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Abendhimmel leuchten; dort an einem Brunnen vorbei, der wie der Styx kalt und stumm seine Wellen kräuselt; überall aber dies ewige Tröpfeln des sidernden Wassers, das wie ein Geflüster der immer wachen Berggeister klingt: durch sieben Haupthöhlen, die 800 Fuß (783 F.) sohlige Länge zählen und unter welchen die erste allein mit 32 Fuß zur Höhe steigt, wandert man unter den Trümmern der Zerstörung, neben Abgründen, einsturzdrohenden Felsen, in den s geheimnisvollen, unterirdischen Kammern der immer schaffenden Natur. Das in diese Tropfsteinhöhle vom Tage hereinsidernde Wasser hat kohlensauren Kalt abgelöst, der sich in der Höhle wiederabsezt und die Stalaktiten erzeugt, welche das Innere der Höhle in verschiedenen Formen überziehen. Je nasser draußen die Witterung, desto mehr tröpfelt drinnen das Wasser. Alles ist mit Kaltsinter überzogen; die Knochen der Tiere, die sich hierher gerettet und ihren Untergang 10 fanden (Höhlenbär), sind kalziniert; die wunderlichen Figuren (die Hauptsache für den Führer und für den ungebildeten Reisenden) sind von Tropfftein gebildet, welcher dicht und fest ist, etwas durchscheinend, oft glänzend weiß im Bruche, oft mit gelblichbraunen Ringen. Das Hauptgestein der Höhle ist ein schwärzlicher Marmor. Wahrscheinlich ist diese und alle ähnlichen Höhlen durch Aufblähung entstanden, wovon überhaupt der dolomitische Blasenkalk des älteren Flög: 15 gebirges Beweise genug liefert. Zugleich bleibt die Baumannshöhle ein großes und merkwürdiges Beispiel, wie offene Räume im Gebirge durch Einsaiungen von oben allgemach ausgefüllt werden; aus dem verdunstenden Wasser seht sich eine Schicht nach der andern an, und durch fortwährendes Absehen des Tropfsteins am Boden und an den Wänden werden auch diese Räume endlich ausgefüllt werden. Darauf hat man allerdings wohl etwas zu gewagte Schlüsse 20 über das Alter der Erde gründen und daraus beweisen wollen, daß, da sich in der Baumannzhöhle 20 000 Ringe übereinander fänden, und zur Entstehung eines jeden Kaltsinterringes ein Jahr nötig wäre, schon aus der Baumannshöhle auf ein zwanzigtausendjähriges Alter unserer Erde geschlossen werden müßte. Unter allen Stalaktiten dieses faserigen Kaltsinters ist das eigentliche Prachtstück die sogen. tlingende, 8 Fuß hohe Säule, von welcher nach der Sage ein 25 unnüßer Bojar, der 1712 im Gefolge Peters des Großen die Höhle besuchte, mit zu derber Faust das Kopfstück abgeschlagen hat. Aber das Interessanteste der Höhle sind durchaus nicht etwa die phantastischen Gebilde selbst, sondern die ewig fortdauernde Bildhauerarbeit der Natur, die kühnen Wölbungen, die gigantische Bogenspannung, diese schwebenden Felskolosse in Verbindung mit jenen Stalaktiten, die als riesige Träger und Pfeiler uns entgegenstarren. Es überfällt uns 30 ein eigener Schauer in dem unterirdischen Dome, den die Natur sich selbst in ihrem Schoße errichtet hat; dazu noch das Grauen der Nacht, das heimliche Plätschern des tröpfelnden Wassers, das gedämpfte Echo, die wunderlichen Echattenbildungen und unbeschreiblich schönen Lichtreflere bei stärkerer Illumination, alle nur denkbaren Nuancen vom grellsten Licht bis zum schwärzesten Schwarz bei einer bengalischen Flamme oder bei den koboldartigen Sprüngen eines angezündeten 35 Schwärmers, oder hier ein Choral von Männerstimmen: es ist ein ungeheurer Eindruck, welchen die Höhle auf jeden macht, der irgend Sinn für Großes, Gefühl für Erhabenes hat. Und noch ist ihr Ende bei weitem nicht erforscht; es müßte wirklich von seiten der Landesbehörden dazu etwas geschehen. Vor zwei Jahren veranlaßte ein kühner Amerikaner die jeßigen Führer zu einer weiteren Entdeckungsreise; nie betretene Abgründe wurden durchsucht, neue Höhlen 40 eröffnet, seltene Schönheiten, Grotten mit ganzen Säulenreihen stellten sich dem spähenden Auge dar, und immer öffneten sich neue Zugänge und neue Portale, und immer tiefer gings von Schlotte zu Schlotte; aber plötzlich singen die Grubenlichter an dunkler zu werden und das Glas des rettenden Kompasses zerbrach, · da war schleunige Rückkehr notwendig. Man war 24 Stunden umhergeirrt im Höhlenlabyrinthe. Bei dem Hinaufsteigen zu Tage fångt 45 man mit wahrhaftiger Freude den ersten fernen Schimmer des halb hineinglizernden Sonnenlichtes auf; sobald die milde, schmeichelnde Sommerluft warm und labend uns wieder umfächelt, und unsere Füße wieder den grünen Bergteppich unter sich haben, da ist's, als wenn wir aus einem großen, ängstlichen Traume zum wirklichen Leben erwachten! Das dargebotene Wasserbeden erinnert an die schwarze Höllenfahrt und dient zugleich als Klingelbeutel zur se Aufnahme eines kleinen Douceurs an die Magd des Führers für dargereichten, notwendigen Waschapparat.

