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Zum Schluß mache ich auf eine Abhandlung (Deutsche Schulpraxis [Leipzig], Nr. 32) aufmerksam, welche allerdings nur andeutungsweise beachtenswerte Vorschläge für den deutschen Unterricht in Fortbildungsschulen bringt. Man darf den jungen Leuten meint der ebenfalls ungenannte Verfasser - wohl ein deutliches Wort über gute und schlechte Stücke des heimischen Schrifttums sagen; man soll sie zum Lesen aufmuntern, sie Lesefrüchte sammeln, das Gelesene in knappen Auffäßen verwenden lassen, sie auf Faulheiten und Albernheiten der Umgangssprache hinweisen. Weiterhin empfiehlt sich und eignet sich vorzüglich das Lesen von Handschriften: Briefen und amtlichen Schriftstücken verschiedener Art; jeder Lehrer kann sich ohne große Mühe und Kosten eine Sammlung derartigen Lesestoffes anlegen. Das hier vorgeschlagene Lesen wird nicht selten zum Übersetzen werden: besonders wenn allerlei amtliches Schriftwerk vorliegt. Denn da gilt es, das Kanzlei-Kauderdeutsch (oder wälsch) zu zergliedern und in einfache, klare, genießbare, volksmäßige Sprache umzuwandeln. Ähnlich könnte man übrigens mit den wichtigsten Gesezesbestimmungen verfahren; alle juristischen Geseze sind ja bekanntermaßen in schlechtem, schwer verständlichem „Deutsch" verfaßt. Endlich die Übungen in freier, einfacher, kurz gehaltener Rede, auf die gar nicht genug Gewicht gelegt werden kann: sie bedeuten Kampf gegen das „Maulbrauchen"; sie befähigen den Jüngling, seine eigenen Gedanken frisch und klar zum Ausdruck zu bringen und den Mann, persönliche Ansichten und Überzeugungen offen und einfach auszusprechen, durch ein geschicktes Wort die verkehrte Meinung anderer zu entkräften, die Nichtigkeit seichten Geschwäßes zu brandmarken; steigern kann sich diese Fähigkeit bis zur Selbständigkeit den Parteien, der Presse, dem Büchermarkt gegenüber. Denn die sprachliche Einsicht wird in unserer (des Verfassers „Fortbildungs“-) Schule durch eine vielseitige sachliche Einsicht ergänzt, wie sie namentlich aus tiefgehender Beschäftigung mit Staat, Gesellschaft, Haus- und Volkswirtschaft entspringt. — Verf. hat selbstverständlich nicht eine auf das bescheidenste Zeitmaß beschränkte Fortbildungsschule, vielmehr eine Art Bürger- oder Mittelschule (wie sie noch nirgends besteht), weiter auch die Gewerbeschule im Auge. Was die zulezt genannte Anstalt betrifft, so werden seine Anträge von dem in Kunstgewerbekreisen wohlbekannten Österreicher F. v. Feldegg unter: stützt. Dieser drückt seine Ansicht am schärfsten in der allgemeinen Bemerkung aus: „Wer seine Muttersprache nicht in Wort und Schrift richtig zu gebrauchen versteht, der gehört zum Proletariat, und wenn er Hunderte von Arbeitern beschäftigte und zehnfacher Hausbesizer wäre; das Proletariat aber ist allzumal international: ihm fehlt das nationale Bewußtsein, weil, um ein solches zu besißen, die erste Bedingung die

Aus Rudolf Hildebrands Unterrichtspraxis. Von Georg Berlit. 373

ist, daß man auch ein gemeinsames nationales Gut - hier das geistige gelten läßt und als solches ausdrücklich anerkennt." (Vergl. „Gewerb= liche und nationale Bildung", in der Zeitschr. f. Zeichen- u. Kunstunterr.1), Heft X.)

Aus Rudolf Hildebrands Unterrichtspraxis.
Von Georg Berlit in Leipzig.

