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dem Fichtelgebirge berichtet. In dieser Schrift zeigt er sich als ein antiker Geist strengster Observanz. Nicht ohne Selbstbewußtsein stellt er der deutschen Schul- die lateinische Gymnasiumjugend gegenüber, der geringste unter seinen Leuten,,muß mehr von Rebellionen und Regierungformen wissen zumal alten" als der französische Republikaner, den sie unterwegs treffen und dem er in einer ehrlichen Auseinandersetzung zwar zugiebt, daß die französische Rottierung weniger diesen Namen als den eines förmlichen Aufstandes verdiene, da sie nicht nur so viele Menschen, als die Gesetze zu einer Rebellion oder turba erfordern, nämlich fünfzehn Mann (L. 4 § 3 de vi bon. rapt.), wirklich aufzeigt, sondern noch mehr," aber dem er dafür zumutet, die Strafen einzuräumen, , die die alten obwohl republikanischen Römer auf Aufstände legten, Kreuztod, Deportation, Vorschmeißen vor Tiere" - und als er schließlich beim Billard ein paar Griechen trifft, zählt er mit ihnen neugriechisch, ,,weil es doch wenigstens vernünftiger ist, als französisch mitten in Deutschland." Was werden die Schüler dieses Mannes für Lateiner sein! Nur ein Beispiel: auf dem langen Wege durch den ganzen Kirchenlamizer Wald üben sie (nach Plautus und Terenz, die sie zu diesem Zwecke den Abend vorher in die Hand bekommen haben) lateinische Flüche.

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Aber nicht etwa nur die lateinische und griechische Sprach-, sondern auch die Anstand-syntaxis" seiner Zöglinge ist für den Rektor Fälbel ein Gegenstand der Sorge. Es ist zwar schon lange her, daß er es durch einen seiner Schüler in einer öffentlichen Redeübung hat feststellen lassen, „daß der äußere Anstand nicht ganz ohne sei“, aber ein Glanzstück seiner Pädagogik giebt er selbst auf der Reise ins Fichtelgebirge zum besten, nämlich wie er seine Primaner das Lächeln lehrt: 1. das saturische (,,jenes feine wohl auseinander gewundene Normal - Lächeln, das stets passet"), 2. das bleirechte und 3. das wagerechte, „das insofern schnißerhaft werden kann, wenn es den Mund bis zu den Ohrlappen aufschneidet."

Die Reise selbst, die Beobachtung der Natur, dient ihm nur zur Folie für die Lektüre von Pastor Sturms,,Betrachtungen der Natur", für geometrische Messungen, für botanische Klassifikationen (zum Glüc fährt das Leben der Landstraße zuweilen zwischen den Unsinn), zu Bestimmungen der Fauna des Ortes, wo gerade,,pernoctirt" wird, kurzum: jeden Tag wird eine andre Wissenschaft kursorisch durchgenommen und Marschreglement für den ganzen Weg ist: die Schulreise hat sich vom „Lucubriren“ in nichts zu unterscheiden als im Sißen. Würde denn seinen Primanern nicht einige Aphäresis, Synkope und Apokope der Luft reichlich genug durch wahre Prosthesis, Epenthesis und Paragoge des Wissens erstattet?“

Das sind sie wohl, die Schulmeister in Jean Pauls Dichtung. Ein echter und rechter Schulmeister, eine gute zage Seele, fehlt etwa noch: Wehmeier, der Dorfrektor, der dem lauschenden Knaben Albano von den Helden des Altertums erzählt, seinem Charakter nach ein Schulmann von dem Schlage der Wuz und Fixlein. Warum der Dichter fie alle nur wenig in ihrer Berufsthätigkeit zeichnet, dafür giebt gerade die Erziehung Albanos einen Fingerzeig: nicht der Schulmeister, der eine Herde zu drillen hat, sondern der Erzieher des Einzelnen ist Jean Pauls Ideal eines Menschenbildners. Wie es die ganze Levana auf persönliche Erziehung abgesehen hat, so stellt Jean Paul in seinem höchsten Roman eine Reihe persönlicher Erzieher wirkend neben und übereinander: den guten Magister Wehmeier, den Wiener Sittenpoliteur und Zeremonienhelden von Falterle, den feurigen, nicht bloß,, artistisch", sondern auch „zärtlich“ um Albano besorgten Dian, einen edlen Griechen, den genialen und wißigen deutschen Bibliothekar Schoppe, äußerlich eine grobe Kraftnatur, innerlich von seinem und tiefem Empfinden, und endlich als Ergänzung zu diesem etwas auseinanderziehenden Quartett den harmonischen, freilich wenig bedeutenden Hofmann von Augusti.

Ebenso hat Jean Paul die Probleme der Erziehung schon in der unsichtbaren Loge dadurch umso tiefer fassen können, daß er auch hier diese Art persönlicher Erziehung im Auge hat: hier tritt er nun ab= gesehen von dem drolligen Hoppedizel, der ,,reine" Moral lehrt, dessen Kinder aber Flegel sind, wie sie im Buche stehen selbst als Erzieher, natürlich im Sinne der Levana, in die Dichtung ein, und zwar löst er da eine Gestalt ab, die zum Schlusse noch einmal den erhabenen Hintergrund von Jean Pauls Erziehungslehre zeigen mag.

