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selben machet, ist ein Pfuscher. Der erste saget Salbadereien, und die andern machen Chimären.

Alles, was keinen Grund in der Natur hat, kann niemand gefallen als einer dunkeln und ungestalten Imagination. Was würdet ihr von einem Scribenten urteilen, der mit bürlesquen 5 Expressionen ein Sterb-Gedichte anfüllete und traurige KlagTöne in eine Hochzeit - Ode mischete? Eben dasselbe, was von einem Maler, der die Delphine in die Wälder und die Hirsche in die See verseßte, oder von einem Bildhauer, der den Oberteil einer Statuen bis an die Hüften zu einer schönen Frauens- 10 Person hauete und den untern in einen Fischschwanz zusammenzöge. Hingegen ergezet uns auch die Beschreibung und Abschilderung des Lasters, der Bosheit, der Häßlichkeit, des Erschrecklichen, des Traurigen, wenn sie natürlich sind. Ein Mensch liebet in einem Sittenbuche den ähnlichen Charactere eines Grau- 15 samen, der alle zahme Neigungen der Menschlichkeit ausgezogen und sich in die Natur der Wölfen und anderer Raubtieren verstellet hat, vor welchem er in der Sozietät eine Abscheu empfindet. Er hat ein Ergeßen, das garstige Contrefay einer Runzlichen anzuschauen, vor dessen Original er die Augen abwendet. Die 20 Gedichte von Ovide, die derselbe die Traurigen genannt hat, die blutigen Schlachten, die ungeheueren Tiere, kurz, alles, was wohl nachgeahmet ist, wird uns angenehm, es sei so gräßlich und erbärmlich, als es will. Aristoteles hat wohl angemerket, daß dieses Ergehen, welches uns die Betrachtung einer schönen Nach- 25 ahmung machet, nicht gerichts von dem Objekte komme, das uns vorgemalet ist, sondern von der Reflerion, welche das Gemüt dannzumalen walten lasse, daß nichts ähnlicher und übereintreffender könne sein als ein solches Gemälde und sein Original; dermaßen, daß es bei dergleichen Anlässen geschähe, daß man 30 etwas Fremdes und Neues gewahr werde, welches kihele und gefalle. Diese Annehmlichkeit der Ähnlichkeit, welche zwischen einer Schilderei und der Sache waltet, die sie vorstellet, ist so groß, daß oft der Geizige selbst der erste über die wohlgemachte Beschreibung eines Geizigen gelachet hat, die wohl vielleicht nach 35 seinem Modell gemacht worden und mit Ergehen seine eigene Person in diesem Spiegel gesehen, der die Natur so künstlich trifft.

7ff. Nach der ars poetica des Horaz. 21 Traurigen, Tristien. 26 gerichts, geradeswegs, unmittelbar. 28 dannzumal, dann zumal, gerade dann. 37 künstlich, kunstvoll.

Ihr sehet aus diesem, worinnen die Verwandtschaft der Schreibern, der Malern und der Bildhauern bestehet, nämlich in der Gleichheit des Vorhabens; sie suchen sämtlich die Spur der Natur, fie belustigen durch die Ähnlichkeit, welche ihre Schrif5 ten, Bilder und Gemälde mit derselben haben, sie machen sich lachenswürdig, wenn sie davon abtreten. Aber sie unterscheiden sich von einander in der Ausführung ihres Vornehmens, welches fie auf ungleiche Manieren verfolgen. Denn der eine bildet die Natur mit den Worten aus, mit welchen er alles, was ihm 10 diese einzige Lehrmeisterin, bei der er in die Schule gehet, sehen oder nur gedenken läßt, so lebhaft abmalet, daß der Zuhörer oder Leser keine Mühe hat, sie darinnen zu erkennen; der andere bedienet sich des Pinsels und der Farben, mit denen er dasjenige, was ihm in die Augen fällt, in seiner wahren Proportion, Stel15 lung, Gestalt und Farbe beschreibet; und dieser findet in einem Holze oder in einem Steine die ganze Figur, die Gliedmaßen und die Formen eines Menschen, eines Tieres, oder was für einer Sache ihr wollet, verborgen, und weiß die Kunst, dieselben mit Griffeln und Stempeln herauszubringen.

