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leblosen Dingen nur die Wunder der Natur recht nachahmet und allezeit dasjenige wählt, was die Natur am vortrefflichsten gemacht hat."1

Kap. VI. Von der Wahrscheinlichkeit in der Poesie enthält nichts weiter als die allgemein und unklar gefaßte Erklärung des Begriffs als der „Ähnlichkeit des Erdichteten mit dem, was wirklich zu geschehen pflegt, oder die Übereinstimmung der Fabel mit der Natur." Das Verhältnis des Wahrscheinlichen zum Wunderbaren wird nicht bestimmt. Gerade große Schönheiten bei Homer, Virgil, Milton u. a. werden als vernunft- oder naturwidrig verurteilt.

Der zweite, besondere Teil handelt von den einzelnen Gattungen der Poesie.

Kap. IX von der Epopöe oder den Heldengedichten, für Gottsched die höchste Art der Dichtung (s. o. S. 16). Seine auch hier rein verstandesmäßige Auffassung ist in folgender Definition ausgesprochen:

„Es ist die poetische Nachahmung einer berühmten Handlung, die so wichtig ist, daß sie ein ganzes Volk, ja wo möglich mehr als eins angeht. Diese Nachahmung geschieht in einer wohlklingenden poetischen Schreibart, darin der Verfasser teils selbst erzählet, was vorgegangen, teils aber seine Helden, so oft es sich tun läßt, selbst redend einführet. Und die Absicht dieser 10 ganzen Nachahmung ist die sinnliche Vorstellung einer wichtigen moralischen Wahrheit, die aus der ganzen Fabel auch mittelmäßigen Lesern in die Augen leuchtet."

Dementsprechend faßt er Jlias, Odyssee und Äneide auf. Die Jlias lehrt: „Die Mißhelligkeit ist verderblich; die Eintracht aber überaus zuträglich." Die Odyssee will den Griechen beibringen, „daß die Abwesen= heit eines Hausvaters oder Regenten üble Folgen nach sich ziehe, seine Gegenwart aber sehr ersprießlich sei", und die Äneide: „ein Stifter neuer Reiche müsse gottesfürchtig, tugendhaft, fanftmütig, standhaft und tapfer sein."

1) Die Verlegenheit, in der sich Gottsched dem Wunderbaren gegenüber befindet, tritt hier deutlich hervor.

Kap. X. Von Tragödien oder Trauerspielen.

Gottscheds Rezept für die Tragödie lautet:

„Der Poet wählet sich immer einen moralischen Lehr-Sah, den er seinen Zuschauern auf eine sinnliche Art einprägen will. Dazu ersinnt er sich eine allgemeine Fabel, daraus die Wahrheit seines Sazes erhellet. Hiernächst sucht er in der Historie solche berühmte Leute, denen etwas ähnliches begegnet ist und von 5 diesen entlehnt er die Namen vor die Personen seiner Fabel, um derselben also ein Ansehen zu geben. Er erdenkt sodann alle Umstände dazu, um die Hauptfabel recht wahrscheinlich zu machen, und das werden die Zwischen-Fabeln oder Episodia genannt. Dieses teilt er dann in fünf Stücke ein, die ungefähr gleich groß 10 sind, und ordnet sie so, daß natürlicherweise das Lettere aus dem Vorhergehenden fließet: bekümmert sich aber weiter nicht, ob alles in der Historie so vorgegangen, oder ob alle Nebenpersonen wirklich so und nicht anders geheißen."

Im Interesse des moralischen Endzwecks bedauert er an andrer Stelle sehr das Wegfallen des antiken Chors, weil dieser eben die be= lehrenden, erbaulichen Betrachtungen anstelle.

Weiter handelt Gottsched von den drei Einheiten. Die Einheit der Handlung ist anerkannt; über die beiden anderen heißt es:

