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reichsten Volkspoesie begabt, haben erst in unserm Jahrhundert angefangen, sie aufzuschreiben; Wuk Stephanowitsch konnte sogar noch die Orthographie firiren; Milutinowitsch wurde der erste KunstDichter. Die bulgarische Mundart ist noch nicht einmal grammatisch firirt. Croaten und Böhmen zeichnen sich in unsern Tagen mehr durch wissenschaftliche Cultur, als durch Kunstpoesie aus. Die größten Sprachforscher gehören Dobrowsky dem böhmischen, Schaforit dem slowakischen, Kopitar dem trainischen Stamme an. An vergleichender Grammatik arbeiten mehrere; Mikloschitsch hat eine gute Grundlage in seinen Radices gelegt.

Eine Geschichte der slawischen Kunstpoesie liegt nicht in dem Plan unsrer Arbeit. Es ist in diesen Formen schon so vieles Gute und selbst Treffliche geleistet, daß nur ein geborner Slawe sich dieser Aufgabe unterziehen könnte. Wir denken später einzelnes zu besprechen, wie es uns bekannt geworden; an Ueberseßungen, namentlich guten, dieser Werke sind wir Deutschen in der That noch arm und die Originale aller Mundarten zu lesen, hat für den Deutschen immer seine Schwierigkeiten.

Dagegen denken wir in einem folgenden Artikel eine Uebersicht über die ältere und neuere slawische sogenannte Volkspoesie zu geben. Man fann das Material so abtheilen:

1. Kann man slawische alte Nationalpoeste nennen, was erst in neuerer Zeit von Dichtungen des Mittelalters wieder aufgefunden und durch gelehrte Kenner erklärt worden ist. Dahin rechne ich

1) das altrussische prosaische Gedicht vom Zuge Igors,
2) die altböhmischen Gedichte der sogenannten Königinhofer
Handschrift.

II. Stellen wir Dichtungen zusammen, die zwar nicht in alten Manuscripten, wohl aber im Munde der Völker vom Mittelalter bis auf unsre Tage sich vererbt haben. Sie sind, wie alle Tradition nicht rein geblieben, da im Lauf der Jahrhunderte immer neuer Stoff sich ansezte, sind aber um so lebenskräftiger und verständlicher. Dahin rechnen wir

1) die russischen Lieder aus dem Sagenkreise des Fürsten Wladimir,

2) die reichhaltige Sammlung serbischer alter Helvenlieder,

die der unermüdliche Wuk Karatschite gesammelt hat. Als zweite Abtheilung können wir die jüngern Volkslieder betrachten. Die Hauptquelle für sie ist die Sammlung von TscheArchiv III.

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lakowsky, der sie in den Originalterten mit böhmischer Ueberseßung herausgegeben hat; für die serbischen wieder die Wutsche Sammlung. Sie theilen sich einmal nach den Volksstämmen in großrussische, kleinrussische, weißrussische, bulgarische, serbische, kroatische, krainische; sodann polnische, böhmische, slowakische und lausißische. Auch einen Rest altbulgarischer und norddeutschslawischer (drewanischer nach Schaforik) kann man beizählen. Nach dem Inhalt kann man unterscheiden:

1) Historische oder patriotische Lieder, die sich auf ein bestimmtes Factum beziehen.

2) Sociale, welche bestimmte Stände und Sitten characteriz siren, wohin die vielen Hochzeitlieder, Festlieder u. s. w. gehören.

3) Erotische Lieder.

Da das nie ausgehende Thema der Liederkunst auf dem Verhältniß der Geschlechter beruht, so geht auch hier der Reichthum ins Endlose. So zart indessen viele dieser Lieder sind, denen meist ein liebliches Naturbild zur landschaftlichen Grundlage und zur symbolischen Einleitung dient, so läßt sich doch die Bemerkung machen, daß das slawische Weib im Ganzen weniger geachtet ist, als das Weib des Germanen und Römers, und auch diesen Zug könnte man griechisch nennen. Man kann in diesen komische, tragische, elegische, fröhliche und obscöne Lieder unterscheiden.

