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„Nun“, sagte der Vater,

du und nach findlicher Weise gehandelt. im Leben."

hast zwar nicht sehr klug, aber doch natürlich Für die Klugheit ist auch noch Raum genug

Da begann der zweite Sohn: Ich habe den Stein, den der kleine Bruder fortwarf, gesammelt und aufgeklopft. Es war ein Kern darin, der schmeckte so süß 5 wie eine Nuß. Aber meine Pfirsich hab' ich verkauft und soviel Geld dafür er halten, daß ich, wenn ich nach der Stadt komme, wohl zwölf dafür kaufen fann.". Der Bater schüttelte den Kopf und sagte:,,Klug ist das wohl, aber findlich wenigstens und natürlich war es nicht. Bewahre dich der Himmel, daß du kein Kaufmann werdest!"

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,,Und du Edmund ?" fragte der Vater. Unbefangen und offen antwortete Edmund: Ich habe meine Pfirsich dem Sohne unseres Nachbars, dem franken Georg, der das Fieber hat, gebracht. Er wollte sie nicht nehmen. Da hab' ich sie ihm auf das Bett gelegt und bin hinweggegangen."

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Nun!" sagte der Vater, wer hat denn wohl den besten Gebrauch von seiner 16 Pfirsich gemacht?"

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Da riefen sie alle drei: Das hat Bruder Edmund getan!" Edmund aber schwieg still. Und die Mutter umarmte ihn mit einer Trän' im Auge.

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Berte. Nach den vorzüglichsten Quellen revidierte Ausgabe. Berlin 1868. T. III (Gedichte, herausgegeben von 8. Strehlte), S. 213.

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Es stand eine herrliche Zeder auf Libanon in ihrer Kraft vor dem Antlitz des Himmels. Und daß sie so strack dastund, des ergrimmten die Dornsträucher umher und riefen: „Weh dem Stolzen! Er überhebt sich seines Wuchses!" Und wie die 25 Winde die Macht ihrer Aste bewegten und Balsamgeruch das Land erfüllte, wandten fich die Dörner und schrieen: Wehe dem Übermütigen! Sein Stolz braust auf wie Wellen des Meeres! Verdirb ihn, Heiliger vom Himmel!"

Eine Zeder wuchs auf zwischen Tannen; sie teilten mit ihr Regen und Sonnenschein. Und sie wuchs und wuchs über ihre Häupter und schaute weit ins Tal 30 umher. Da riefen die Tannen: 3st das der Dank, daß du dich nun überhebest, dich, die du so klein warst, dich, die wir genährt haben?" Und die Zeder sprach: Rechtet mit dem, der mich wachsen hieß!"

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Da nun die Männer kamen vom Meer und die Art ihr an die Wurzel legten, da erhub sich ein Frohlocken: „Also strafet der Herr die Stolzen, also demütigt er 36 die Gewaltigen!"

Und sie stürzte und zerschmetterte die Frohlocker, die verzettelt wurden unter dem Reisig.

Und sie stürzte und rief: „Ich habe gestanden und ich werde stehen!" Und die Männer richteten sie auf zum Maste im Schiffe des Königs, und die Segel wehten 40 von ihm her und brachten die Schäße aus Ophir in des Königs Kammer.

25. Gotteslohn. (Parabel aus dem 17. Jahrhundert.)
Bon Cl. Brentano.

Gesammelte Schriften. Herausgegeben von Chr. Brentano. Frankfurt a. M. 1852. Bd. IV, S. 474.

Ein reicher, unbarmherziger Mann hatte einen großen Ackerbau und bestellte ihn u wohl, acerte tief, düngte reichlich, säte viel und hatte einen starken Viehstand. Bei der jährlichen Berechnung der Ausgabe und des Ertrages fand er aber immer Verlust statt Gewinn, und daß der Same nicht geerntet und die Kosten verloren worden, jein Vieh mannigfach verderbte, und seine Acker und Wiesen sich ganz entkräftet und unfruchtbar befanden.