Als ein bescheidener Nachtrag zu dem von Otto Lyon in dieser Zeitschrift (Heft 1 des laufenden Jahrganges), sowie dem in den Neuen Jahrbüchern für klassische Philologie und Pädagogik (Jahrgang 1894, Heft 12) entworfenen Lebensbilde Rudolf Hildebrands dürfte wohl die nachfolgende Mitteilung hier einen Plaz finden, die sich auf des Unvergeßlichen vieljährige Wirksamkeit an der im Jahre 1853 gegründeten Buchhändlerlehranstalt zu Leipzig bezieht und die uns zeigt, wie Rudolf Hildebrand schon hier der hohen Auffassung, die er vom Unterricht im Deutschen in sich trug, Geltung zu schaffen bemüht war. Die Thätigkeit am Grimmschen Wörterbuch er= laubte ihm nicht, neben seinem Lehramt an der Thomasschule seine Kräfte auch noch jener Anstalt, an der er zehn Jahre segensreich gewirkt hatte, zu widmen, und so schied er Ostern 1865 aus jener Stellung, die nach der Stundenzahl bemessen ja sehr bescheiden war wohl nur den Sommer über erteilte er 2 Stunden wöchentlich, in der er aber, wie die ihm zeitlebens bewahrte Liebe vieler nun angesehener Buchhändler, nach seinem Tode auch eine öffentliche Bekundung eines alten Schülers bezeugt hat (im Leipziger Tageblatt vom 16. November 1894), tief und nachhaltig wirkte.

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Hier soll aus einem der Jahresberichte, dem 7. der Lehranstalt für Buchhandlungsgehilfen“ aus dem Jahre 1862, die kurze Ausführung mitgeteilt werden, in der Rudolf Hildebrand zwar geschäftlich, aber in der seine Eigenart nicht verleugnenden stimmungsvollen Art und Weise über den Betrieb des ihm übertragenen Unterrichts Bericht erstattet. Die wenigen Säge sind so inhaltreich, daß wir daraus schon die ganze Auffassung erkennen können, die ihn bei der Lösung einer wegen der Verschiedenartigkeit der Vorbildung jener Schüler keineswegs leichten Aufgabe leitete. Übrigens zeigt die jenem Berichte vorangehende allgemeine Betrachtung über Ziel und Aufgabe solcher Schulen, die der Leiter der Anstalt, Dr. Paul Möbius, abgefaßt hat, daß der Geist, in

1) Organ des Vereins österreichischer Zeichenlehrer (Wien)

dem die Schule regiert wurde, einer Lehrerpersönlichkeit, wie Hildebrand, der es auf möglichst tiefe und weite Geistesbildung absah, volle Freiheit verstattete.

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Der zu Anfang bloß sachliche Ton nimmt an Wärme zu, so daß man das Gefühl gewinnt, als halte hier eine von ungewöhnlicheren pädagogischen Überzeugungen volle Lehrernatur nur mühsam Ansichten in sich zurück, deren rückhaltlose Mitteilung erst 1867 erschien ja der deutsche Sprachunterricht ihr selber Bedürfnis sei und andere, die demselben Ziele nachtrachten, aufs willkommenste fördern und ermutigen müsse, den schon geahnten richtigen Weg gleichfalls zu betreten. Im Vordergrunde steht, wie sich bei dem mehr praktischen Charakter der Anstalt ja begreift, die Anleitung zum schriftlichen Gebrauche der Muttersprache. Da heißt es denn:

