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gewidmet. Sein Herz zieht ihn zu Winckelmann. Wie dieser Kunst mit den Sinnen aufnimmt, so Herder mit dem Gefühl. Beide wollen aus den großen Werken der Vergangenheit lieber als allgemeine Begriffe die Geschichte der menschlichen Seele ablesen. Indessen will Herder nicht wider Lessing, sondern über Lessing schreiben, und in 5 den eigentlichen Hauptpunkten, soweit er sie überhaupt berührt, hat er Lessings Ergebnisse nur anders begründet. Auch das vierte, erst nach vielen Jahren gedrudte Wäldchen brachte Einwände und Bestätigungen zu den Theorien Lessings, die dann in der „Plastik“ von 1778 vertieft und bereichert wiederholt werden sollten.

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Damals, als Herder sein erstes „Kritisches Wäldchen" lieferte, zog schon der große Gewittersturm herauf, der die von Lessing gesäten Erkenntnisse mit einem Hagelschauer aus der Region realistischer und naturalistischer Anschauungen zu begraben suchte und aller weichen Schönheitelei erbitterten Krieg ankündigte. Aber bald legten sich die 15 stolzen Wellen, und aus ihnen stieg als rettende Insel wieder das Schönheitsideal der Antike empor. Von ihm beherrscht, zeigt das Kunstdenken des reifen Goethe und des an Kants „Kritik der Urteilskraft" die lezten Probleme der Poesie erörternden Schiller innige Verwandtschaft mit den Grundanschauungen, die der erste Teil des 20 „Laokoon“ verkündet hat. Goethe gab 1798 in dem Aufsaß „ Über Laokoon", der die „Propyläen“ eröffnete, eine neue künstlerische Deutung der Gruppe, die am Schlusse, ohne Lessing zu nennen, jeden Vergleich dieses geschlossensten Meisterwerks der Bildhauerkunst mit der episodischen Behandlung in der „Äneis" als höchst ungerecht ablehnte. 25 Im allgemeinen hat die Ästhetik der folgenden Zeit sich gegen Lessings Laokoon" immer ablehnender verhalten. Sie ließ ihm nur das Grundverdienst, nach einer langen Zeit der Begriffsverwirrung wieder die Notwendigkeit flarer Erkenntnis von Wesen und Mitteln der Einzelkünste bewiesen zu haben, lehnte aber fast alle Einzelergeb- 30 nisse, in erster Linie die überscharfen Abgrenzungen Lessings, ab. Der Widerspruch wäre weniger stark gewesen, wenn die Entwürfe Lessings zum zweiten und dritten Teil des „Laokoon" mehr beachtet worden wären. Er hatte das Werk auf drei Teile angelegt, und die als Anhang von uns abgedruckten Papiere zeigen, daß vieles, was im 35 ersten Teil zu schroff erscheint, dort erläutert und gemildert worden wäre. Der Brief an Nicolai vom 26. Mai 1769 gab dann im Anschluß

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an Garves Rezension eine Skizze der den ersten Teil ergänzenden und zum Teil berichtigenden, für die Fortseßung in Aussicht genommenen Gedankenreihe1.

Herders Wäldchen" und Garves Rezension hatten, wie man 5 sieht, Lessing damals von neuem in die Gedankenwelt des „Laokoon" hineingelenkt. Die „Briefe antiquarischen Inhalts" galten wieder archäologischen Problemen, und aus ihnen erwuchs die schönste der Kunstschriften Lessings: „Wie die Alten den Tod gebildet?." Sein Blick richtete sich damals hoffnungsvoll nach Rom, auf den verwaisten Plaz 10 Winckelmanns 3. Die ausstehenden zwei Bände des „Laokoon“ mußten, wenn sie rechtzeitig hervortraten, den überzeugenden Beweis des ersten Bandes verstärken, daß keiner so wie ihr Verfasser berufen war, das Werk Winckelmanns fortzusehen. Und da Lessings Absicht jezt über Deutschland hinausging, dachte er daran, eine in der internationalen 15 französischen Sprache geschriebene neue Bearbeitung herauszugeben 4. Möglich, daß Lessing schon im Sommer 1766 dazu anseßte, um dem großen Friedrich, auf den er damals noch hoffte, sein Werk annehmbarer erscheinen zu lassen. Doch deutet der Schlußabschnitt der französischen Vorrede mit den Worten,,Il y a quelques années" bestimmt 20 auf die lezte Zeit intensiverer Beschäftigung mit dem „Laokoon“ hin. Am 5. Januar 1770 schrieb er seinem Verleger Voß, das erste und vornehmste, was er in Wolfenbüttel vollenden wolle, werde der „Laokoon" sein: das ist die lezte von Lessing selbst stammende Kunde einer geplanten Ergänzung des Torsos. Nachher verzeichnet nur noch 25 am 7. Januar 1775 der Bruder Karl das Gerücht von einer Umarbeitung bis zu Ende, die bald gedruckt zu lesen sein würde.