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97. Bayerische Hochgebirgsdörfer.
Von G. Kohl.

Reife in Steiermark und im bayerischen Hochlande. Leipzig 1853. S. 819.

Ein kerniges, gesundes und frisches Geschlecht bewohnt die bayerischen Voralpentäler. Alles ist hier so wohlhäbig, reinlich und ansprechend, daß man darüber fast die Schönheit der Gegend vergißt. Die Häuser sind so malerisch gebaut, daß jedes als eine wahre Zierde seiner Umgebung erscheint, und mit ihnen feine Bauernhäuser irgend einer andern Gegend Deutschlands verglichen werden könnten. Die Dächer dieser Häuser breiten sich in einem ziemlich flachen Winkel und mit breit über10 stehendem Vordache über die Bewohner aus. Sie sind fast durchweg mit Schindeln und großen Steinen, zur Befestigung der Schindeln, belegt. An dem Rande der Dächer befinden sich die sogenannten Windbretter, die rund herumlaufen, und diese Windbretter sind in der Regel mit frommen, und oft sehr gut gewählten Sprüchen geziert. Bei einem Hause las ich z. B. folgende gute Lehre: Überschäße dich und das Deinige nicht, verachte mich und das Meinige nicht!" Diese Inschriften sind immer recht gut geschrieben und eine wahre Zierde des Hauses; auch ist das ganze Haus mit sehr lebhaften und freundlichen Farben bunt bemalt.

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Rund um die Häuser herum läuft, wie in Steiermark, Tirol und der Schweiz, eine Galerie mit Geländer von buntgeschmücktem Holzwerk. Gewöhnlich haben sie 20 über der unteren, kleineren Galerie noch eine obere, größere. Der Fenster und Türen sind viele, und auf ihre Einrahmung verwenden sie viel Schmuck und Farbe.

Die bayerischen großen Dorfwirtschaften, in denen der Fremde einkehrt, gehören in der Regel reichen Bauern, und man vergißt oft, daß man in einem Wirtshause sei. Die Schlafzimmer haben prachtvoll bemalte, mächtige Federbetten, altmodische 25 Schränke, Spiegel und Kommoden, die voll sind von den Vorräten der Wirtin. Alle Möbel sind mit hübschen Gläsern, kleinen Porzellanfiguren, altmodischen Uhren und anderen Gerätschaften und Familienerbstücken ausgeschmückt, zwischen welchen gemachte Blumenbouquets und Apfel zur Zierde liegen. Man könnte sich daher ebensoaut einbilden, ein geehrter Familienfreund, als ein zahlender Fremdling zu 30 sein. Auch sind die Leute voll Anstand und Höflichkeit. Jedesmal, wenn die Kellnerin herumkam in dem Zimmer, um die Talglichter zu pußen, bat sie bei jedem Tische erst um die Erlaubnis dazu. „Mit Verlaub!" sagte sie und putte das Licht. Welch' ungemeine Höflichkeit, sogar für eine Handlung um Erlaubnis zu bitten, für welche man Dank erwarten sollte! Endlich wünschte sie uns eine gehorsame" gute Nacht. 35 Mit unserer Erlaubnis leuchtete uns die Wirtin die Treppe hinauf; mit Verlaub öffnete sie uns die Tür: mit Verlaub fragte sie an, wann wir den Kaffee beföhlen; mit Verlaub wünschte sie nochmals eine „gehorsame“ gute Nacht.