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Das ist der Genius", wie er bloß heißt, der seinen Gustav in den ersten Lebensjahren unter der Erde erzieht, der nicht befiehlt, sondern bloß gewöhnt und erzählt, der weder sich noch dem Knaben widerspricht, der das größte Arkanum hat, gut zu machen: er ist's selbst — der ihm in seiner unterirdischen Klause den Genius des Universums als das größte und beste Wesen droben auf der Erde schildert. Er scheidet, nachdem er Gustav an einem Frühlingsmorgen hinauf an die Erdoberfläche geführt und Sonne und Himmel in sein junges Herz hat stürzen lassen; aber schwebt er nicht unsichtbar in allen hohen Augenblicken über Gustavs Haupte, ein Engel?

Schlimmes Citieren.

Bon Aug. Mühlhausen in Hamburg.

Zur Zeit des lezten Wahlkampfs besuchte ich wieder einmal eine sogenannte Volksversammlung, diesmal war's eine von den Antisemiten einberufene. Mit dem vollen Brustton der Überzeugung schloß soeben eine germanische Prachtgestalt mit einem Schillerschen Wort von der Gleichheit aller Menschen als Brüder. Da kam er aber schlecht weg, denn sofort bestieg ein schmächtiges Männchen die Tribüne und fistelte seinem Vorredner triumphierend entgegen: Hat auch Schiller wirklich sich einmal so ausgesprochen, so hat der nämliche Schiller aber auch erklärt: Man soll die Stimmen wägen und nicht zählen. Es war mir denn doch wohl und auch weh dabei. Gewiß, auch wohl. Gewiß, auch wohl. Denn es ist doch kein Kleines, sondern ein recht Großes, daß eben unser Schiller in solchen Versammlungen überhaupt kann angeführt werden. Der englische Staatsmann und Schriftsteller Disraeli, Earl of Beaconsfield, läßt in seinem Endymion eine aristokratisch gesinnte Person den, wie sie meint, Verfall des englischen Parlaments auch darin erkennen, daß in der guten alten Zeit die Redner die Gewohnheit gehabt, ihre Ausführungen mit griechischen Citaten zu zieren, später wäre man zu lateinischen herabgekommen, und nun, in unsern plebejischen Tagen, bekäme man auch diese kaum noch zu hören. Davon aber, daß man nun zu den nationalen Geistesriesen sich gewendet, davon sagt er nichts. Man sieht, dort, in gewissem Sinn: bloßer Verlust. Auf unsrer Seite: edelster Gewinn. Denn so ist es heute doch in der That: kommt unsre Seele in Schwung, bedarf sie im Ausdruck der vollendeten Form; auch in ihren edelsten Momenten genügt ihr da nicht bloß die nationale Poesie, nein, die nicht-nationale kann ihr dazu gar nicht dienen, eben weil sie nicht auf der höchsten Höhe des modernen Menschen steht. Aber wehe ist mir allerdings auch geworden, recht wehe; daß nämlich mit solchem Schaß solch ein Unfug getrieben wird. Denn es ist doch reiner Unfug, wenn man als Herzenserguß des ganzen Menschen Schiller einen Saz anführt, den in irgend einer eng bestimmten Situation eine bestimmte Person und oft dazu noch eine solche ausspricht, die man am ehesten als Widerpart des Dichters bezeichnen könnte, wenn der echte dramatische Dichter, auf seiner Höhe, überhaupt einen Widerpart haben könnte. Wie wird aber ein solcher Unfug, und er ist so allgemein, daß der Umstand unsre Aufmerksamkeit verdient, wie wird ein solcher Unfug möglich? Ich denke, er hat zum Teil seine Ursache darin, daß wir leider gewöhnt sind, so überaus vieles nur als Bruchstück kennen zu lernen und daß die wenigsten gelernt haben, gehörig zusammenzufassen und überall möglichst ein Ganzes zu