Die Einheit der Zeit ist das andre, das in der Tragödie 15 unentbehrlich ist. Die Fabel eines Heldengedichtes kann viele Monate dauren, wie oben gewiesen worden; das macht, sie wird nur gelesen; aber die Fabel eines Schauspieles, die mit lebendigen Personen in etlichen Stunden wirklich vorgestellet wird, kann nur einen Umlauf der Sonnen, wie Aristoteles spricht, das 20 ist einen Tag dauern. . . . Oder ist es wahrscheinlich, daß man es auf der Schaubühne etlichemale Abend werden sieht, und doch selbst, ohne zu essen oder zu trinken oder zu schlafen, immer auf einer Stelle sizen bleibt? Die besten Fabeln sind also diejenigen, die nicht mehr Zeit nötig gehabt hätten, wirklich zu geschehen, als 25 sie zur Vorstellung brauchen; das ist etwa drei oder vier Stunden: und so sind die Fabeln der meisten griechischen Tragödien be= schaffen. Kömmt es hoch, so bedürfen sie sechs, acht oder zum höchsten zwölf Stunden zu ihrem ganzen Verlaufe: und höher muß es ein Poet nicht treiben, wenn er nicht wider die Wahr- 30 scheinlichkeit handeln will.

Es müssen aber diese Stunden bei Tage, und nicht bei Nachte sein, weil diese zum Schlafen bestimmt ist: es wäre denn,

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daß die Handlung entweder in der Nacht vorgegangen wäre, oder erst nach Mittage anfange und sich bis spät in die Nacht verzöge, oder umgekehrt, vor morgens anginge und bis zu Mittage daurete.

Zum dritten gehört zur Tragödie die Einigkeit des Ortes. Die Zuschauer bleiben auf einer Stelle sißen: folglich müssen auch die spielenden Personen auf einem Plage bleiben, den jene übersehen können, ohne ihren Ort zu ändern. . . . . Es ist also in einer regelmäßigen Tragödie nicht erlaubt, den Schauplatz zu 10 ändern. Wo man ist, da muß man bleiben; und daher auch nicht in dem ersten Aufzuge im Walde, in dem andren in der Stadt, in dem dritten im Kriege, und in dem vierten in einem Garten oder auf der See sein. Das sind lauter Fehler wider die Wahrscheinlichkeit: eine Fabel aber, die nicht wahr15 scheinlich ist, taugt nichts, weil dieses ihre vornehmste Eigenschaft ist."

Kap. XI. Von Komödien oder Lustspielen.

„Die Franzosen haben es wohl unstreitig, wie in der Tragödie, also auch in der Komödie, am höchsten gebracht.

Die Komödie ist die Nachahmung einer lasterhaften Hand20 lung, die durch ihr lächerliches Wesen den Zuschauer belustigen, aber auch erbauen kann.

Die Personen, die zur Komödie gehören, sind ordentliche Bürger, oder doch Leute von mäßigem Stande, dergleichen zur Not Barons, Marquis und Grafen sind: nicht, als wenn die 25 Großen dieser Welt keine Torheiten zu begehen pflegten, die lächerlich wären; nein, sondern weil es wider die Ehrerbietung läuft, die man ihnen schuldig ist, sie als auslachenswürdig vorzustellen." Im übrigen gelten für Charakteristik, Fabel und die ganze Technik dieselben Vorschriften wie für die Tragödie. Für den Harlekin ist kein Plaz. Ihr Unterschied von der Tragödie liegt außer im Stoff und den Personen auch in der Sprache. Monologe sind in ihr unnatürlich, ihre Ausdrucksweise muß natürlich und ganz der Sprache des gewöhnlichen Lebens angemessen sein. Sie kann alle Leidenschaften außer Mitleid und Schrecken erregen. Aus allen diesen Anschauungen folgte in Gottscheds praktischer Tätigkeit für das Theater die Aufstellung der Franzosen als unbedingte Muster und die Verwerfung der Engländer.

14 Vgl. De la litt. all. IV, 3 Einl. S. 24. 19 reich an Späßen und Streichen.

III.

Johann Jakob Bodmer.

Geb. zu Greifensee bet Zürich am 19. Juli 1698, seit 1725 Professor in Zürich, gest. 2. Januar 1783.