Am andern Morgen zeigte uns die Wirtin ihre „Kästen“. So nennen die Bauern hier ihren Brauts, Haus- und Familienschat, in welchem Vorräte von allen 40 möglichen Dingen, die man im Hause brauchen kann, aufbewahrt werden. Da die Wirtschaft, in der wir uns befanden, mit den dazu gehörigen Äckern, Alpen, Mühlen, Schmieden, Brauereien 2c. auf 90 000 Gulden geschäßt ward, so waren die Kästen sehr bedeutend und füllten nicht weniger als drei Zimmer aus. Man wählt in der Regel die besseren Zimmer des Hauses dazu und schmückt deren Inneres so bunt 45 und prachtvoll mit Tellern, Krügen, Schüsseln, mit Leinwand, Wolle, Strümpfen, Knopfsammlungen und Sparbüchsen aller Art aus, daß das Ganze einer wahren Kunstausstellung gleicht. Die einzelnen Stücke Leinwand sind z. B. in großen Rollen übereinandergelegt, und zwar so, daß die Enden dieser Rollen zum Schranke heraus. gucken. Hier sind sie mit roten Fäden, mit Sternchen und Blümchen nach allen se möglichen Mustern ausgenäht; auch stecken Blumenbouquets, Gold- und Silberflittern in den Zwischenräumen der Rollen.

Jedes Kind hat seinen eigenen Schaß und seine eigene Sparbüchse; denn es

ist eine Sitte dieser bayerischen Bauern, sogleich bei Geburt eines Kindes einen solchen Schatz für dasselbe anzulegen. Die Sparbüchsen und Schüffelchen der Kinder waren reichlich mit Gold- und Silbermünzen aller Art gefüllt. Zwischen Leinwandrollen der Töchter steckten silberne Löffel und andere silberne Geräte, Geschenke von Paten und Verwandten, und in und auf allen Schränken standen vergoldete und s bemalte Wachsstöcke. Es sind dies Andenken von diesem und jenem werten Menschen. Ebenso wie die Wachsstöcke gehören zu solchen Geschenken auch die Rosenkränze, die jich, aus allerlei Stoffen, z. B. aus Silber und Korallen, gearbeitet, durch die Leinwandrollen hinschlängeln.

Bei Festlichkeiten im Hause, bei Taufen, Hochzeiten u. s. w., werden die Schränke 10 alle geöffnet und den Gästen ihre Pracht geoffenbart. Ich mußte erstaunen über die Masse von Silberzeug, welche unsere Wirtin hier zusammengehäuft hatte, über die silbernen und goldenen Münzen für ihre Töchter, die silbernen und vergoldeten Knöpfe der Männer, die Menge silberner Schnüre, wie die bayerischen Mädchen sie an ihrem Mieder tragen, dann auch über die vielen Dußend silberner Löffel, Messer 15 und Gabeln für jedes der Kinder. Allerdings liegen auf diese Weise oft mehr als 20 000 Gulden ganz tot und nuglos in den Kästen; aber mir scheint, als handelten die baherischen Bauern immer noch klüger, als manche Bürgersfrau in Wien, die für so und soviel tausend Gulden Spizen, Gaze und Seide oft an einem Tage in Schmutz, Staub und Regen verschleppt.

98. Ein Bild der Städte aus dem 13. Jahrhundert.

Nach F. W. Barthold.