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Fertigung von Aufsägen nach teils aufgegebenen, teils selbstgewählten Themen. Jene wurden so gestellt, daß möglichst Gelegenheit gegeben wurde, den geistigen Gesichtskreis des Jüngling teils in sich abzuklären, teils zu erweitern. Zuweilen aber ward den Schülern selbst die Wahl des Themas überlassen in der Weise, daß sie angewiesen wurden, irgend einen Gegenstand aus ihren eigenen Erfahrungen und Erlebnissen herauszugreifen und zu gestalten, daß möglichst ein in sich abgerundetes Bild daraus würde; der Erfolg dieser Selbstwahl war stets der, daß die Arbeiten mit größerer Luft gemacht und fleißiger, gewandter, gelungener wurden. Die Besprechung der vorgekommenen Fehler wurde so eingerichtet, daß sowohl die Kenntnis der Muttersprache als auch die Bildung des Urteils und Geschmacks möglichst vielseitig gefördert wurde, mit Entwickelung der in Frage kommenden Regeln so weit möglich unter Selbstbeteiligung der Schüler; gar oft wurde so von einer einzigen Arbeit fast die ganze Stunde in Anspruch genommen. Dabei erklärende Lektüre, im Sommer 1860/61 von Schillers Wallenstein (ein andermal Tell), in dem 1861/62 von E. Oltrogges deutschem Lesebuche. 3. T., 1. Abt. (Lüneburg 1857). Bei Schillers Dichtwerk wurde neben der fortlaufenden sprachlichen Rücksicht auch die reiche Gelegenheit möglichst ausgenugt, die es bietet, um die Kenntnisse aus vielerlei Gebieten des Wissens, wie geschichtliche, geographische, kulturhistorische aufzufrischen oder zu er weitern oder tiefer zu begründen, weit sie in den Kreis der allgemeinen Bildung unserer Zeit gehören. Oltrogges Lesebuch bietet eine fortlaufende Reihe von Perlen unserer Litteraturgeschichte, sparsamer aus der älteren Zeit, reichlicher aus der neueren. Wenn dabei die älteren Stücke nicht übergangen, sondern in Auswahl gleichfalls gelesen und erklärt wurden, so geschah dies in der wohlbegründeten Überzeugung,

daß es auch für bloß allgemeine Mannesbildung ein wahrer Gewinn ist, die großen oder charaktervollen Schöpfungen unserer Vergangenheit einmal selbst gesehen, nicht bloß von ihnen gehört zu haben, daß es ein Gewinn ist, für die Bildung des Deutschen, auch in den Lebens- und Gedankenkreis der Nibelungen, der Gudrun, eines Fischart, eines H. Sachs einmal selbst einen Blick gethan zu haben, und das lebhafte Interesse der Schüler daran war eine neue Bestätigung dieser Überzeugung."

Was hier vor etwa 30 Jahren einer mit mancherlei inneren Schwierigkeiten kämpfenden Anstalt als hohes Ziel gesteckt ward, das dürfen wir, die an Schulen mit voll ausgestaltetem Lehrplane zu unterrichten das Glück haben, gewiß zu erreichen nicht verzagen. Uns in Sachsen ist gottlob Raum und Freiheit gelassen, innerhalb des Rahmens der gesetzlichen Bestimmungen der Erfüllung der schönen Aufgabe, wie sie R. Hildebrand oben nur andeutend gezeichnet hat, nachzutrachten, und daß unsere Schulen mehr und mehr dem Ideale näher kommen werden, muß dem einheitlichen Zusammenwirken der mit dem deutschen Unterricht an einer Lehranstalt betrauten Männer gelingen. Rudolf Hildebrand durfte es mit Genugthuung erfüllen, daß die Regierung seines Heimat= landes der Verwirklichung seiner fruchtbaren Auffassung vom deutschen Unterricht den Weg nicht verbaut, vielmehr erst recht, mehr als sonst wohl amtlich geschehen ist, die Bahn frei gemacht hat.

Ein dunkles Wort bei Hölderlin.

Von Robert Wirth in Plauen i. V.

Im 5. Stück des 4. Teils der Thalia von 1793 hatte Schiller das „Fragment von Hyperion“ Hölderlins aufgenommen. In diesem Bruchstücke, das der Veröffentlichung des Romans um vier Jahre voranging, findet sich (S. 217 der Thalia) die Stelle: ,,Freudig säuselte mir der Jubat (die Thalia wurde in lateinischen Lettern gedruckt) in den Locken“. Der Name Jubat, der einen Wind bedeuten soll, ist seitdem in allen neuen Abdrücken des Bruchstückes stehen geblieben, auch bei K. Köstlin (Dichtungen von Friedr. Hölderlin, Tübingen 1884), troßdem der Herausgeber in der Einleitung S. LXI die weniger bekannten Orts- und Bersonennamen" im Hyperion zu erklären versucht hat. Auch Köstlin wußte offenbar mit dem Namen nichts anzufangen.

