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und Kaiser Wilhelm II. in Bayreuth vorgesungen, noch zu einem deutschen Nationalgesange werden können, bleibe dahingestellt; die jeßige Zeit scheint wenig günstig zur Schaffung von allgemein giltigen Volksliedern; ') eine preußische Nationalhymne haben wir, aber eine deutsche fehlt uns eigentlich, wie H. C. Kellner a. o. D. sehr richtig bemerkt. Von selbst wird sich dergleichen heutzutage nur sehr, sehr langsam Bahn brechen, so vortrefflich auch die Strophen z. B. gerade den Sedantag in den höheren Schulen verherrlichen könnten. Das Festspiel selbst ist ja bei uns noch kaum gewürdigt, meist sogar im Verruf, besonders im „Zeitungstraum der leidigen Ephemere"; und doch muß man, ähnlich wie R. M. Meyer in seiner preisgekrönten Goethe-Biographie S. 443, sagen, nur in den rein opernhaften, gesanglichen Teilen lasse es, wie alle, auch die Goethischen Opernterte, etwas Saft und Kraft vermissen; jonst schreitet es einher auf äschyleischem Kothurn, erhaben, schwungvoll und gedankentief. Demnach wollen wir uns trösten, nicht aber mit jenem im,,Morgenblatt" 1814 Nr. 150, welcher Klopstocks Chöre aus der Hermannschlacht", komponiert von Kunzen, zum Nationalliede zu erheben suchte, etwas prahlerisch citieren:"

in magnis et voluisse sat est,

sondern den Dichter selbst reden lassen:

Niemand muß herein rennen

Auch mit den besten Gaben;

Sollen's die Deutschen mit Dank erkennen,
So wollen sie Zeit haben.

Die Enthüllung des Denkmals für Rudolf Hildebrand.

Als am 30. Oktober 1894 Rudolf Hildebrand unter außerordentlich großer Teilnahme von Freunden, Amtsgenossen und Schülern auf dem Johannisfriedhofe zu Leipzig zur ewigen Ruhe gebettet wurde, da trauerte auch der Himmel mit und ein Regen ergoß sich über den ernsten Trauerzug, wie er sonst in den heiteren Tagen des Herbstes sich selten einzustellen pflegt. Auch am Sonntag den 13. Oktober, als das Denkmal enthüllt werden sollte, das in kurzer Zeit die Liebe seiner Schüler, Verehrer und Freunde für den Verewigten geschaffen hatte, blickte ein verhüllter, wolken= grauer Himmel wie in schwerer Trauer auf die Stätte herab, wo der

1) Die neueren Erscheinungen auf diesem Gebiet bestätigen solche Ansicht; teils sind sie, in ihrer ursprünglichen Fassung lateinisch, viel zu gelehrt, pomphaft und prahlerisch, teils freilich so,, ungelehrt“, daß man sich z. B. über die Naivität eines der Verfasser, der zugleich „Komponist“ ist, nicht genug wundern kann.