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Von allen diesen Meistern verdient der erste einen Vorzug, weil seine Kunst ungleich mehr begreifet, als der andern ihre. Diese lettern schränken sich mit denen Objekten ein, welche vor die Augen kommen, da der andere nicht nur entwirft, was das Gesichte, sondern was jeglichen Sinn rühret und reget; ja was 25 weit mehr ist, die Werke des Gemütes und die Gedanken selbst, zu welchen keiner von denen äußerlichen Sinnen durchdringet. Man kann zwar in einem gewissen Verstande auch von den Mahlern und Bildhauern sagen, daß sie die Gedanken auszudrücken wissen; man kann nämlich aus der Physiognomie der 30 Gebärden und Mienen, welche die Stellung und das Angesicht bezeichnen, schließen, von welcher Passion das Gemüte mag eingenommen sein, und welche Gedanken eine solche ihm mag geben haben, maßen diese Zeichen bei allen Menschen, in einer gleichen Neigung, die gleichen sind; aber weil diese Art zu reden sehr 35 weitläuftig, langsam und unvollkommen ist, so kommt sie mit der andern in keine Vergleichung. Der Schreiber wird euch mit einem Zuge der Feder zu verstehen geben, was der Mahler mit vielen Bildern nicht tun kann. Wie will dieser es angreifen,

6 abtreten, abweichen. -21 begreifet, umfaßt.

euch einen Menschen vorstellen, dessen Charaktere dem Skribenten ein leichtes ist, klar und lebhaft auszudrücken? Geschickt von Leib, geistreich; lasterhaft, raubgierig, verschwenderisch, blutdurstig; hart, unermüdet, verwegen, verschlagen; beredt, unwissend; er wird nötig finden, fast eine jegliche von diesen Qualitäten und 5 Passionen mit einer eigenen Bildnis zu bemerken, welche dennoch noch der Zweideutigkeit wird unterworfen sein.

Indessen, da ich diesfalls dem Schreiber den Rang gebe, so hat auf der andern Seite der Maler und der Bildhauer den Vorteil, daß seine Schildereien und seine Statuen einen größeren 10 Einfluß auf die Imagination haben und stärkere Impressionen in dieselbe machen, als die Beschreibungen tun, denn was man fiehet und betastet, kann man sich viel leichter fürbilden, als man höret, inmaßen das Gegenwärtige mehr Macht über uns hat, als das Entfernte und das Vergangene"

Rubeen (Bodmer).

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2.

Aus Bodmers Abhandlung

„Von dem Wunderbaren in der Poesie

und dessen Verbindung mit dem Wahrscheinlichen. In einer Verteidigung des Gedichtes Joh. Miltons von dem verlorenen Paradiese." Zürich 1740.

Die Abhandlung wendet sich hauptsächlich gegen Voltaires und eines gewissen Magny Angriffe auf Miltons Gedicht. Lezterer hatte u. a. getadelt, „Milton habe sich von dem Zaum der Vernunft ledig gemacht." Dagegen sagt Bodmer:

„Wer von dem Poeten nicht mehr fodert, als was uns seine Kunst und Lehrart verspricht, solche empfindliche und das Gemüt mit einer angenehmen Gewalt an sich reißende Eindrücke, wie Milton in seinem Werk auf die vollkommenste Art erreget, der 20 wird sich nicht entbrechen können, wahrzunehmen, daß in seinem Gedicht so viel Ordnung, Zusammenhang, Richtigkeit und Vernunft, und dieses in dem Grade herrschet, als zu seiner Absicht gehört.

2-4 Charakteristik des Catilina bei Sallust. 8 Rang, Vorrang.

Der Poet bekümmert sich nicht um das Wahre des Verstandes; da es ihm nur um die Besiegung der Phantasie zu tun ist, hat er genug an dem Wahrscheinlichen, dieses ist Wahrheit unter vorausgeseßten Bedingungen, es ist Wahres, sofern 5 als die Sinnen und die Phantasie wahrhaft sind, es ist auf das Zeugnis derselben gebauet. Wer dem Poeten vor übel nehmen wollte, daß er darauf bauet, der mag zugleich die Natur anklagen, daß sie jene und den Verstand nicht überein gemachet hat, welches so viel gesagt ist, daß sie den Menschen nicht zu etwas Mehre10 rem als zu einem Menschen gemachet hat. Demnach ist dieses poetische Wahre nicht ohne eine gewisse Vernunft und Ordnung; es hat für die Phantasie und die Sinne seinen zureichenden Grund, es hat keinen Widerspruch in sich, ein Stück davon gründet sich in dem andern. In diesem wird Magny keine Unrichtigkeit 15 finden; wenn er solche nach einem andern Gesichtspunkte findet, da er den Poeten als einen Metaphysikus ansiehet und die reinen abgezogenen Wahrheiten des Verstandes von ihm fordert, sind das keine Fehler des Poeten, wiewohl es Fehler eines Metaphysici wären."