bilden. Zum andern Teil mag er mit verschuldet sein durch den jahrhundertlangen sonderbaren Gebrauch eines an sich überaus köstlichen alten dicken Buches, das überall im Hause ist, das aber von hunderttausend kaum Einer ganz gelesen hat, und wenn schon ganz, doch nicht als Ganzes, im Zusammenhange; ist doch zudem auch dieses dicke Buch in der Art gedruckt, daß es gleich äußerlich dem Leser geradezu verbietet, es als Ganzes, Zusammenhängendes zu nehmen; meinen doch die meisten unseres Volkes nicht anders, als daß es nur eine geschickte Anreihung von lauter sogenannten Versen sei, wie sie ja leider im Schul- und Katechetenunterricht gleich so als Beweise gebraucht werden. Galt doch die Fertigkeit im schnellen Finden solcher Stellen als eine Tugend, zu deren Ausbildung bekanntlich die Volksschulen bis in die sechziger Jahre eigene Unterrichtsstunden angesezt hatten. Da ist es denn doch auch nicht zum Verwundern, daß solche Leute, die gewöhnt worden sind, eine Büchersammlung wie die Bibel, Schriften also aus den entlegensten Zeiten und den verschiedensten Kulturen so zu betrachten, als ob nicht allein diese verschiedenen Bestandteile als ganze, sondern sogar auch noch alle einzelnen Säge unter sich gleichartig wären, so sehr gleichartig, daß man aufs Geratewohl wie aus einem Erbsensack sich die Säße als Lebensdevisen Herausgreifen kann; daß solche Leute auch andere Bücher, so weit sie durch die gleiche Aufschrift wie z. B. Goethes Werke als zusammengehörig bezeichnet werden, eben so ansehen wie ihre Bibel. Jeder Sat, den sie gerade brauchen wollen, ist ihnen goethisch im Sinne der Autorität, die sie von ihm borgen wollen. Was man solchen Leuten, die immer nur einzelne Säße sehen, nie aber den feineren Zusammenhang spüren, alles bieten darf, das zeigt in besonders hellem Lichte u. a. eine Gedichtsammlung aus dem Jahre 1836 mit dem Titel: Marienbüchlein. Gesänge aller Zeiten und Völker zu Ehren der Allerheiligsten Jungfrau. Sie ist zusammengestellt von Jean Baptiste Rousseau und mit der Approbation von zehn hohen Würdenträgern der Kirche versehen. Der Bischof Johann Leonard von Fulda nennt sie sogar Gesänge, mit denen eine fromme Kinderwelt die Mutter des Heils beschenkt". Entweder nun hat der Herr Bischof die Gedichte doch nicht alle selber gelesen, was man doch nicht annehmen sollte, oder aber er war mit seiner zeitgenössischen Litteratur nicht recht vertraut, was man wenigstens ohne beleidigend zu sein vermuten darf, oder beides, oder... noch ein drittes; denn er rechnet zu den frommen Kindern" auch einen Dichter, den selbst seine besten Freunde nicht dazu zählen werden: Heinrich Heine. Von ihm bringt die Sammlung die Weihe (Einsam in der Waldkapelle), den Gruß des Engels (Im Rheine, dem heiligen Strome) und aus dem frostig-rhetorischen Almansor die Erwiderung der jungen Christin an

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und

den Mauren, anhebend: Die Liebe war's, die Du geschaut als Leiche. Wollen wir nun auch bereitwillig die Zeit mit berücksichtigen die Sammlung wurde begonnen schon in den zwanziger Jahren sie als mitschuldig ansehen, so ist doch aber auch gewiß, daß dem was man so in diesem Sinne den Zeitgeist nennt, die geistig Starken ebensowenig unterworfen sind, wie die körperlich Gesunden den Epidemien. Und so freut es uns, selbst unter der Schar der Approbatoren solch einen Gesunden zu finden, den vicarius capitularis Miltenberger zu Speier nämlich, der, wenn er auch so wenig wie die Fee im Dornröschen den Wahrspruch der Kollegen, und es sind Erzbischöfe darunter und er ist erst Nummer Neun, ganz aufheben kann, es doch nicht zu unterdrücken vermag, daß die Sammlung manche Stelle enthält, welche, wie er sagt, die ernste Verehrung, welche die katholische Kirche der Gottesmutter erweist, nicht immer in gleich ernster Sprache darstellen; und zu diesen,,Stellen" muß er doch auch die Heineschen Stücke gezählt haben. Ihn zählen wir daher mit, wenn wir an die Menschen denken, die ein Ganzes eben als Ganzes aufzufassen verstehen, die alles in einem Gedicht in durchgängige wechselseitige Beziehung zu stellen wissen, die nicht an einzelnen Wendungen kleben bleiben. Je mehr ihrer werden, desto weniger wird der Citaten Beweisler werden, und das wäre ein wahrer Segen für alt und jung, besonders aber für die Jungen. Möge es recht bald geschehen!

Die Stoffquelle zu Freiligraths „Ammonium“.

Von Karl Heffel in Koblenz.

Wenn zur Zeit des ersten Erscheinens von Freiligraths fremdländischen Gedichten die geographische Treue der Schilderung Bewunderung fand, so ist dies Lob nicht gerade schwerwiegend, zumal es doch hier und da sehr eingeschränkt werden muß. Bei dem Löwenritt ist die geographische und naturgeschichtliche Ungeheuerlichkeit sogar so stark, daß schon deshalb das Gedicht besser vom Schulgebrauch ausgeschlossen bleibt. Anderswo überrascht ja freilich die Anschaulichkeit der Schilderung. In dieser Hinsicht hat von jeher von allen exotischen Dichtungen Freiligraths am meisten Ammonium meine Bewunderung erregt, da es nicht, wie sonst bei unserm Dichter, ein zielloses Hinund Herspringen der Phantasie ist, sondern ein geschlossenes Gemälde giebt, das ganz den Eindruck des Erlebten macht. Es ist nun merkwürdig, das gerade dies Gedicht die dichterische Gestaltung eines gegebenen Stoffes ist. Freiligrath hat, wie so viele Liederdichter unseres Jahrhunderts, z. B. Uhland, Rückert, Platen, Geibel, Heine, Lenau,

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