geliebte Verstorbene ruht, und Tropfen um Tropfen fiel aus den regenschwangeren Herbstwolken auf Leipzigs Fluren nieder. Eine pietätvolle, andächtige Schar von Freunden und Schülern Hildebrands hatte sich gegen Mittag an seinem Grabe eingefunden, über dem noch verhüllt das Denkmal errichtet war, das als äußeres Zeichen treuen Gedächtnisses Zeugnis ablegen soll für die freudige Hingabe, die der große Forscher und Lehrer als schönsten Dank für seine aufopfernde Lebensarbeit geerntet. Gesang der Thomaner eröffnete die Feier, der als Vertreter der Stadt Leipzig Herr Oberbürgermeister Dr. Georgi beiwohnte. Der Thomanerchor sang das herrliche Sanctus von Bortniansky, zu dem Oberlehrer Dr. Beer einen für die Feier passenden deutschen Text gedichtet hatte. Während dieses weihevollen Gesanges fiel die Hülle von dem hohen Granitsteine, der an der Vorderseite das Medaillon mit dem Bildnis Rudolf Hildebrands trägt. Dieses Bildnis ist eine meisterlich ausgeführte Arbeit des Bildhauers C. Seffner, der nach einer Photographie aus den lezten Lebensjahren Hildebrands hier den alten Hildebrand nicht als den Siechen und Schwachen, sondern als den lebendig Wirkenden in der Fülle des Geistes und der Kraft dargestellt hat, durch die der große Sprachforscher wie mit Zaubergewalt sich die Herzen und Geister der Menschen eroberte. Der edle, zarte Ton des Marmors (die Platte von ganz besonders wetterfestem, widerstandsfähigem Korn hat Klinger aus Griechenland mitgebracht) hebt sich wirkungsvoll ab von dem matten, olivenfarbigen Granit, das ganze Bildnis ist so durchgeistigt und verklärt von der höchsten Begeisterung für die Wissenschaft und die hohen Ideale eines ernsten Schaffens, daß hierdurch der Künstler, der Hildebrand im Leben nicht kennen gelernt hat, doch mit vollendeter Treue den Geist und die Eigenart der Persönlichkeit getroffen hat. Außer dem Bildnis Hildebrands trägt das Denkmal noch die Inschrift:

Rudolf Hildebrand 1824-1894

Zum Danke für deutsche Gesinnung, Forschung und Lehre
Gewidmet von Schülern und Freunden.

Die ergreifende Gedächtnisrede Konrad Burdachs aus Halle, die im Druck in Sauers Euphorion erscheinen wird, ging aus von der Feier des siebzigsten Geburtstages Hildebrands am 13. März 1894, in der die innigsten und herzlichsten Wünsche für den Gefeierten aufs lebhafteste zum Ausdruck kamen. Aber alle die Hoffnungen, die sich damals so freudig geregt hatten, wurden jäh enttäuscht durch den Heimgang Hildebrands, der kaum nach einem halben Jahre erfolgte. Tiefer Schmerz ergriff alle, die ihn gekannt und sein Wirken verspürt hatten. Und von dem Augenblicke an, da sein Grab sich geschlossen, wurde die Dankbarkeit lebendig, und heute stehen wir vor dem schlichten, dem Charakter des

