. Da trat Johann Joachim Winckelmann als der erste hervor, der sich vor die alten Kunstwerke selbst hinstellte und ihnen ihr Wesen, d. h. nach der allgemein herrschenden Überzeugung das Wesen der Kunst 35

1 Vgl. Bb. 3 dieser Ausgabe, S. 211.

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überhaupt, abfragte. Im Jahre 1755 erschien seine Erstlingsschrift: „Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst". Vor den antiken Statuen und vor den Bildern der Gemäldegalerie Dresdens orientierte sich sein Auge; von 5 dem bescheidenen Künstler Adam Friedrich Öser lernte er sehen. Er will die Kunst der Gegenwart von ihren Abwegen zurückführen zu den Quellen der Schönheit, den Griechen. Man muß mit ihnen, wie mit seinem Freunde, bekannt geworden sein, um den Laokoon ebenso unnachahmlich als den Homer zu finden." Als das allgemeine vorzügliche 10 Kennzeichen der griechischen Meisterstücke nennt er eine edle Einfalt und eine stille Größe sowohl in der Stellung als im Ausdruck. „So wie die Tiefe des Meeres allezeit ruhig bleibt, die Oberfläche mag noch so wüten, ebenso zeiget der Ausdruck in den Figuren der Griechen bei allen Leidenschaften eine große und geseßte Seele.“

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Die Schrift Winckelmanns erschien zum zweitenmal, nun eigentlich erst für die Öffentlichkeit, im Jahre 1756. Damals war Lessing mit Nicolai und Mendelssohn in jenem Briefwechsel über die Tragödie begriffen, der förderlich zum erstenmal die Hauptprobleme des Tragischen erörterte. In einem Anfang Dezember 1756 an Lessing ge20 richteten Briefe berief sich Mendelssohn auf Windelmanns Abhandlung Von der Nachahmung der griechischen Werke" und auf dessen Ausführungen über „die Natur in Ruhe“ und über die „von einer gewissen Gemütsruhe" begleiteten Leidenschaften, wie sie die Alten bei ihren plastischen Darstellungen beobachteten; die Laokoongruppe 25 diente dafür als Beispiel.

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Lessing hatte bis dahin der bildenden Kunst noch gar kein Interesse zugewendet, mochten ihm auch die erwähnten Schriften bekannt sein und ihre Probleme seiner überall auf scharfe Grenzbestimmung hinstrebenden Geistesart verlockend erscheinen; und so warf er in seiner 30 Antwort vom 18. Dezember 1756 dem Freunde leise, aber deutlich die Berufung auf die bildende Kunst vor. Sein Interessenkreis wurde durch Wissenschaft im weitesten Umfang und Dichtung ausgefüllt. Er wird weder den spärlichen antiken Bildwerken der Leipziger und Berliner Sammlungen besondere Aufmerksamkeit geschenkt, noch, als er 35 1756 in Dresden weilte, die dortigen Kunstschäße eingehender betrachtet haben. Gewiß hat ihn die Brühlsche Bibliothek und der auf ihr arbeitende Philolog Heyne stärker angezogen. Ob er überhaupt einen

Abguß des Laokoon gesehen hat, was nur bei dieser Gelegenheit als möglich erscheint, bleibt ungewiß. Mendelssohns Anregung mag ihn zuerst darauf gebracht haben, die Darstellungsmittel des Dichters und des Künstlers miteinander zu vergleichen. In der Muße der Breslauer Zeit, die so vielem Raum gewährte, begann er über dieses 5 Thema nachzudenken und als Material zur Erörterung zusammenzutragen, was er in diesen reichen Jahren „zufälligerweise auf dem Wege fand". Der Titel sollte „Hermäa“ lauten; denn Hermes war den Griechen unter anderm auch der Gott der Wege und des Zufalls.

Ms sich aus der Mannigfaltigkeit der Absichten, welche der 10 Titel „Hermäa“ decken sollte, die enger begrenzten Erörterungen über die Grenzen dichtender und bildender Kunst als Sonderschrift heraushoben, blieb ihnen der freie, jeder strengen Systematik abholde Gang bewahrt. Die beiden ersten Entwürfe, aus den leßten Breslauer Jahren stammend1, zeigen strengeren Aufbau als die spätere Aus- 15 führung, stehen noch der alten, deduktiven Art der Beweisführung näher. Gespräche mit den Berliner Freunden im Juli und August 1763 haben dann zu neuen Hauptergebnissen geführt2, die eine andere Disposition der ersten sechs Abschnitte im Winter 1763/64 entstehen ließen. Der endgültigen Anordnung entspricht aber erst der lezte der 20 Entwürfe, in dem zum erstenmal von der Laokoonstatue ausgegangen wird und das Erscheinen von Winckelmanns „Geschichte der Kunst des Altertums" dem Wege Lessings eine neue Richtung gibt.