4) Comische, satyrische oder didaktische Gedichte finden sich mehr ausnahmsweise.

Tübingen.

Morit Napp.

Einige Bemerkungen über die Zurückführung deutscher Gedichte auf ihre Quellen.

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Von dem jezt in Schulen üblichen Verfahren, Balladen, Romanzen und andere Gedichte auf ihre Quellen zurückzuführen, und die Umformung des Stoffes unter der Hand des Dichters zu betrachten, würde sich Goethe, wenn er es erlebt hätte, nicht sehr erbaut gefühlt haben. In seinem Briefwechsel mit Schiller macht er über Herder, der in Bezug auf den Taucher geäußert hatte, daß hier nur die Geschichte eines Nicolaus Pesce veredelnd umgearbeitet sei, folgende Bemerkung: „Wenn unser alter Freund bei einer solchen Bearbeitung sich noch der Chronik erinnern kann, die das Ge= schichtchen erzählt, wie soll man's dem übrigen Publico verdenken, wenn es sich bei Romanen erkundigt, ob denn Alles fein wahr sei?“ Wir sehen davon ab, daß hier zwei ziemlich verschiedene Dinge zusammengeworfen sind, daß Interesse an dem Stoffe selbst, die rein stoffliche Theilnahme," wie Goethe es nennt, und das Interesse an der ursprünglichen Form des Stoffes; so viel leuchtet jedenfalls aus dieser Bemerkung Goethe's, wie aus mancher andern in dem Briefwechsel, ein, daß er kein Freund davon war, wenn die Lesewelt dem Dichter in seine Werkstätte hineinblickt, wo sich das rohe Material unter seiner Hand zum Kunstwerk gestaltet, und noch weniger, wenn es ihm in die geheimen Schachten nachspäht, aus denen er seine Stoffe heraufholt. Er wünschte, wie er es in einem andern Bilde ausdrückte, das Publikum möge sich nur an Die ausgespielten Blätter halten, nicht aber dem Dichter über die Schulter in die Karten sehen. Man könnte hiezu vielleicht sagen, ein solches Urtheil sei von Goethe nicht befremdlich; als Dichter habe er sich in einer ähnlichen Lage wie der Taschenspieler befunden,

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dem auch daran liegen müsse, daß man ihn hinter seinem Tische gewähren lasse und nicht seine Künste den bewundernden Zuschauern verrathe. Aber auch Nichtdichter haben Bedenken gegen jenes Verfahren laut werden lassen, und ein selbst um die Erklärung deutscher Dichter sehr verdienter Mann, Hoffmeister, spricht sich über ein Zurückgehen auf die Quellen, wie wir es bei Schmidt, Gözinger u. a. finden, in folgender Stelle seiner Biographie Schiller's aus: ,,Den Stoff zu seinen Balladen hat Schiller in der Regel aus der Geschichte oder Mythe genommen. Da nun häufig Ein Gegenstand sehr verschiedenartig überliefert und behandelt ist, so hat es für den Literarhistoriker allerdings ein großes Interesse, diese abweichenden Sagen, Geschichten und Bearbeitungen einer Begebenheit zu erforschen und miteinander zu vergleichen, damit die Entwickelung und Umgestaltung derselben bei verschiedenen Völkern, Zeiten und Dichtern lebendig erkannt werde. Mir scheint aber dieses Verfahren, so höchst verdienstlich es in anderer Hinsicht sein mag, von einem bestimmten Gedichte die Aufmerksamkeit eher abzuleiten, als zur wahren Einsicht und zum Genusse desselben etwas beizutragen. Begräbt eine solche Methode nicht das Aesthetische durch das Literarische?" Und ein anderer, gleichfalls um Erläuterung deutscher Gedichte und zugleich um den gesammten deutschen Unterricht hochverdienter Mann bemerkt im nächstvorigen Hefte dieses Archivs (S. 313.) gelegentlich: „Wird der Stoff eines Gedichtes in seiner Urgestalt ausfindig gemacht, so kann die materielle Verschiedenheit desselben, die wohl als einen Ueberschuß an Reichthum sich geltend macht, dazu verleiten, daß man im Gedichte Manches vermißt, was in dem Grundstoffe sich vorfindet, und daß man dann einen Mangel an Klarheit und Vollständigkeit wahrzunehmen glaubt, wo doch für den poetischen Sinn Alles gegeben ist, wessen derselbe bedarf."