Über den Inhalt, der dem zweiten Teil zugefallen wäre, geben die Nachlaßpapiere im allgemeinen genügende Auskunft, von dem Gedankengang des dritten nur flüchtige Umrisse, die durch den obenerwähn30 ten Brief an Nicolai ergänzt werden. So läßt sich der von Lessing geplante Gang der weiteren Untersuchung im allgemeinen feststellen.

Da indessen der ausgeführte erste Teil des „Laokoon" beweist, daß die Entwürfe weder für die Anordnung noch für den Umfang der

1 Vgl. die Anmerkung am Schlusse des Bandes.

gabe, S. 65.

8. 30 ff.

2 Vgl. Bd. 6 dieser Aus3 Vgl. „Lessings Leben und Werke“, Bd. 1 dieser Ausgabe, S. 39*, 4 Die Vorrede dazu erscheint als Nr. 30 unter dem Nachlaß zum „Lao

toon" (vgl. S. 814 ff. dieses Bandes).

endgültigen Gestaltung maßgebend waren, so können die Nachlaßpapiere nur insoweit einen Ersaß der fehlenden Teile bieten, als sie uns mit schmerzlichem Bedauern erkennen lassen, wie unvollkommen der erste Teil die leßten Absichten des Werkes enthüllt. Und wenn Lessing unzufrieden damit war, daß die ersten Kritiker des „Laokoon“ 5 die antiquarischen Auswüchse“ für die Hauptsache des Buches hielten, so war er selbst daran nicht ohne Schuld. Diese Auswüchse übertrafen an Umfang den eigentlichen Körper um ein Vielfaches.

Der Mangel hängt indessen eng mit den stets gerühmten Reizen der Form zusammen. Indem Lessing durch seine Exkurse und Anmer- 10 fungen beweist, daß er das Handwerkszeug des Altertumsforschers besigt, will er zugleich eine leichtere, anmutigere Anwendung desselben zeigen, einen neuen Stil der Kunstwissenschaft begründen. Das Geheimnis dieses neuen Stils ruht darin, daß er suggestiv den Leser zum Genossen der Arbeit des Verfassers macht. Dieser Stil hat frei- 15 lich seine Vorgänger, z. B. in Thomasius, Gellert, Christ u. a. Aber ihm gesellte sich kein Fortschritt der wissenschaftlichen Methode. Gelehrter Kleingeist, pedantische Spißfindigkeit, von dem Jahrtausend der Scholastik zum Kennzeichen des gelehrten Betriebes gestempelt, behaupteten noch immer ihre Herrschaft. Da sie mit den neuen 20 Formen unvereinbar und doch unentbehrlich schienen, erfand Pierre Bayle die seitdem allgemein geübte Stoffteilung aller wissenschaftlichen Werke, die sich an weitere Kreise wandten: der Hauptinhalt wurde in größerem Druck und stilistisch geschlossener Form auf dem oberen Teil der Seiten dargeboten, während unter dem Strich in 25 überquellender Fülle die Anmerkungen begründend und ergänzend den Text begleiteten. Diesen zwiespältigen Verlegenheitstypus vertritt auch Lessings „Laokoon“. Dennoch lohnt es sich, die technische Schwierigkeit mit in Kauf zu nehmen, schon um der kräftigenden Wirkung willen, die für das eigene Denken von dieser energischen, 30 scharfen Art der Beweisführung zu gewinnen ist.

Die Ergebnisse müssen freilich fast durchweg als veraltet gelten, weil sie unserem (und vielfach jedem) Kunstempfinden widersprechen, und weil überhaupt auf dem von Lessing eingeschlagenen Wege logischer Deduktionen über Wesen und Wirkung der Künste kein 35 Urteil zu gewinnen ist.

Erfter Teil.

Vorrede.

Der erste, welcher die Malerei und Poesie miteinander ver glich, war ein Mann von feinem Gefühle, der von beiden Kün5 sten eine ähnliche Wirkung auf sich verspürte. Beide, empfand er, stellen uns abwesende Dinge als gegenwärtig, den Schein als Wirklichkeit vor; beide täuschen, und beider Täuschung gefällt.