Zu Weihnachten 1763 war dieses Hauptwerk des Meisters der Archäologie herausgekommen. Die neue, historische Auffassung der 25 alten Kunst mußte jeden, der sich mit ihr befaßte, zu einer Revision seiner Ansichten zwingen. Lessing hat dazu nicht die Mittel und die Muße gefunden. Er gab vor, das große Werk noch nicht zu kennen, als ihn im Sommer 1765 äußere Gründe veranlaßten, so schnell wie möglich den ersten Teil des jezt auf drei Bände berechneten „Laokoon“ 30 auszuarbeiten.

Ms dieser erste Teil zu Ostern 1766 herausfam, sprachen die öffentlichen Zeichen nicht für eine unmittelbare tiefe Wirkung. Der einzige ebenbürtige Kritiker wäre Winckelmann gewesen. Aber nur

2 Nr. 5, S. 245 dieses 4 Vgl. „Lessings Leben und Werke“,

1 Nr. 1 und 3, S. 215 ff. und 224 ff. dieses Bandes. Bandes. 3 Nr. 8, S. 251 dieses Bandes. Bd. 1 dieser Ausgabe, S. 32*, Z. 25 ff.

mit vier höflichen Worten erwähnt er, als er in seinem „Trattato preliminare" von der Datierung der Laokoongruppe spricht, Lessings Werk. Es hatte ihn von seiner früheren, auf Unkenntnis der Leistungen Lessings beruhenden Mißachtung zurückgebracht. Indessen gewinnt 5 bald wieder das Gefühl die Oberhand, daß hier ein ihm unsympathisches Kunstdenken sein Wesen treibt, und er verweigert jede Polemik mit dem „Universitätswiß, der sich in Paradoxen übt“.

Die Abneigung Winckelmanns fließt nicht nur aus solchem Gegensag methodischer Art oder der ebenfalls mitwirkenden Absicht, die ge10 fährdete Suprematie im Gebiete der Kunstwissenschaft zu behaupten. Eine tiefere Kluft tut sich hier auf. Winckelmann empört sich in die Seele seiner alten Künstler hinein über den Intellektuellen, der da glaubt, mit seinem Denken entscheiden zu dürfen, was nur dem feinfühlenden Sehen zusteht. Aber dieses scharfe und freie Denken erhob 15 sich doch zugleich weit über den Normalstand der zeitgenössischen Kunsttheorie. Die Kritiker des „Laokoon" haben sich samt und sonders an die antiquarischen Untersuchungen geklammert; am ausführlichsten, mit banalen Lobhudeleien verbrämt, die beiden Besprechungen des später von Lessing erwürgten Kloß, lateinisch in den „,Acta Litteraria“ 20 und deutsch in der „Deutschen Bibliothek der schönen Wissenschaften“. Die Vossische Zeitung" fand, das Allermerkwürdigste dieser Schrift bestehe in der Entdeckung, daß der Borghesische Fechter der Feldherr Chabrias sei also gerade in dem, was Lessing bald als falsch zurücknehmen mußte. Und in derselben niedrigen Ebene, aus der kein Auf25 stieg zu Lessings Gedankenwelt emporführte, lagen die anderen durchweg das Meisterstück“ preisenden Journalurteile der ersten Jahre. Selbst Albrecht von Haller begnügte sich damit, in den „Göttingischen Gelehrten Anzeigen" mit berechtigten Gründen Lessings Tadel seiner schildernden Beschreibung der Alpenpflanzen abzuweisen. Erst 1769 30 brachte die,,Allgemeine deutsche Bibliothek" von dem damals 27 Jahre zählenden Leipziger Professor Christian Garve eine luge und selbständige Analyse, die der Reihe der Lessingschen Ideen gewissenhaft nachzugehen suchte und vor allem die zum eigenen Denken anregende Kraft des Werkes pries.

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Aber kurz zuvor war dem „Laokoon“ ein Leser erstanden, der nicht Lessings Spuren folgte, sondern über ihn hinausschritt. Herder hatte 1769 sein erstes „Kritisches Wäldchen" Herrn Lessings „Laokoon"

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