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Mit demselben Rechte müsse man auch die gewöhnliche Redeweise „die Sonne geht auf und unter“ usw. für unzulässig erklären, ja könne nicht einmal eine geschichtliche Wahrheit anerkennen, weil sie bloß auf Berichten anderer beruhe.

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Was uns anbelanget, wollen wir die Metaphysik bei den Lehrern derselben suchen, von den Poeten aber nichts mehr fodern als Poesie, wir wollen uns hier an dem Wahrscheinlichen und der Vernunft, die in dem Zusammenhang desselben liegt, begnügen, wir wollen denjenigen Empfindungen und Eindrücken, 25 so die Schildereien in Miltons Gedicht nach ihrem buchstäblichen Verstand machen, ohne angenommenen Kaltsinn und unzeitigen Eifer willig Plaz geben, und das Ergeßen, das daher entspringt, mit Dank annehmen. Darüber wollen wir uns an tiefere, gesuchtere, verborgenere allegorische Geheimnisse den Sinn nicht kommen lassen und den Mangel derselben, als etwas überflüssigen und hierher nicht Gehörenden, ohne Reue zu erdulden.

6 vor übel, als ungehörig; vgl. verübeln. abstrakte Verstandeswahrheiten.

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IV.

Johann Jakob Breitinger,

geb. zu Zürich am 1. März 1701, seit 1731 Professor am Gymnasium zu Zürich, gest. daselbst am 15. Dez. 1776.

Er war eifriger Teilnehmer an Bodmers kunsttheoretischen Untersuchungen, trat jedoch troß seines umfassenderen Wissens bescheiden hinter Bodmer zurück. Er strebte überhaupt nicht darnach, sich einen Namen zu machen und hinterließ nur ein größeres Werk „Kritische Dichtkunst, worinnen die poetische Malerei in Absicht auf die Erfindung im Grunde untersuchet und mit Beispielen aus den berühmtesten Alten und Neuern erläutert wird.“ Zürich 1740. Aus ihr ist nachstehend einiges von dem Abschnitte mitgeteilt, der den Kernpunkt des Streites mit Gottsched behandelt, das Wunderbare und sein Verhältnis zum Wahrscheinlichen.

Der sechste Abschnitt
aus

Breitingers „Kritischer Dichtkunst.“

"Ich begreife demnach unter dem Namen des Wunderbaren alles, was von einem andern widerwärtigen Bildnis oder vor wahr angenommenen Sage ausgeschlossen wird; was uns, dem ersten Anscheine nach, unsern gewöhnlichen Begriffen von dem Wesen der Dinge, von den Kräften, Gesetzen und dem 5 Laufe der Natur und allen vormals erkannten Wahrheiten in dem Licht zu stehen und dieselben zu bestreiten dünket. Folglich hat das Wunderbare für den Verstand immer einen Schein der Falschheit, weil es mit den angenommenen Säßen desselben in einem offenbaren Widerspruch zu stehen scheinet: Alleine dieses 10 ist nur ein Schein, und zwar ein unbetrüglicher Schein der Falschheit; das Wunderbare muß immer auf die würkliche oder die mögliche Wahrheit gegründet sein, wenn es von der Lügen unterschieden sein und uns ergehen soll. Denn wofern der Widerspruch zwischen einer Vorstellung und unsern 15 Gedanken eigentlich und begründet wäre, so könnte eine solche keine Verwunderung in uns gebären, ebensowenig, als eine offenbare Lüge oder die Erzählung von lediglich unmöglichen und 2 widerw. Bildnis entgegenstehende, widersprechende Vorstellung. 14 Lügen, schwache Dekl. s. v. 22, 20. — 17 gebären, erzeugen.

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