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meine Söhne," fragte er, „daß ich ihnen den Segen gebe?" — „Sie sind in die Lehrschule gegangen," war ihre Antwort. „Ich habe mich um gesehen,25 erwiederte er, „und bin sie nicht gewahr 26 geworden.“ Sie reichte ihm einen Becher; er lobte den Herrn zum Ausgange” des Sabbaths, trank und fragte abermal: 28,,Wo sind meine Söhne, daß sie nicht trinken vom Weine des Segens?"—,,Sie werden nicht weit sein," sagte sie, und segte ihm vor zu essen. Er war guter Dinge; und als er nach der Mahlzeit gedankt hatte, sprach sie:,,Rabbi, erlaube mir eine Frage!",,So sprich nur, meine Liebe!" antwortete er. ,,Vor wenig Tagen," sprach sie, gab mir Jemand Kleinodien in Verwahrung," und jezt fordert er sie zurück. Soll ich sie ihm wieder geben?",,Das sollte meine Frau nicht erst fragen," sprach Rabbi Meir. Wolltest Du 32 Anstand nehmen,32 einem Jeden das Seine wieder zu geben?" ,,D nein!" versezte sie, aber auch wieder geben wollte ich ohne Dein Vorwissen nicht." Bald darauf führte sie ihn auf den Söller, trat hin, und nahm das Gewand von den Leichnamen. ,,Ach, meine Söhne!" jammerte der Vater,,,meine Söhne!" Sie wendete sich hinweg und weinte. Endlich ergriff sie ihn bei der Hand und sprach: „Rabbi, hast Du mich nicht gelehrt, man müsse sich nicht weigern, wieder zu geben, was uns zur Verwahrung vertraut ward? Siche, der Herr hat's gege= ben, der Herr hat's genommen; der Name des Herrn sei geløbet!" ,,Der Name des Herrn sei gelobet!" stimmte Rabbi Meir mit ein. „Wohl heißt es: Wer ein tugendhaft Weib gefunden, hat einen größeren Schat, denn köstliche Perlen. Sie thut ihren Mund auf mit Weisheit, und auf ihrer Zunge ist holdselige Lehre."36

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17. Zill.1

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Moses Mendelssohn.

Der Narr, dem oft weit minder Wig gefehlt,
Als vielen, die ihn gern belachen,

Und der vielleicht, um andre klug zu machen,

Das Amt des Albernen gewählt:

[Wer kennt nicht Tills berühmten Namen ?]
Till Eulenspiegel zog einmal

Mit andern über Berg und Thal.

So oft als sie zu einem Berge kamen,

- to notice, to per

25 sich umsehen to look around (for something); 26 gewahr werden ceive; 27 for the close; 28 a second time; 29 of good cheer; 80 jewels; 81 keeping trust; 32 hesitate; 33 knowledge; 34 einstimmen -to concur, to join in; 35 aufthun- to open;

86 gracious speech.

1 Till Eulenspiegel- the hero of a popular series of the 16th century; less; es fehlt mir-I am lacking;

practical jokes, that appeared in

like to laugh at; the silly man

Ging Till an seinem Wanderstab

Den Berg ganz sacht und ganz betrübt hinab;
Allein wenn sie berganwärts" stiegen,

War Eulenspiegel voll Vergnügen.

,,Warum," fing einer an,,,gehst du bergan' so froh?
Bergunter so betrübt?“ „Ich bin, sprach Till, nun so:'
Wenn ich den Berg hinunter gehe,

So denk' ich Narr schon an die Höhe,

Die folgen wird, und da vergeht mir denn der Scherz; 10
Allein, wenn ich berganwärts gehe,

So denk' ich an das Thal, das folgt, und "faß' ein Herz.“
Willst du dich in dem Glück nicht ausgelassen1 freu’n,
Im Unglück nicht unmäßig kränken,

So lern' so klug wie Eulenspiegel sein,

// 11

Im Unglück gern an's Glück, im Glück an's Unglück denken.

18 Der grüne Esel.

C. F. Gellert.

Neran, ein kluger Narr, färbt einen Esel grün,
Am Leibe grün, roth an den Beinen,

Fängt an, mit ihm die Gassen zu durchzieh'n:1

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Er zieht, und Jung und Alt erscheinen.

,,Welch Wunder!" rief die ganze Stadt,

,,Ein Esel, zeifiggrün!' der rothe Füße hat!

Daß muß die Chronik einst den Enkeln noch erzählen,

4

Was es zu unserer Zeit für Wunderdinge gab!"4

Die Gassen wimmelten von Millionen Seelen:"

Gassen

Man hebt die Fenster aus, man deckt' die Dächer ab;

Denn alles will den grünen Esel seh'n,

Und alle konnten doch nicht mit dem Esel geh'n.