In seiner Nähe hatte ein armer Einsiedler nur ein kleines Feld, nur eine magere

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Auh, der er selbst das Gras an steilen Felsen und in Sümpfen zusammensuchen mußte, weil er keine Wiesen hatte; doch erntete der arme Mann immer die Hülle und die Fülle und konnte seinen reichen Nachbarn selbst manchmal das Saattorn borgen. Da fragte ihn der Reiche einst: Sage mir, wie soll ich meinen Ackerbau 6 nur anstellen, daß ich zum Ertrage fomme?" Und der Einsiedler antwortete ihm: Führe einen silbernen Zaun um deine Felder und Wiesen, so wird Gott dich segnen". Der Reiche erwiderte: „Das stehet nicht in meinem Vermögen, und ich will nicht, wie jener Schwabe, Nadeln ausfäen, damit mir ein eiserner Zaun daraué wachse". Der Einsiedler aber sprach: „Du verstehst mich nicht; wechsele um einige 10 Taler Scheidemünze ein, fomm damit morgen wieder zu mir, so will ich dich lehren, den silbernen Zaun zu pflanzen". Dieses tat der Reiche und fand am andern Morgen von dem Einsiedler einige hundert Arme wie einen Zaun um seine Felder gestellt, und denen mußte er die Münze mit freundlichen Worten austeilen. Da sprachen sie alle von Herzen: Gott vergelte es! Gott lohne es!" Und der Ein15 siedler sagte ihm: Sich, das ist mein silberner Zaun".

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Da wurde der reiche Mann wunderbar durch die Gnade Gottes gerührt, und zuerst erfüllte sich die Verheißung des Einsiedlers an seinem unfruchtbarsten Acker, seinem harten Herzen; denn es entsprang ein Quell aus diesem nackten Felsen, und Tränen der Liebe flossen reichlich von seinen Wangen. Aber auch seine Felder und 20 Wiesen prangten bald im überschwenglichen Segen, er konnte seinen silbernen Zaun immer dichter und reicher machen, und er ward bald so mild und selig, daß er in jedem Armen unseren Herrn selbst zu sehen glaubte und so endlich die Liebe Gottes als eine silberne Mauer um Hab und Gut führte, daß ihn die Engel, als er selbst geerntet wurde, im Schuße des Himmels fanden und zu dessen Freuden ihn as eintrugen.

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26. Tod und Schlaf.

Von F. Krummacher.

Parabeln. Essen 1840. Bd. I, S. a

Brüderlich umschlungen durchwandelten der Engel des Schlummers und der Tobesengel die Erde. Es ward Abend. Sie lagerten sich auf einem Hügel, nicht fern von den Wohnungen der Menschen. Eine wehmütige Stille waltete ringsumber; auch das Abendglöckchen im fernen Dörflein verstummte.

Still und schweigend, wie es ihre Weise ist, saßen die beiden wohltätigen Genien der Menschheit in traulicher Umarmung, und schon nahete die Nacht.

Da erhob sich der Engel des Schlummers von seinem bemoosten Lager und streute mit leiser Hand die unsichtbaren Schlummertörnlein. Die Abendwinde trugen sie zu den stillen Wohnungen des müden Landmannes. Nun umfing der süße Schlaf die Bewohner der ländlichen Hütten, vom Greise, der am Stabe geht, bis zu dem Säuglinge in der Wiege. Der Kranke vergaß seiner Schmerzen, der Trauernde 40 seines Kummers, die Armut ihrer Sorgen. Aller Augen schlossen sich.

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Jezt nach vollendetem Geschäft legte sich der wohltätige Engel des Schlummers wieder zu seinem ernsteren Bruder. Wenn die Morgenröte erwacht", rief er mit fröhlicher Unschuld,,, dann preisen mich die Menschen als ihren Freund und Wohltäter! O, welche Freude, ungesehen und heimlich wohlzutun! Wie glücklich sind 45 wir unsichtbaren Boten des guten Geistes! Wie schön unser stiller Beruf!" So sprach der freundliche Engel des Schlummers.

Ihn sah der Todesengel mit stiller Wehmut an, und eine Träne, wie die Unsterblichen sie weinen, trat in sein großes, dunkles Auge. „Ach“, sprach er, „daß ich nicht, wie du, des fröhlichen Dankes mich freuen kann! Mich nennt die Erde 50 ihren Feind und Freudenstörer!"