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Unter dem Einflusse englischer literarischer Zeitschriften, die sich von dem französischen Geschmacke losgesagt hatten, bekämpfte er den Einfluß der französischen Poesie und begeisterte sich für die Werke der Engländer. Seine Überseßung des „, Verlornen Paradieses" von John Milton (1732) und die wiederholte Lobpreisung dieses Gedichts führte seinen Streit mit Gottsched herbei, in welchem sich ihm allmählich die Erkenntnis klärte, daß das Wesen der Poesie in der Empfindung und Einbildungskraft beruhe. Die ersten kritischen Arbeiten, im wesentlichen noch mit Gottsched übereinstimmend, sind in den „Diskoursen der Mahlern" 1721-1723 erschienen, einer kunsttheoretischen Zeitschrift, die hauptsächlich den Grundsaß, daß die Poesie die Natur nachzuahmen habe und gleichsam eine redende Malerei sei, vertrat. Er und seine Mit= arbeiter bezeichneten sich darin mit den Namen berühmter Maler. Den eigentlichen Anstoß zum Streite mit Gottsched gab die „Abhandlung von dem Wunderbaren in der Poesie und dessen Verbindung mit dem Wahrscheinlichen; In einer Verteidigung des Gedichts Joh. Miltons vom verlornen Paradiese.“ Zürich 1740. Was er an Milton bewun= derte, und was er für die deutsche Dichtung heiß ersehnte, das fand er über alles Erwarten erfüllt in Klopstock. Als sein erster begeisterter Verehrer lud er ihn 1750 nach Zürich ein. Er selbst hatte so wenig wie Gottsched und Opiß, welchen lezteren auch er als unerreichbares Muster verehrt, poetisches Talent. Sein Heldengedicht „Noah“ war ganz verfehlt. Besonders verdienstvoll aber war sein Verständnis für die mittelalterliche Dichtung. Er hat das Nibelungenlied, den Parzival und die Minnesänger zum ersten Male seit Jahrhunderten wieder ans Licht gezogen.

1.

Diskurse der Malern.

Zwanzigster Diskurs des ersten Teils.

Die folgenden Säße bezeichnen diejenige Kunstanschauung, die Lessing im Laokoon bekämpfte, die in der Poesie die Schilderungssucht, in der Malerei die Allegoristerei hervorrief. Eine dunkle Ahnung vom Unter=

schiede der beiden Künste hat auch Bodmer (vgl. Abs. 4), aber die Bedeutung dieses Unterschiedes ist ihm verschlossen geblieben. Ihnen gegenüber treten Lessings Säße, daß das Schöne das oberste Geseß der bildenden Künste sei, und daß die Poesie Handlungen, die bildende Kunst Körper als ihr eigenstes Gebiet zu betrachten habe und beide nur andeutungsweise in ihre Gebiete gegenseitig übergreifen könnten, in um so helleres Licht.

Wenn ich die genaue Verwandtschaft betrachte, welche die Künste derer Leuten, die mit der Feder, die mit dem Pinsel, und die mit dem Griffel und Stempel arbeiten, mit einander haben, so darf ich gedenken, daß die Manes diesen vortrefflichen 5 Malern und Bildhauern, deren Namen sich die Zunft meiner Mit-Scribenten zugelegt hat, wenn sie gleich unter der Erde noch Anteil an unsrer Welt Geschäften nähmen und fähig wären, sich für dieselben zu passionieren, eben nicht Ursachen fänden, wegen dieser genommenen Freiheit mißvergnügt zu werden. Ich sehe 10 nichts, das sie dazu sagen könnten, als diesen malenden Schreibern den Unterricht erteilen, daß sie sich die Emulation lassen aufmuntern, die Natur mit ihren Federn so nahe und geschickt nachzufolgen, wie sie mit ihren delicaten Pinseln und Griffeln getan haben.

15 Die Natur ist in der Tat die einzige und allgemeine Lehrerin derjenigen, welche recht schreiben, malen und äßen; ihre Professionen treffen darinne genau überein, daß sie sämtlich dieselbe zum Original und Muster ihrer Werken nehmen, sie studieren, copieren, nachahmen: Sie führet die Federn der 20 Schreibern, sie hilft den Malern die Farben reiben und den Bildhauern die Lineamente zeuhen. Keiner von allen kann etwas ausfertigen, wenn er sich nicht mit ihr beratet und die Regeln seiner Kunst von ihr entlehnt. Der Scribent, der die Natur

nicht getroffen hat, ist wie ein Lügner zu betrachten; und der 25 Maler sowohl als der Bildhauer, der abweichenden Copien der

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2 Leuten, ungerechtfertigte Anhängung eines n, wohl durch die Neigung zur schwachen Deklin. bei den Schweizern veranlaßt; vgl. 22, 20, 23, 17 u. Haller. 4 Manes, Manen. 13 nachfolgen und folgen verbinden die Schweizer mit dem Akkusativ. delicaten, zarten. 20 Schreibern, Schriftsteller. fertigen, zustande bringen.

21 zeuhen, ziehen. 22 aus

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