Geschichte der deutschen Städte und des deutschen Bürgertums. Leipzig 1851. T. III, S. 9.

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Hohe, oft doppelte Mauern, Graben und Wall umgürteten das streitbare Geschlecht in den Städten, das immer des Angriffes gewärtig sein mußte. Wehrtürme as frönten die Mauern. Sie ragten in gemessenem Abstande empor und waren von mannigfacher Bauart, rund, eckig, spit, flach. Um die Städte war das ganze Weichbild mit einem Graben, einer Landwehr, umzogen, deren Zugänge feste Warten bezeichneten. Wächter lugten aus ihnen nach den Landstraßen aus, meldeten durch Zeichen jede Gefahr oder das Herannahen reisender Kaufmannszüge, denen in unsicherer Zeit ein bewaffnetes Geleit entgegenging. Inwendig an der Mauer der Stadt durfte sich niemand anbauen; dergleichen Anbauten drohten Gefahr des Verrats oder hinderten das Besteigen der Zinnen. In den meisten Städten wandten sich die Straßen gekrümmt, oft im Sacke endend, hin und her. Seit den Zunft, fämpfen schloß man sogar einzelne Gaffen durch Tore oder hing nachts Sperrketten 35 ein. Das Rathaus, auch wohl Bürgerhaus genannt, ragte über alle Gebäude weltlichen Gebrauchs hervor; auf seinem schlanken Turme hing die Glocke mit den Glöcklein, die zur Rats, zur Gemeindeversammlung oder sonst ernsten Dingen riefen. Auf ihm lugte der Wächter ins Weichbild aus. Kirchen und Rathäuser, Kaufhallen und Zunfthäuser wurden gemeinsam mit großer Ausdauer prachtvoll so aufgebaut, besonders die Kirchen. Himmelhoch erhoben sich die Türme. Soest, das späterhin fast bis zum Dorfe herabsank, zählt noch jetzt sechs betürmte Kirchen und Kapellen. Zur Zeit seiner Blüte hatte es zehn stattliche Gotteshäuser und gegen achtundzwanzig Kapellen, die Krankenhäuser, Pilgerherbergen, Mariengärten und anderen kirchlichen Anstalten nicht gerechnet.

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Die Bürgerhäuser blieben Jahrhunderte hindurch sehr einfach. Sie bestanden nur aus Fachwert und ragten mit dem Giebel nach der Straße. Die oberen Stockwerke traten über die unteren hervor und verengten die schmalen Gassen so sehr, daß sie kaum den Himmel blicken ließen. So leichte beengte Bauart begünstigte die ungeheuren Feuersbrünste, welche alle unsere Städte in schrecklicher Wiederkehr heim- so suchten, aus denen sie aber auch ebensoschnell sich wiedererhoben.

Kehru. Kriebitsch, Deutsches Lesebuch. II. 10. Aufl.

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Die häusliche Einrichtung entsprach der Einfalt des Zeitalters. Der Hausrat, ohne But, war dem einfachsten Bedürfnis gemäß und roh gearbeitet. Beim Mahle aßen Mann und Frau aus einem Teller; ein oder zwei Becher dienten der ganzen Familie; Fackeln und Laternen leuchteten bei Nacht den Schmausenden; Kerzen gab 6 es nicht. Die Glasur irdener Gefäße kam um diese Zeit erst auf. Selbst in vermögenden Häusern wohnte der Sohn des Hauses mit seiner jungen Frau im Hinterstübchen bei den Eltern; ohne eigene Wirtschaft, ging er bei ihnen zur Kost.