Ein zweiter suchte in das Innere dieses Gefallens einzudringen und entdeckte, daß es bei beiden aus einerlei Quelle 10 fließe. Die Schönheit, deren Begriff wir zuerst von körperlichen

Gegenständen abziehen, hat allgemeine Regeln, die sich auf "

mehrere Dinge anwenden lassen: auf Handlungen, auf Gedanken sowohl als auf Formen.

Ein dritter, welcher über den Wert und über die Verteilung 15 dieser allgemeinen Regeln nachdachte, bemerkte, daß einige mehr in der Malerei, andere mehr in der Poesie herrschten; daß also bei diesen die Poesie der Malerei, bei jenen die Malerei der Poesie mit Erläuterungen und Beispielen aushelfen könne.

Das erste war der Liebhaber, das zweite der Philosoph, 20 das dritte der Kunstrichter.

Jene beiden konnten nicht leicht, weder von ihrem Gefühl noch von ihren Schlüssen, einen unrechten Gebrauch machen. Hingegen bei den Bemerkungen des Kunstrichters beruhet das meiste in der Richtigkeit der Anwendung auf den einzeln Fall; 25 und es wäre ein Wunder, da es gegen einen scharfsinnigen Kunstrichter funfzig wißige1 gegeben hat, wenn diese Anwendung jederzeit mit aller der Vorsicht wäre gemacht worden, welche die Wage zwischen beiden Künsten gleich erhalten muß. Falls Apelles und Protogenes2 in ihren verlornen Schrif

1 Scharfsinn ist bei Lessing die Fähigkeit klarer Begriffsbestimmung, Wiş die kombinierende, logische Zwischenglieder überspringende geistige Tätigkeit (etwa gleichbedeutend mit dem französischen „esprit“). 2 Beides griechische Maler der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr.

Lessing. IV.

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ten von der Malerei die Regeln derselben durch die bereits festgesezten Regeln der Poesie bestätiget und erläutert haben, so darf man sicherlich glauben, daß es mit der Mäßigung und Genauigkeit wird geschehen sein, mit welcher wir noch ißt den Aristoteles, Cicero, Horaz, Quintilian in ihren Werken die 5 Grundsäge und Erfahrungen der Malerei auf die Beredsamkeit und Dichtkunst anwenden sehen. Es ist das Vorrecht der Wten, keiner Sache weder zu viel noch zu wenig zu tun.

Aber wir Neuern haben in mehrern Stücken geglaubt, unz weit über sie wegzusehen, wenn wir ihre kleinen Lustwege in 10 Landstraßen verwandelten; sollten auch die kürzern und sichrern Landstraßen darüber zu Pfaden eingehen, wie sie durch Wildnisse führen.

Die blendende Antithese des griechischen Voltaire, daß die Malerei eine stumme Poesie und die Poesie eine redende 15 Malerei sei, stand wohl in keinem Lehrbuche. Es war ein Einfall, wie Simonides mehrere hatte; dessen wahrer Teil so einleuchtend ist, daß man das Unbestimmte und Falsche, welches er mit sich führet, übersehen zu müssen glaubet.

Gleichwohl übersahen es die ten nicht. Sondern indem 20 sie den Ausspruch des Simonides auf die Wirkung der beiden Künste einschränkten, vergaßen sie nicht einzuschärfen, daß, ohngeachtet der vollkommenen Ähnlichkeit dieser Wirkung, sie dennoch, sowohl in den Gegenständen als in der Art ihrer Nachahmung (Yin xai trois punoɛws2), verschieden wären. 25

Völlig aber, als ob sich gar keine solche Verschiedenheit fände, haben viele der neuesten Kunstrichter aus jener Übereinstimmung der Malerei und Poesie die krudesten3 Dinge von der Welt geschlossen. Bald zwingen sie die Poesie in die engern Schranken der Malerei; bald lassen sie die Malerei die ganze 30 weite Sphäre der Poesie füllen. Alles, was der einen recht ist, soll auch der andern vergönnt sein; alles, was in der einen gefällt oder mißfällt, soll notwendig auch in der andern gefallen

1 Dem Voltaire vergleichbar, hat sich Simonides von Keos (556-448 v. Chr.) in den verschiedensten Arten der Poesie als Dichter mit Erfolg versucht und war, wie der Franzose, wegen seines Wiges gefürchtet, den Großen gegenüber liebedienerisch und habgierig. 2 Vgl. bas Motto auf S. 5 dieses Bandes. 3 Ungereimtesten.

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