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Hat diese Art der Behandlung des Themas auch natürlich bei weitem nicht das Verdienst, das eine Erörterung des wirklich in seiner Tiefe erfassten Problems der historischen Bedeutung deutscher Erbfehler besitzen würde, so soll doch gar nicht in Abrede gestellt werden, dass an sich auch eine Darstellung wie die hier gewählte nicht nutzlos ist: es könnte durch sie sehr wohl einem weiteren Kreis ein scharf gefasstes Bild unserer Vergangenheit geboten werden. Die Bedenken, die dem v. Muellerschen Buch gegenüber geltend zu machen sind, richten sich weniger noch gegen die zu enge Auffassung des Grundproblems, als gegen die Art und Weise der Ausführung. Ich will dabei noch gar kein Gewicht auf die allzu detaillierte Erzählung legen: an Bestimmtheit und Eindringlichkeit freilich hätte das Werk wesentlich gewonnen, wenn der Verfasser darauf verzichtet hätte, alle Einzelheiten der äusseren Geschichte der Germanen zu verzeichnen, was doch für den von ihm verfolgten Zweck vollkommen unnötig war. Auch eine mehrfach hervortretende Neigung zu romanhafter Ausmalung (wie beispielsweise beim Kampf der Goten gegen die Hunnen S. 197), ohne dass die uns vorliegenden thatsächlichen Nachrichten für eine solche eine genügende Grundlage böten, wird man dem Autor nicht all zu hoch anrechnen dürfen. Wichtiger ist schon, dass die Darstellung keineswegs überall dem gegenwärtigen Stande der Kenntnisse entspricht. Der Verfasser giebt die Quellen, die er benützt, nicht an, sichtlich aber schöpft er aus den üblichen Handbüchern, ohne selbst weitergehende Studien gemacht zu haben. Die Folge davon ist, dass er sich mehrfach falsche oder schiefe Auffassungen und auch thatsächliche Unrichtigkeiten zu Schulden kommen lässt; so wird beispielsweise Chlodowechs Alamannensieg nach Tolpiacum verlegt, wird Gregors Bericht von Chlodowechs Verwandtenmorden für baare Münze genommen. Hierher gehört auch, dass in der Schlacht von Poitiers ein Epochenpunkt unserer Geschichte erblickt wird demgemäss schliesst mit jener der erste Band des Werkes; wie viel weitere ihm noch folgen sollen, ist nicht gesagt ; es dürfte dies nicht viel Anklang und Zustimmung finden.

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Derartiges sind schliesslich minderwichtige Einzelheiten, über die sich hinwegsehen liesse; der Grundfehler des Buches beruht in etwas ganz anderem: in der gänzlich unhistorischen Auffassung. Bei seiner Beurteilung der Menschen und der Geschehnisse operiert der Verfasser überall mit modernen Abstraktionen. Seine kritischen Raisonnements bewegen sich in erster Linie um den Begriff der Treue gegen das eigene Volk. Wohl empfindet v. Mueller gelegentlich dunkel, dass dieser Begriff jener Frühzeit fremd ist und fremd sein muss

ein andermal freilich erklärt er, dass die Germanen schon im Anfang des 4. Jahrhunderts mehr und mehr sich des gemeinsamen Gegensatzes zum römischen Reich bewusst werden -: das hindert ihn aber nicht, alles aufs einseitigste nach dem Kriterion ,,nationaler" Politik zu beurteilen. Deklamationen über Treue und Untreue, über Verrat am eigenen Volk finden sich an ungezählten Stellen des Werkes. Auch sonst macht sich in bedenklicher Weise die Neigung zu moralisierender Kritik geltend (von Gelimer beispielsweise heisst es: „Sollte er da, als er vor der gekrönten Buhldirne im Staube lag, nicht schmerzlich bedauert haben, nicht als König auf dem Schlachtfelde gestorben zu sein“). Ganz im Einklang mit dieser rein abstrakten Beurteilung werden die thatsächlichen und gegebenen Bedingungen, unter denen die Führer der Germanen zu handeln und sich zu entschliessen hatten, teils gar nicht berücksichtigt, teils ganz gering geschätzt: so ist dem Verfasser offenbar nicht zum Bewusstsein gekommen, dass das Mittelmeerklima für die sich in diesen Regionen ansiedelnden Germanen eine weitgehende Adaptierung an römische Sitten und römisches Wesen unumgänglich nötig machte.

Der Neigung zu einer Beurteilung der Vergangenheit auf Grund moderner Anschauungen entspricht eine Vorliebe für Streifblicke auf gegenwärtige Verhältnisse: so trifft man beispielsweise eine Lobrede auf den Grossgrundbesitz, eine Polemik gegen den Ultramontanismus; auch einen Exkurs über den moralischen Inhalt und Wert des alttestamentlichen Judentums dürfte man in unserem Buche kaum erwarten.

Zum Schluss noch eine Aeusserlichkeit: der Verfasser giebt seinen Vornamen nicht an: ich wünschte, dass er einmal den Versuch machte, in dem alphabetischen Katalog einer grösseren Bibliothek sein eigenes Werk aufzufinden.