Dennoch aber fand selbst schon jenes Jahrhundert gesetzliche Beschränkung der Prunkliebe und Schwelgerei nötig, die besonders bei Festen geübt wurde. Das 10 erste Gesetz der Art finden wir bei den fröhlichen, prassenden Wormsern_im Jahre 1220. Ritter, Richter und Ratleute, mit Beistimmung der gesamten Gemeinde, untersagten die Gastmähler und Gelage, welche man im Hause des Gestorbenen zu halten pflegte, wenn dieser zu Grabe getragen war. Wer dagegen fehlte, sollte breißig Schillinge der Stadtbaukasse zur Strafe zahlen. Die strengen 15 Niedersachsen duldeten bei Hochzeiten nicht mehr als zwölf Schüsseln und drei Spielmänner der Stadt, die Breslauer (um 1290) dreißig Schüsseln und vier Spielleute. Gegen das Ende des dreizehnten Jahrhunderts seßte der alte und neue Rat zu Soest fest, daß beim Verlöbnis kein Wein zu trinken sei; doch durfte der Bräutigam der Braut ein Paar Lederschuhe und ein Paar Holzschuhe senden. Bei 20 der Hochzeit waren den Reichsten fünfzig Schüsseln, aber nur fünf Gerichte, jede Schüssel zwölf Pfennige wert, gestattet.

Unter den Künsten blühte besonders die Goldschmiedekunst. Sie schuf köstliche Schreine für die Leiber der Heiligen, Kelche mit heiligen Bildern, Kreuze mit der Gestalt des Erlösers. Auch die Kunst des Siegelschneidens stand in hohem Ansehen. 25 Die Städte hatten seit dem Ende des zwölften Jahrhunderts überall ein besonderes Wappen, welches meistens das reichverzierte Bild des Patrons der Hauptkirche enthielt. Lübecks Siegel zeigt bedeutsam das Schiff auf hoher Flut; der alte Steuermann mit spiger Kappe leitet das Fahrzeug durch die Wogen; ein Jüngling am Tauwerk weist nach oben (auf den göttlichen Beistand hindeutend). Köln hatte so als ältestes Wappen den heiligen Petrus, mit den Schlüsseln auf dem Stuhle sigend; Magdeburg hatte seit uralter Zeit eine Jungfrau über den Zinnen sich erwählt; Worms zeigte den Lindwurm und deutete damit vielleicht auf den Drachen, den Siegfried erschlug. Hamburg mit vielen anderen Städten behagte das dreifach betürmte Stadttor; Berlins ältester Bär schritt aufrecht zum Angriff und trug nicht 95 Halsband und Kette.

Hinter den düsteren Mauern der Städte wurde Gesang und Saitenspiel gepflegt. Auch diese Kunst bildete sich nach der Sitte der Zeit in Zunft und Schule aus und erheiterte das ernste Leben der Bürger. Manche Städte unseres Vaterlandes waren erfüllt mit einer Anzahl von Spielleuten. Fiedel, Harfe, Pfeife und Zinke waren 40 ihre Instrumente. Alte Heldensagen ließ man in Liedern erklingen. Auch die Lust an der Natur war aus dem freien Landleben in die dumpfen Gassen eingezogen. Überall sehen wir in deutschen Städten das Frühlingsfest mit Jubel und Tanz im Freien begehen. Man dachte sich den Winter als einen feindseligen Riesen, den Sommer als einen holden, noch knabenhaften, aber starken Jüngling, welcher ge45 waffnet in den Wald zog, den gehaßten Gegner zu suchen und zu überwältigen. Ein Knabe zog daher als Sommergott an der Spite gewaffneter Genossen in den Wald. Er trug Laub- und Blumenkränze um Stirn, Brust und Schulter und kehrte, nachdem Scheinkämpfe im Walde gehalten waren, als Sieger mit Jubel heim. Sein Gefolge führte, zum Beweise des Sieges, grüne Birkenzweige mit sich. Ein so hoher, glattgeschälter Baum mit grüner Krone wurde aufgepflanzt. Unter Leibesübung und Spiel, mit Gesang und Tanz verlebte man den Tag. Diese Sitte war aus dem Dorfe mit den eingebürgerten Bauern in die Stadt gezogen, verwandelte

sich aber im 14. Jahrhundert in einen Auszug der Schüßenbrüderschaften. Ein bunter Frühlingsvogel wurde nun von der Stange herabgeschossen, und der beste Schüße bekränzt. Nur die Ratsherren begingen hier und da noch für sich einen Mairitt unter festlicher Musterung des waffengeübten Volkes. In der Frühe bes ersten grünen Maitages ritt der jüngste Ratsherr, einen bekränzten, schönen Knaben s voran, mit den stattlich geputzten Ratsverwandten in den Wald hinaus, führte den Mai ein und verlebte den Abend mit Weib und Sippschaft im laubgeschmückten Rathause bei festlicher Kost und bei Tanz. Die Straßburger begingen am 1. Mai ein lustiges Schifferstechen auf dem Rhein, wobei im Jahre 1286 die Brüde, auf der sich viele Zuschauer befanden, zusammenstürzte.