Man lief die beiden ersten Tage

Dem Esel mit Bewund'rung nach.

Der Kranke selbst vergaß der Krankheit Plage,

Wenn man vom grünen Esel sprach.

Die Kinder in den Schlaf zu bringen,

Sang keine Wärterin mehr von dem schwarzen Schaf:

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up-hill; 7up-hill; down-hill; ich bin nun sfo- this is my disposition; 10 I grow sad (joking leaves me); 11 take new courage; 12 extravagantly.

1 To march through; 2 marches; siskin-green; 4 what wonderful things happened in our time; 5 were thronged with millions of people; ausheben - to take out, to unhinge;

abheben - to uncover; yet.

Vom grünen Esel hört man fingen,

Und so geräth das Kind in Schlaf.

Drei Tage waren kaum vergangen,

So war es um den Werth des armen Thiers geschehn: 10
Das Volk bezeigte" kein Verlangen,

Den grünen Esel mehr zu sehn.

Und so bewundernswerth er anfangs Allen schien,
So dacht' doch jezt kein Mensch mit einer Sylb' an ihn.
C. F. Gellert.

19. Die Katen und der Hausherr.

Thier' und Menschen schliefen feste,1
Selbst der Hausprophete 2 schwieg,
Als ein Heer geschwänzter3 Gäste
Von den nächsten Dächern stieg.

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Endlich tanzen alle Kazen,

11 Poltern, lärmen, daß es kracht, 11
Zischen, heulen, sprudeln 12, kraßen,
Bis der Herr im Haus erwacht.

Dieser springt mit einem Prügel
In dem finstern Saal herum,
Schlägt um sich, zerstößt's den Spiegel.
Wirft 14 ein Dußend Tassen um;

Stolpert über ein’ge Späne,1
Stürzt im Fallen auf die Uhr,
Und zerbricht zwo 16 Reihen Zähne:
Blinder Eifer schadet nur.

20. Die Milchfrau.

M. G. Lichtwer.

Nachlässig aufgeschürzt,' zween? Gürtel um An Leib,
Auf leichten Füßen, ging ein artig* Bauerweib

Früh Morgens nach der Stadt und trug auf ihrem Kopfe
Vier Stübchen süße Milch in einem großen Topfe.
Sie lief und wollte gern,,Kauft Milch!" am ersten schrein;
,,Denn," dachte sie bei sich,,,die erste Milch ist theuer.
Ich nehme heut, 'will's Gott,' zwölf baare Groschen ein
Und kaufe mir dafür ein halbes Hundert Eier.

• in Schlaf gerathen — to go to sleep; 10 es ist um eine Sache geschehen · - a thing is lost, forgotten; showed.

1Sound; rooster; tailed (provided with tails); descended; 5 anstimmen - to strike up; crazy, furious; the name of an old male cat; 8 Growler-the name of a male cat; beat the time;-10 decrepit, worn out by age; 11 scramble, and tumble furiously (trachen, to crash); 12 spit; 18 crushes; 14 umwerfen - to throw down; 15 fragments, chips; 16 wei. 1 Her dress negligently tucked up; 2¡wei, (obs.); rapidly; pretty; stoops, gallons, 6 gern wollen- to want; God willing; explet. (cash); a coin worth about two cents.

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Die bringt mein einzig Huhn mir dann auf einmal aus.
Gras stehet rund herum um unser kleines Haus;
Da werden sie sich schon im Grünen selbst ernähren
Die kleinen Küchelchen," die meine Stimme hören.
Und ganz gewiß, der Fuchs muß mir 22 sehr listig sein,
Läßt er mir nicht so viel, daß ich ein kleines Schwein,
Nur eins zum wenigsten, dafür ertauschen kann.
Wenn ich mich etwa schon darauf im Geiste freue,
So denk' ich nur dabei an meinen lieben Mann."
Zu mästen kostet 1 es ja1 nur ein wenig Kleie.
Ist es dann fett gemacht, dann kauf' ich eine Kuh
In unsern kleinen Stall, auch wohl ein Kalb dazu.
Das will ich allemal selbst vor 18 den Hirten bringen,
Wie fröhlich wird es dann um seine Mutter springen.
,,Hei!" sagt sie, und springt auch. Und von dem Kopfe fällt
Der Topf mit Milch herab, und ach! ihr baares Geld
Und Kalb und ihre Kuh, Glück, Reichthum und Vergnügen
Sieht sie nun vor sich da in kleinen Scherben liegen.
Betrübt steht sie dabei, 19 schielt sie barmherzig an,19
„Die schöne weiße Milch,“ sagt sie, „auf schwarzer Erde!"
Weint laut und geht nach Haus, erzählt es ihrem Mann,
Der ihr entgegen kommt, mit zitternder Geberde,

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Was sagte der dazu? Erst sah" er ernsthaft aus,
Als wär' er bös' auf sie,22 ging schweigend in das Haus,
Kehrt' aber um und sprach:,,Schaz, bau' ein andermal
Nicht Schlösser in die Luft! Man bauet seine Qual,"
Am Wagen, welcher läuft, dreht sich so schnell kein Rad,
Als sie verschwinden in den Wind.