Halle a/8.

Walther Schultze.

P. Albert. Geschichte der Stadt Radolfzell am Bodensee. Im Auftrag der Stadtgemeinde bearbeitet. Mit 25 Abbildungen, 1 Plan Radolfzell, W. Moriell. 1896. 8o. XXI und

und 1 Karte. 666 S.

Auf das idyllisch am Boden- oder genauer gesprochen am Untersee gelegene, seit 1810 badische Städtchen Radolfzell sind die Freunde der deutschen Städtegeschichte durch sein erst vor wenigen Jahren entdecktes Marktrecht von 1100 aufmerksam gemacht worden; den weitesten Kreisen aber hat es der Dichter Scheffel, der dort eine eigene Villa besass, in seinem Ekkehard bekannt gemacht.

Dass eine also weithin gekannte Stadt auch eine den Anforde

rungen der Geschichtswissenschaft entsprechende Geschichte erhalte, dafür sorgte ihre rührige Gemeindevertretung. Dieselbe beauftragte mit deren Bearbeitung Dr. P. Albert, z. Z. Stadtarchivar in Freiburg, der in der kurzen Zeit von 4 Jahren trotz mancher Hindernisse diese Aufgabe bewältigt hat.

Alberts Werk beruht durchaus auf sorgfältigen archivalischen Studien und entspricht allen billigen Anforderungen vollauf. Er erzählt uns nicht etwa nur von der politischen und kirchlichen Geschichte der Stadt Radolfzell, sondern behandelt nicht weniger eingehend die Entwicklung ihrer rechtlichen und sozialen Zustände im Laufe der Zeiten. Seine Radolfzeller Geschichte ist deshalb ein nicht unwichtiger Beitrag zur deutschen Städte- und Kulturgeschichte überhaupt und wird, da die Geschicke der Stadt im Laufe der Zeiten reichem Wechsel unterlagen, nicht nur in ihr und ihrer nächsten Umgebung, sondern ebenso in weitern Kreisen belehrend wirken und sicherlich dankbare Leser finden.

In eingehender Weise (S. 37-51) behandelt Albert das fast berühmt gewordene Radolfzeller Marktrecht von 1100, das bekanntlich nicht mehr im Originale, sondern nur in einer mangelhaften Abschrift des 15. Jhdts. erhalten ist. Ob seine Ausführungen über dieses Recht ohne Widerspruch bleiben werden, hat die Zeit zu zeigen. Zu bedauern ist es, dass Albert die Darstellung dieses Marktrechtes in Hegels neuestem Werke über die Entstehung des deutschen Städtewesens (S. 128-32) noch nicht berücksichtigen konnte. Albert hat jedenfalls das Verdienst, den Forschern, die sich um diese Angelegenheit bekümmern, eine sichere Grundlage geschaffen zu haben, indem er ihnen in seinem Werke ein getreues Facsimile der Radolfzeller Marktrechtsurkunde von 1100 zur Verfügung stellt.

Die Benützung seiner Geschichte von Radolfzell hat Albert durch die Beigabe eines guten Registers erleichtert, um nicht zu sagen, angesichts des fast überreichen Stoffs erst ermöglicht. Weniger glücklich war seine Idee, die Anmerkungen dem Werke als Anhang beizugeben, anstatt sie unter den Text zu setzen. Auch den Druck in Antiqua kann ich nicht gutheissen, denn damit legt Albert seiner Hauptabsicht, den Radolfzellern ein möglichst genaues und getreues Bild ihrer Vergangenheit zu bieten, ein nicht zu unterschätzendes Hindernis selbst in den Weg; das Volk heischt deutsch gedruckte Bücher. Im übrigen ist das Werk vornehm ausgestattet, insbesondere verdienen die Kunstbeilagen alle Anerkennung.

Radolfzell ist eine kleine Stadt; um so mehr Dank gebührt ihr, dass sie ohne Rücksicht auf die Kosten in solcher Weise ihre Geschichte von einem Fachmanne hat schreiben lassen. Gar manche

Stadt von ungleich grösserer Bedeutung kann da von ihr lernen Dass eine Geschichte der grossen Städte erst möglich wird, wenn ihre Urkunden und Chroniken veröffentlicht sind, ist ja richtig, aber daraus folgt nur, dass dieselben die Ausgabe von Urkundenbüchern energisch betreiben sollten; trotzdem geschieht da nicht allenthalben das Nötige. Augsburg z. B. hat zwei Bände seines Urkundenbuchs herausgegeben; weshalb ist seitdem keine Fortsetzung erschienen? Auch München hat vor Jahren die Ausgabe eines Urkundenbuchs beschlossen, das auch thatsächlich weit gefördert wurde, weshalb aber ist dasselbe jetzt ganz ins Stocken geraten? Ich meine, der Vorgang des kleinen Radolfzell sollte auf diese grossen Städte aneifernd wirken.

München.

Baumann.

Fritz Grimme, Geschichte der Minnesinger. I. Die rheinischschwäbischen Minnesinger. Urkundliche Beiträge zur Geschichte des Minnegesangs im südwestlichen Deutschland. Paderborn, F. Schöningh, 1897. XVI und 330 S. 8°. M. 6.