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Das Kriegswesen lag noch den Bürgern ob. Jeber zünftige Meister mußte mit Waffen versehen sein. Diese waren von der verschiedensten Ärt und den wunderlichsten Namen. Im gewöhnlichen Leben auf Markt und Gassen, zumal vor Gericht, war das Tragen derselben verboten. Auf Reise und Fahrt ging dagegen jedermann bewehrt. Jede Zunft war im Besiß_eigener Banner und Zeughäuser. Die Zunfts 15 meister waren die Führer gegen den Feind. Als Waffe, die am geeignetsten sich der Faust des Zünstlers bot, hatte das 13. Jahrhundert die Armbrust, deren Erfindung dem Morgenlande gehört. Die Bürger gebrauchten sie mit schrecklichem Nußen von den Zinnen ihrer Städte. Es entstanden die Schüßengilden der Kaufleute und Handwerker. Braunschweig ging in der Ausbildung des Schüßenwesens voran. Dort 20 gab es schon im Jahre 1268 eine Schüßenstraße, und das Armbrustschießen nach dem Bogel auf hoher Stange blieb noch lange neben dem Feuerrohr in Anwendung. Mit Freudenspielen mancherlei Art ergößte sich die Bürgerwehr. So baten die Magdeburger den tapfern Bruno v. Stövenbeck, ein besonderes lustiges Freudenspiel zu ersinnen. Herr Bruno lud darauf mit feinen, wohlgesetzten Briefen die Kauf- 25 herren von Goslar, Hildesheim, Braunschweig, Quedlinburg, Halberstadt und andere Nachbarn zu Pfingsten nach Magdeburg. Alsbald fanden die Geladenen sich zahlreich ein, die Goslarer mit verdeckten Roffen, die Braunschweiger in Grün, andere in besonderer Rüstung und Kleidung. Mit Speeren wurden die Gäste von Gewappneten empfangen, indem sie nicht ohne Strauß einziehen wollten. Inzwischen 30 erhoben sich auf einer Insel in der Elbe Zeltreihen, und auf Schilderbäumen wurden die Wappenschilder aufgehängt. Folgenden Tages, nach Messe und nach Mittagsmahl, zog man hinaus und erlaubte jedem Fremden, den Schild dessen zu berühren, mit dem er kämpfen wollte. Ein alter Kaufmann aus Goslar verdiente den schwer erworbenen Kampfpreis.

Bei all dem heiteren und fröhlichen Leben war aber jene Zeit nicht frei von Roheit und Grausamkeit. Die Judenverfolgungen, die Räubereien, die blutigen Hinrichtungen, die oft wiederkehrende grauenvolle Hungersnot, die Verheerungen der Seuchen und manches andere erwecken ein tiefes Grauen vor jener Zeit.

99. Die ungarische Pußta.

Bon E. Schwab.

Land und Leute in Ungarn. Leipzig 1885. Bd. I, S. 176

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Noch liegen tiefe Stille und nächtliches Dunkel auf der Pußta; meilenweit schmettert tein mutiger Hahnenruf in die immer kühler werdende Luft, graue Dünste schweben leichthin über den Boden: da dämmert leise am östlichen Himmel der Tag 45 herauf, jubelnd steigt die Heidelerche empor und begrüßt das Weben der Morgenröte, welche immier rascher, immer feuriger den Horizont umsäumt.

Aber auch unten regt sich das neu erwachende Leben; das Brüllen einzelner Rinder mischt sich in das meckernde Blöken der jungen Schafe, und zwischendurch stößt ein feuriger Hengst ein Gewicher aus, hell wie eine Schlachttrompete; unruhig 50 schnauben die Pferde und stampfen den Boden mit wechselnden Hufen. Da erheben

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