,,, mein Bruder“, erwiderte der Engel des Schlafes, „wird nicht auch beim

Erwachen der Gute in dir seinen Freund und Wohltäter erkennen und dankbar dich segnen? Sind wir nicht Brüder und - Boten eines Vaters?"

So sprach er. Da glänzte das Auge des Todesengels, und zärtlicher umfingen fich die brüderlichen Genien.

27. Die Morgenröte.
Von G. v. Herder.

Sämtliche Werke. Herausgegeben von B. Suphan. Berlin 1882. Bd. XXVI, S. 849.

Hast du die schöne Morgenröte gesehen? Sie leuchtet hervor aus Gottes Gemach, ein Strahl des unvergänglichen Lichtes, die Trösterin der Menschen.

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Als David einst, verfolgt von seinen Feinden, in einer schauerlichen Nacht auf dem Hermonsberge saß, den trauervollsten seiner Psalmen spielend: Löwen und Tiger brüllen um mein Ohr, der Bösen Notte hat mich rings umgeben, und ich seh' feinen Helfer!") siebe, da ging die Morgenröte auf. Mit glänzenden Augen sprang sie hervor, die frühgejagte Hindin, und hüpfte auf den Bergen und sprach zu 16 ihm wie ein Engel auf den Hügeln: „Was grämst du dich, daß du verlassen seist? Ich rig hervor aus dunkler Nacht; aus grauenvoller Finsternis wird Morgen!"

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Getröstet hing an ihrem Blick sein Auge, bis sie zur Sonne ward und Heil der Welt aufging mit ihren mächtigen Flügeln. Frohlockend wandten sich die Töne seines Gesanges, den er das Lied der Morgenröte nannte, der frühgejagten Hindin.2) 20 Auch späterhin sang er oft diesen Psalm und dankte Gott für die Bedrängnisse, die er in früher Jugend überstand; und jedesmal kam mit dem Psalm ihm Morgenrot in seine düstere Seele.

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Tochter Gottes, heilige Morgenröte! Du blickst täglich nieder und weihst den Himmel und die Welt; weih täglich auch mein Herz zu deiner stillen Wohnung.

28. Nacht und Tag.

Von G. v. Herder.

Sämtliche Werke. Herausgegeben von B. Suphan. Berlin 1882. Bd. XXVIU, S. 142.

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Nacht und Tag stritten miteinander um den Vorzug; der feurige, glänzende so Knabe Tag fing an zu streiten.

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,,Arme, dunkle Mutter“, sprach er,,,was hast du wie meine Sonne, wie meinen Himmel, wie meine Fluren, wie mein geschäftiges, rastloses Leben? Ich erwecke, was du getötet hast, zum Gefühl eines neuen Daseins; was du erschlafftest, rege ich auf." ,,Dankt man dir aber auch immer für deine Aufregung“, sprach die bescheidene, ss verschleierte Nacht. Muß ich nicht erquicken, was du ermattest? und wie fann ich's anders, als meistens durch die Vergessenheit deiner? Mutter der Götter und Menschen, nehme alles, was ich erzeugte, mit seiner Zufrie Ich hingegen, die denheit in meinen Schoß; sobald es den Saum meines Kleides berührt, vergißt es all dein Blendwerk und neigt sein Haupt sanft nieder. Und dann erhebe, dann nähre 40 ich die ruhig gewordene Seele mit himmlischem Tau. Dem Auge, das unter deinem Sonnenstrahle nie gen Himmel zu sehen wagte, enthülle ich, die verhüllte Nacht, ein Heer unzähliger Sonnen, unzähliger Bilder, neue Hoffnungen, neue Sterne."

Eben berührte der schwaßende Tag den Saum ihres Gewandes, und schweigend und matt sant er selbst in ihren umhüllenden Schoß. Sie aber saß in ihrem Sternen- 16 mantel, in ihrer Sternenkrone, mit ewig ruhigem Antlig.

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29. Der sterbende Schwan.
Von G. v. Herder.

Sämtliche Werke. Herausgegeben von B. Suphan. Berlin 1882. Bd. XXVIII, S. 145.