Verblichenen durchaus entsprechenden Denkmal. Wie wenn der Verklärte unter uns weilte, so schaut sein Bild im Medaillon des granitnen Denkmals auf uns herab. Der Meißel des genialen Seffner hat in wundersamer Weise die Bedeutung Hildebrands in dem Bildnis lebendig zu erneuern verstanden, und alle, die Hildebrand im Leben kannten, vergegenwärtigen sich im Angesicht seines Bildes noch einmal seine ganze Größe. Niemals ist er in seinem ganzen schlichten und arbeitsreichen Leben von dem angebornen Idealismus seiner Natur abgefallen, und er verstand es, auch seine Schüler in den Bannkreis dieses Idealismus mit hinreißender Gewalt hineinzuziehen. Er war Philosoph und Philolog, Dichter und Lehrer zugleich. Nicht bloß die Gelehrsamkeit beseelte sein Schaffen, sondern das Leben und Fühlen des Volkes gab ihm mächtige Anregung und wurde von ihm in edelster Weise verwertet. Von seinem geschichtlichen und philosophischen Denken ging eine Neubelebung einer wahrhaft nationalen Pädagogik aus. Tausende deutscher Lehrer verdanken seiner Lehrthätigkeit unendlich viel. Als Lehrer an der Thomasschule, als Bearbeiter des Grimmschen Wörterbuchs und als akademischer Lehrer hat er reichen Segen gestiftet. Nicht nur die Universität und höhere Schule, auch die Volksschule erfuhr die Wirkungen seines machtvollen Geistes. Der Phantasie eroberte er ihr Recht im deutschen Unterrichte. Den Zusammenhang des einzelnen modernen Menschen mit der alten nationalen Überlieferung sehen wir ihn auf allen Gebieten seines Forschens und Lehrens aufsuchen und aufhellen. Um diesen Punkt dreht sich all sein Denken und Schaffen. Die zahllosen versteckten Fäden, die unser gegenwärtiges Geschlecht, sein Denken und Fühlen, seine Sitte und Sprache mit einer längst verronnenen Vergangenheit verknüpfen, spürte er mit seinem Sinne auf. Unsere Sorge muß es sein, daß sein Geist, der Glaube an die unzerstörbare gesunde Kraft unseres Volkes und an die zwingende Macht des Idealismus unter uns fortlebe. Das ist das hohe Vermächtnis, das er uns hinterlassen hat. Drei Genien geleiteten den gefeierten Lehrer auf seinem Lebenswege: Glaube, Liebe, Hoffnung. Der Stadt Leipzig, seiner Vaterstadt, war er innig zugethan. Jhr, in der die idealen und nationalen Güter unseres Volkes allezeit gepflegt worden sind, übergeben auch die Schüler und Freunde Hildebrands dies Denkmal, damit sie es in ihre Obhut nehme und pflege und schirme. Möge in ihr stets der Geist Rudolf Hildebrands, des glühenden Patrioten, des tiefgrabenden Forschers, des wahrhaft großen Menschen lebendig bleiben. Mit diesen Worten, die hier nur skizzenhaft angedeutet werden konnten, übergab Professor Burdach das Denkmal der Stadt Leipzig. Im Namen der Familie Hildebrands sprach darauf in bewegten Worten der Sohn Hildebrands, Oberlehrer Dr. Rudolf Hildebrand, allen denen

innigen Dank aus, die seinen Vater noch übers Grab hinaus in so erhebender Weise ehrten, und gab das Versprechen ab, daß die Familie dieses Zeichen der Treue und Liebe allezeit wert halten und pflegen werde. Die weihevolle Feier wurde durch Gesang der Thomaner beschlossen. Jedem Teilnehmer wird dieser ergreifende Akt, in dem das Bild des Verklärten auf eine andächtige Gemeinde von Schülern und Freunden zum ersten Male herabschaute, unvergeßlich bleiben. Allen aber, die das Werk anregten, förderten und zum Gelingen brachten, sei innigster Dank dargebracht.

Der Schulmeister in Jean Pauls Dichtung.

Von Rudolf Bustmann in Leipzig.

1.

Der Schulmeister in Jean Pauls Dichtung!

-n.

Bist du nicht der erste, vergnügter Maria Wuz, der auf diesen Zauberruf in die Geisterwelt der Dichtung vor unserm Auge steht? Deinen lustigen Namen wenigstens kennen, so kümmerlich Jean Paul heute gelesen wird, doch noch viele und wenn es das einzige wäre, was in ihrer Erinnerung neben den Worten „Jean Paul“ emporschnellte. Als Sonderling muß sich ja freilich schon mißtrauisch beäugen lassen, wer dein ganzes schönes Idyll durchgekostet hat, und wie viele Halbsonderlinge werden es denn sein, die es über sich gewonnen haben, wenigstens davon zu nippen, etwa mit dem guten Vorsaß, Jean Paul ,,doch von einer Seite" kennen zu lernen? Als ob sich ein Mensch wie er, dem es erstes Gesetz war, immer als ganzes thätig zu sein, je wie ein Schauspieler heute mit einem tragischen und morgen mit einem faunischen Gesicht hätte zeigen, das eine Mal dem Leser nur eine naive humoristische, das andre Mal nur eine satirische, das dritte Mal nur eine philosophische Schüssel hätte vorseßen können! So mannigfaltig der Korso seiner Gebäude ist, überall zeigt sich dieser Baumeister doch in seiner Ganzheit, hoch oder tief, es ist wie oft körperlich auch hier geistig dasselbe und heiter zugleich wie der blaue Himmel; überall hat er aus dem Cuell seines Naturells geschöpft, wenn er auch hierhin ein Gartenhaus, dorthin eine Sakristei und dahin ein Dachstübchen gesezt hat.