Die historische Forschung in Sprache und Litteratur eines Volkes ist aufs engste verknüpft mit der Erforschung seiner Geschichte. Was für die Wissenschaft des klassischen Altertums längst zur Wirklichkeit geworden ist, das einmütige Zusammengehen der Philologen und Litteraturforscher mit den Historikern, bleibt für die Arbeit auf dem Gebiet des Mittelalters wie der Neuzeit noch immer ein schönes Ideal, eine von der Theorie unzähligemale erhobene, von der Praxis im grossen ganzen mit beharrlicher Ausdauer zurückgewiesene Forderung. Auf der einen Seite die ganze, riesenhafte Arbeit, welche die Germanistik bereits geleistet, auf der andern der glänzende Aufschwung, den der Betrieb der Geschichtswissenschaft, namentlich in der Detailforschung, nach allen Richtungen genommen hat und die Brücke zwischen beiden fehlt! Am empfindlichsten wohl macht sich diese Kluft bemerkbar bei der deutschen mittelalterlichen Lyrik, um so mehr als gerade hier eine gegenseitige Befruchtung beide Disziplinen unendlich fördern müsste. Eine Geschichte der Minnesinger nach dem heutigen Stande der germanistischen und der historischen Forschung zugleich ein hohes Ziel, das wohl vielmals ersehnt, von keinem aber bislang ernstlich in Angriff genommen worden ist! Warum sind denn unsere Meister der Litteraturgeschichte an diesem Problem, einem der grössten und dankbarsten, die ihnen gestellt sind, vorübergegangen? Von der Hagens,,Minnesinger" haben gewiss ihr bleibendes Verdienst, aber ebenso gewiss erscheint uns ihre Unzulänglichkeit. Diese, schon längst empfunden, hat

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dennoch bis heute zu keiner Neuschöpfung Anlass gegeben. Die Zeit ist noch nicht da. Erst muss die Scheidewand gefallen sein, die den Germanisten vom Historiker trennt. Ein langes Stadium der gründlichsten Vorarbeiten, für die die Kraft eines einzelnen zu schwach ist, muss dem Werke selbst voraufgehen. Da diese noch immer fehlen, so erregte es in Fachkreisen nicht geringes Erstaunen, als vor kurzem ein Buch erschien, das unter dem Titel einer Geschichte der Minnesinger den Anspruch erhebt, jenes hohe Ziel erreicht zu haben. Der Verfasser, Fritz Grimme, hat thatsächlich den anerkennenswerten Mut gehabt, an die eminent schwierige Aufgabe heranzutreten, ohne eigentliche Ahnung ihrer ungeheuren Anforderungen, und verspricht sich und dem Leser eine glückliche Lösung aus eigener Kraft. Erwartungsvoll öffnet man das Buch mit dem vielverheissenden Titel und ist gleich beim Lesen der Vorrede höchlich verwundert, dass sie das Wesentlichste der Aufschrift zurücknimmt und die Geschichte der Minnesinger" reduziert auf blosse,,Beiträge zum Leben der Minnesinger", ja in noch bescheidenerer Weise nur „ein sehr unvollständiges Bild von dem Leben und Treiben der einzelnen Dichter" in Aussicht stellt zugleich aber dem Verfasser den bisherigen Ehrenplatz von der Hagens in der litterargeschichtlichen Forschung vindiziert. Und völlig enttäuscht wird man, wenn man wirklich zu finden hofft, was bei der erwähnten Einschränkung immerhin noch zu erwarten wäre. Eine rein äusserliche Aneinanderreihung von Namen und Daten, wie sie mühsam mit erstaunlichem Fleiss aus einer Menge von Litteratur Gr. gibt 171, z. T. sehr umfangreiche Werke an, die er benützt hat hervorgeholt worden sind, selten mit dem Versuch einer Gruppierung unter grössere, gemeinsame Gesichtspunkte und, wo dies geschieht, meist in trivialer, wenig wissenschaftlicher Weise, fast keine Rücksichtnahme auf die Werke der Dichter! Das ist's, was uns in dieser ,,Geschichte der Minnesinger" geboten wird. Mit dem Sammeln allein ist's wahrlich nicht gethan; das ist eine Vorarbeit, die freilich auch gemacht sein will, doch darf sie nicht mit dem Anspruch des Werkes selbst auftreten. Mit solch übertriebener Forderung muss eine an sich anerkennenswerte Leistung schonungslos dem Tadel der Kritik verfallen. Hätte Gr. seine Arbeit nicht als Geschichte der Minnesinger in der Form einer Darstellung, sondern als Vorstudien zu einer solchen in der Form von Regesten gegeben, wie er es im Anhang wirklich versucht hat, so hätte er der litterarhistorischen Forschung thatsächlich einen Dienst geleistet und sähe seinen bewundernswerten Sammeleifer hinlänglich belohnt. Eine dankenswerte Bereicherung der biographischen, namentlich genealogischen Kenntnisse von den Minnesingern bedeutet sein Buch immer

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