„Muß ich allein, denn stumm und gesanglos sein?“ sprach seufzend der stille Schwan zu sich selbst und badete sich im Glanz der schönsten Abendröte; „beinahe ich allein im ganzen Reich der gefiederten Scharen. Zwar der schnatternden Gans und der gluckenden Henne und dem krächzenden Pfau beneide ich ihre Stimmen nicht; aber dir, o sanfte Philomele, beneide ich sie, wenn ich, wie festgehalten durch dieselbe, 10 langsamer meine Wellen ziehe und mich im Abglanz des Himmels trunken verweile. Wie wollte ich dich singen, goldne Abendsonne! Dein schönes Licht und meine Seligkeit singen, mich in den Spiegel deines Rosenantliges niedertauchen und sterben!“

Still entzückt tauchte der Schwan nieder, und kaum hob er sich aus den Wellen wieder empor, als eine leuchtende Gestalt, die am Ufer stand, ihn zu sich lockte. Es war der Gott 15 der Abend- und Morgensonne, der schöne Phöbus. „Holdes, liebliches Wesen“, sprach er,,,die Bitte ist dir gewährt, die du so oft in deiner verschwiegenen Brust nährtest und die dir nicht eher gewährt werden konnte." Kaum hatte er das Wort gesagt, so berührte er den Schwan mit seiner Leier und stimmte auf ihr den Ton der Unsterblichen an. Entzückend durchdrang der Ton den Vogel Apollos; aufgelöset und ergossen sang er in die 20 Saiten des Gottes der Schönheit; dankbar-froh besang er die schöne Sonne, den glänzenden See und sein unschuldiges, seliges Leben. Sanft, wie seine Gestalt, war das harmonische Lied; lange Wellen zog er daher in süßen, entschlummernden Tönen, bis er sich in Elysium wiederfand, am Fuße des Apollo, in seiner wahren, himmlischen Schönheit. Der Gesang, der ihm im Leben versagt war, war sein Schwanengesang geworden, der sanft 25 seine Glieder auflösen mußte; denn er hatte den Ton der Unsterblichen gehört und das Antlig eines Gottes gesehen. Dankbar schmiegte er sich an den Fuß Apollos und horchte seinen göttlichen Tönen, als eben auch sein treues Weib ankam, die sich in süßem Gesange ihm nach zu Tode geklagt. Die Göttin der Unschuld nahm beide zu ihren Lieblingen an, das schöne Gespann ihres Muschelwagens, wenn sie im See der Jugend badet. Gedulde dich, stilles, hoffendes Herz! Was dir im Leben versagt ist, weil du es nicht ertragen könntest. gibt dir der Augenblick deines Todes.

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30. Die Stimme der Tränen.
Von G. v. Herder.

Sämtliche Werte. Herausgegeben von B. Suphan. Berlin 1882. Bd. XXVI, S. 336.

Drei Tage war Isaak im Herzen seines Vaters tot; denn am vierten Tag hatte Gott sich ihn zum Opfer erkoren. Schweigend zog Abraham gen Moriah hin, in den tiefsten Gram versunken, als ihn die freundliche Stimme des Kindes weckte : ,,Siehe, mein Vater, hier ist Feuer und Holz, wo ist aber das Lamm zum Opfer?” Mein Sohn“, sprach Abraham,,,Gott hat ihm selbst ersehen ein Öpferlamm!“ So gingen die beiden schweigend miteinander.

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Und als sie kamen an die Opferstätte, und der Altar gebaut, und alles bereitet war, ergriff der Vater seinen Sohn und legte ihn auf den Altar und faßte das Messer in die Rechte und sah gen Himmel hinauf. Der Knabe duldete, schwieg und 45 blickte mit weinendem Auge zum Himmel hinauf.

Die stumme Träne im Auge des Vaters und des Kindes durchdrang die Wolken und trat zum Herzen Gottes mit großem Geschrei. „Abraham!" rief der Engel des Herrn vom Himmel herab,,,Abraham, schone des Knaben und tue ihm nichts! Es ist genug!"

Freudig nahm der Vater den wiedergeschenkten Sohn, das Opfer Gottes, zurück und so hieß die schrecklich-frohe Stätte: Jehova schaut!" Er schaut die stumme Träne im Auge des Leidenden; er sieht des Herzens Jammer, der ängstlicher ruft als alles Geschrei.