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Ich nehme eine Erklärung vorweg, auf die ein „klassischer“ Philologe kommen könnte. Wir haben es an unsrer Stelle, würde er sagen,

dem Zusammenhange nach, mit einem Morgenwinde zu thun. Jubatus heißt u. a. auch strahlend, glänzend, in welcher Bedeutung es vom Leuchten der Gestirne gebraucht wird. Eos, die strahlende, ist die Mutter der Winde, die sich morgens erheben. Das Wort jubatus, das zur strahlenden Eos trefflich stimmt, ist auf den von ihr erregten Wind übertragen. Bestätigt wird die Vermutung durch das griechische Beiwort der Winde άoyɛotńs oder άoynorýs, was schnell, weiß, glänzend bedeutet. So ist das Wort Jubat,,gerettet". Diese dem Philologen naheliegende Erklärung ließe sich hören, die richtige aber ist folgende:

Jubat ist Druckfehler für Inbat, Inbat aber ist der in der lingua franca1) wohlbekannte Wind Imbatto2), eine Italienisierung des kμßárns3).

Wie kommt es aber, muß man billigerweise fragen, daß Hölderlin, der, scheint es, den imbatto durch Weglassung der fremdländischen Endung an das Deutsche annähern wollte, nicht Imbat, sondern Inbat schrieb? Dafür wird man meines Erachtens nach die Quelle, aus der er schöpfte, verantwortlich machen müssen. Bekanntlich verweilte Hölderlin, „das Land der Griechen mit der Seele suchend", doch niemals selbst in dem Lande seiner Sehnsucht; für die Schilderungen also dieses Landes in seinem Hyperion und sonst war er auf Bücher von fremder Hand angewiesen. Fünfzehn Jahre nun vorher, ehe er sein „Fragment von Hyperion" an Schiller zur Veröffentlichung in der Thalia übergab, waren in Leipzig die,,Reisen in Griechenland“ von Rich. Chandler in deutscher Übersetzung erschienen. Gleich im ersten Kapitel dieses Buches fahren die Reisenden früh von Smyrna ab und werden von dem ihnen entgegen: wehenden Inbat aufgehalten (,,Wie es Morgen ward, zeigte sich der Inbat und wir suchten Schuz in einer kleinen Bucht"); bei Hölderlin

1) Von den Italienern auch il levantino oder il gergo (Kauderwelsch) levantino genannt, ein italiano ,, corrotto ed imbastardito", durch Kaufleute aus Venedig und Genua in die Levante eingeführt, wo es heute noch fortlebt.

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2) In diesem Sinne, als Name des bekannten Windes, ist der Ausdruck (vento d'imbatto) von Tommaseo in sein Dizionario di Sinonimi aufgenommen, neuerdings von Petroccchi wiederholt worden, aber mit Verweisung unter den Strich", den Petroccchi mit Glück auch für das Wörterbuch eingeführt hat. Der Bewohner Italiens fennt imbatto nur als Substant. von imbattere in der Bedeutung Hindernis oder Ereignis, doch ist auch dieses imbatto ungewöhnlich.

3) Die von der hohen See aus auf die Küste zwischen 10 und 11 Uhr vormittags ,, ansteigende“ Seebrise; im Altgriechischen in dieser Bedeutung nirgends. Nebenbei sei bemerkt, daß Wecklein in seiner bekannten Schulausgabe der Medea des Euripides S. 95 nicht ganz richtig bemerkt, der sußárns erhübe sich gewöhnlich nachmittags zwischen 2 und 3 Uhr, er erreicht allerdings um diese Zeit seine höchste Lebhaftigkeit. Siehe Neumann - Partsch, Physikal. Geographie von Griechenland, Breslau 1885, S. 90. Auch bei Hölderlin und dem später zu nennenden Chandler ist von ihm als bereits am Morgen wehend die Rede.

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