Wir haben alles Glück, das unser Junker
Wenn wir zufrieden sind."

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21. Fabeln von Leffing.

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1. Zeus1 und das Pferd.

hat,

J. W. L. Gleim.

,,Vater der Thiere und Menschen," sprach das Pferd und nahte sich dem Throne des Zeus, „3man will,3 ich sei eines der schönsten Geschöpfe,

10 ausbringen-to hatch; 11 chickens; 12 explet.; 18 obtain by exchange, swap; 14 husband; 15 requires; 16 explet.; 17 perhaps; 18 to; 19 looks wofully at them; 20 about it; 21 aussehen to look, to appear; 22 angry at her; 23 darling, dear; 24 one's torment;

25 squire.

1 The Greek name of Jupiter, the highest of the Gods. people say.

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womit du die Welt geziert, und meine Eigenliebe heißt3 mich es glauben. Aber sollte gleichwohl nicht noch Verschiedenes an mir zu bessern sein ?" -Und was meinst du denn, das an dir zu bessern sei? Rede, ich nehme Lehre an," sprach der gute Gott und lächelte. —,,Vielleicht," sprach das Pferd weiter, würde ich flüchtiger sein, wenn meine Beine höher und schmächtiger wären; ein langer Schwanenhals würde mich nicht verstellen; eine breitere Brust würde meine Stärke vermehren; und da du mich doch einmal' bestimmt hast, deinen Liebling, den Menschen, zu tragen, so könnte mir ja wohl der Sattel anerschaffeno sein, den mir der wohlthätige Reiter auflegt."-,,Gut," versezte Zeus,,,gedulde 10 dich einen Augenblick!" Zeus mit ernstem Gesichte sprach das Wort der Schöpfung. Da quoll" Leben in den Staub, da verband sich organisirter1 Stoff, und plöglich stand vor dem Throne—das häßliche Kameel.—Das Pferd sah, schauderte und zitterte "vor entseßendem Abscheu." Hier sind höhere und schmächtigere Beine," sprach Zeus; hier ist ein langer Schwanenhals, hier eine breitere Brust; hier ist der anerschaffene Sattel! Willst du, Pferd, daß ich dich so umbilden soll? Das Pferd zitterte noch.— ,,Geh," fuhr Zeus fort, dieses Mal sei belehrt, ohne bestraft zu werden. 15 Dich deiner Vermessenheit aber dann und wann reuend zu erinnern,15 so daure fort, neues Geschöpf,“ — Zeus warf einen erhaltenden " Blick auf das Kameel,-,,und das Pferd erblicke dich nie ohne zu schaudern!"

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2. Der Wolf und der Schäfer.

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Ein Schäfer hatte durch eine grausame Seuche1 seine ganze Heerde verloren. Das erfuhr der Wolf, und kam, seine Condolenz abzustat= ten. — „Schäfer,“ sprach er, „ist es wahr, daß dich ein so grausames Unglück betroffen! Du bist um deine ganze Heerde gekommen?

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Die Liebe, fromme, fette Heerde!"-,,Habe Dank, Meister Jsegrimm;" versezte der Schäfer. Ich sehe, du hast ein sehr mitleidiges Herz."-,,Das hat er auch wirklich," fügte des Schäfers Hylar3 hinzu, „so oft er unter dem Unglücke seines Nächsten selbst leidet."

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3. Die Hunde.

Wie ausgeartet' ist hier zu Lande unser Geschlecht!" sagte ein gereister Pudel. „In dem fernen Welttheile, welchen die Menschen Indien

induces; nevertheless; fleeter; disfigure; at any rate; expletives, (surely); created with me, on me, as a part of me; 10 sich gedulden-to have patience; 11 imp. ind. of quellen; quoll in den Staub-swelled the dust; 12 organized; 13 with amazed loathing; 14 transform; 15 in order, however, to remind you, now and then, of your presumption for the sake of repentance (repentingly); 16 continue to exist; 17 preserving.

T

1 Plague; learned; to pay; has befallen; 5 um etwas kommen― to lose something; • a name given the wolf in fables; explet.; the name of the shepherd's dog. 1 Degenerate.

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