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Dreifach ist das Gebet der Menschen zu Gott, und kräftiger ist eines als das andere. Ein Gebet mit stiller Stimme gefällt ihm wohl; er hört's tief im Herzen und nimmt's auch von der stammelnden Lippe gnädig auf.

Das Gebet der Not mit großem Geschrei durchdringt die Wolken und häuft glühende Kohlen auf des Unterdrückers Haupt.

Doch mächtig über alles ist die Träne des Verlassenen, der fest an Gott sich hält und stirbt. Sie sprengt Pforten und Riegel und dringt zum Herzen Gottes und bringt den Blick des Schauenden hernieder.

31. Licht und Liebe.

Von G. v. Herder.

Sämtliche Werke. Herausgegeben von B. Suphan. Berlin 1882. Bd. XXVI, S. 312

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3m Anfange war alles wüst und leer, ein falter Meeresabgrund; die Elemente der Dinge lagen wild durcheinander. Da wehte Lebenshauch vom Munde des Ewigen und brach des Eises Ketten und regte wie eine brütende Taube die erwärmen- 18 den Mutterflügel sanft.

In dunkler Tiefe regte sich alles jeßt, aufringend zur Geburt. Da erschien der Erstgeborene, das sanft erfreuende Licht.

Das holde Licht, vereint mit der Mutterliebe, die über den Wassern schwebte; sie schwangen sich auf zum Himmel und webten das goldene Blau; sie führen hinunter 20 zur Tiefe und füllten mit Leben sie an; sie trugen die Erd' empor, einen Gottesaltar, bestreuend sie mit immerverjüngten Blumen; den kleinsten Staub beseelten sie.

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Und als sie Meer und Tiefen und Luft und Erde mit Leben erfüllt hatten, da standen sie ratschlagend still und sprachen zueinander: Lasset uns Menschen schaffen, unser Bild; ein Gleichnis des, der Himmel und Erde und Licht und Liebe schuf“. 25 Da fuhr Leben in den Staub, da strahlte Licht des Menschen göttliches Antlig an, und Liebe wählte sein Herz zu ihrer stillen Wohnung.

Der ewige Vater sah's und nannte die Schöpfung gut; denn alles fühlte, alles durchdrang sein immerwirkend Licht und seine holde Tochter, die belebende Liebe, selbst.

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Was murrst du, müßiger Weiser, und staunst die Welt wie ein dunkles Chaos 30 an? Das Chaos ist geordnet; ordne du dich selbst. Im wirkenden Leben nur ist Menschenfreude; in Licht und Liebe nur des Schöpfers Seligkeit.

32. Das Kind der Barmherzigkeit.
Von G. v. Herder.

Sämtliche Werke. Herausgegeben von B. Suphan. Berlin 1882. Bd. XXVI, S. 316.

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Als der Allmächtige den Menschen erschaffen wollte, versammelte er ratschlagend die obersten Engel um sich. „Erschaffe ihn nicht!", so sprach der Engel der Gerechtigkeit; ,,er wird unbillig gegen seine Brüder sein und hart und grausam gegen den Schwächeren handeln." „Erschaffe ihn nicht!", so sprach der Engel des Friedens; er wird die Erde düngen mit Menschenblut; der Erstgeborene seines Geschlechts wird seinen 40 Bruder morden." „Dein Heiligtum wird er mit Lügen entweihen", so sprach der Engel der Wahrheit; „und ob du ihm dein Bildnis selbst, der Treue Siegel, auf sein Antlig prägtest.'

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Noch sprachen sie, als die Barmherzigkeit, des ewigen Vaters jüngstes, liebstes Kind, zu seinem Throne trat und seine Kniee umfaßte. — „Bild' ihn“, sprach sie,,,Vater, 45 zu deinem Bilde selbst, ein Liebling deiner Güte. Wenn alle deine Diener ihn verlassen, will ich ihn suchen und ihm liebend beistehen und seine Fehler selbst zum Guten lenken. Des Schwachen Herz will ich mitleidig machen und zum Erbarmen gegen Schwächere neigen. Wenn er vom Frieden und der Wahrheit irrt, wenn er Gerechtigkeit und Billigkeit beleidigt, so sollen seines Irrtums Folgen selbst zurück 50ihn führen und mit Liebe bessern."

Febru. Kriebigsch, Deutsches Lesebuch. II. 16. Aufl.

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