Um die hier bezeichneten und andern Abwege zu vermeiden, auf die man beim Zurückgehen zu den Quellen der Gedichte allerdings leicht gerathen kann, dürften folgende Punkte festzuhalten sein:

Erstens wird man sich, in der Regel wenigstens, auf die Betrachtung der Quelle zu beschränken haben, aus welcher der Dichter unmittelbar geschöpft hat, was auch Hoffmeister im Verlauf der obigen Stelle in folgenden Worten ausspricht: „Den Erklärer als solchen geht der Stoff in allen seinen übrigen Gestalten nichts

an, sondern nur in der Einen Form, in welcher ihn der Dichter vorfand." Damit ist indeß nicht gesagt, daß Verfasser von Commentaren, die den Schüler nicht ausschließlich im Auge haben, das interessante Phänomen der wandernden und sich verwandelnden Sagen, die so oft den Gegenstand unsrer Balladenpoesie bilden, nicht zuweilen nach mehrern Seiten hin verfolgen dürfte; und darin mag denn auch Schreiber dieses Entschuldigung finden, wenn er, nach Gözinger's Vorgange, in seinem Commentare zu Schiller's Gedichten (weniger in dem zu Goethe) manchmal den sagenhaften oder geschichtlichen Grundstoff eines Gedichtes in mehrern Gestalten vorgeführt hat. Auch dürfte es nicht zu mißbilligen sein, wenn man ein paarmal auf Veranlassung eines Gedichtes den reifern Schülern jene merkwürdige Erscheinung der Sagen-Wanderung und Wandelung an einem Beispiel veranschaulichte. Aber als Regel wird bei der Interpretation in der Schule jene Beschränkung auf die nächste und unmittelbare Quelle des Dichters anerfannt werden müssen.

Allein

Dann lasse man zweitens das Zurückführen der Dichtungen auf ihre Quellen erst auf den obersten Stufen des deutschen Unterrichtes eintreten. Es ist von großer Wichtigkeit, daß der Eindruck eines Gedichtes auf den Jüngling unbefangen, rein und sicher sei. Nun läßt sich aber nicht läugnen, daß durch die Vergleichung mit dem rohen, ungeformten Stoffe der Eindruck der Poesie, zumal auf den Sinn einer unreifern Jugend, leicht getrübt und gestört werden könne. Also nur dem sichrer fassenden, schärfer scheidenden Sinne reiferer Jünglinge muthe man eine solche Vergleichung zu. auch bei diesen ist darauf zu achten, daß sich zuerst das Gedicht dem Geiste rein und bestimmt einpräge, ehe man die Zurückführung desselben auf seine Quelle unternimmt. Wenn das Gedicht ein ächtes Gedicht ist, wenn es zu einem wahrhaft selbstständigen Gebilde, zu voller Sicherheit, Klarheit und Ganzheit in sich ausge staltet ist, so ist, wie dies auch in der oben angezogenen Abhandlung von Hiecke (S. das vorige Heft, S. 313.) ausgesprochen worden, das Zurückführen auf die Quelle feineswegs nothwendig: der Interpret als solcher hat dazu gar keine Verpflichtung; wenn er es unternimmt, so thut er es vorzüglich im Interesse der Poetik, um ten Prozeß der dichterischen Formgebung zu veranschaulichen und zu erläutern. Hieraus erhellt aber wieder beides, was wir cben als Regel aufstellten, einmal daß eine solche Behandlung des

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