-

Und blickt da nicht als zweiter dem guten Wuz der selige Quintus Fixlein über die Schulter, mit seinem Vordermann an unserm litterarischen Nachthimmel der ständigste Trabant des fernen Sternes Jean Paul? Ach und hinter beiden dringt die Schar der Fibel, Pelz, Stiefel, Hoppedizel, Fälbel, Seemaus und wie die langbestrümpften, kurzbezopften Männlein

alle heißen, heran, auf ihr Amt pochend und die Bakel durcheinander schwingend! Hand in Hand folgt ihnen mit ernsteren Mienen die wackere Pentade der Erzieher Albanos, ja, seh ich recht, so taucht da hinten im Nebel auch das griesgrämige Gesicht des Kunstrats Fraischdörfer aus Haarhaar auf; macht er etwa als pedantische Nörgelseele auf den Titel Schulmeister Anspruch?

Eine artige Mosaik gäbe es vielleicht, ihrer aller Schattenrisse aneinander zu sehen, aber kein Gemälde. Rahmen und Hintergrund, Licht und Luft, Kolorit und Stimmung empfängt der ganze Zug erst durch einen Größeren. Jean Paul selbst ist der größte Schulmeister, der in Jean Pauls Dichtungen anfangs kaum merklich, schließlich ein Riese - vor uns Gestalt gewinnt, ein Meister in der Schule des Lebens, ein Bildner der Jugend wie kein zweiter.

Die Anfänge der Kunst ruhen in den höheren Lebensformen und der tieferen, besseren Lebensstimmung, in der der Mensch im ersten Kultus voll Ehrfurcht der gefürchteten oder geliebten Gottheit gegenüber trat, die er, als psychophysisches Wesen, hinter der ihn umgebenden Physis ahnen mußte. Das religiöse Gefühl, das sich am unmittelbarsten wie noch heute in Dank oder Bitte äußerte, kleidete diese Äußerung unwillkürlich, dem tieferen Eindruck, dem höheren Leben des Augenblicks entsprechend, in bedeutendere Formen: die Sprache hob sich zum Gesang, die begleitenden Körperbewegungen fügten sich von selbst dem regelmäßigen Wechsel eines feierlichen Rhythmus (beides ergab sich zugleich aus der Notwendigkeit, einer größern Anzahl den gleichzeitigen Ausdruck ihrer Gefühle zu ermöglichen). Die Kunst war aufs engste verschwistert mit Sittlichkeit und Religion und Weisheit, wahrer, besser, schöner, mit einem Worte heiliger oder seliger zu machen war ihr Zweck.

Und das ist er heute noch. Dem Ziele einer zwecklosen, reinen Kunst, der Kunst an sich, nachzuringen, wäre schließlich ebenso verhängnisvoll wie die blinde Trennung von religiösem Dogma, absoluter Ethik und absoluter Wissenschaft Wahnwiß ist; zu welchem theoretischen Wahn und zu was für unglücklichen Kunstwerken der Glaube an die ,reine" Kunst führen kann, zeigen ihre beiden jüngsten Verfechter Begas und Klinger. Jean Paul war sich der engen Verwandtschaft der Religion und der Kunst und der übrigen erhöhten Lebensarten bewußt. An Jacobi hat er einmal geschrieben: „Ich bleibe dabei, daß es, wie ein leztes, so vier erste Dinge gebe: Schönheit, Wahrheit, Sittlichkeit, Seligkeit, und daß die Synthese davon nicht nur notwendig, sondern auch schon gegeben sei." Er war sich daher auch darüber klar, daß die Kunst als solche nicht Selbstzweck, sondern der selige Mensch ihr Zweck

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