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Am meisten isits ndthig, daß man von einem Autor abs zieht, was seiner Zeit oder der Vorwelt zugehöret, und was er der Nachwelt übrig lässt. Er trågt die Fesseln seines Zeits alters, dém er sein Buch zum Geschenke darbeut: er steht in seinem Jahrhundert, wie ein Baum in dem Erdreich, in dáš er sich gewurzelt, aus welchem er Säfte ziehet, mit welchem er seine Gliedmaßen der Entstehung decket. Je mehr er sich um seine Welt verdient machen will, destomehr muß er sich nach ihr bequemen, und in ihre Denkart dringen, um sie zu bilden. Ja da er selbst nach diesem Geschmack geformt ist, und sich die erste Form nie ganz zurück bilden lässt: so muß ein jeder großer Schriftsteller die Muttermahle seiner Zeit an fich tragen. Du kunsrichterischer Thor! der du sie ihm rauben willst:` du nimmst ihm Züge seiner Eigenheit, Stücke seiner Echönheit, Narben seiner Verdienste.

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Aber bemerken kann und soll man sie: denn sie sind, lehrs reich, und der Kommentator eines Autors ist für mich der größte, nicht der denselben nach seinem Jahrhundert umbils det; sondern ihn in allen Nuancen feiner Zeit erklärt, und alsdann ergånzet. ́ Er suche ihn nicht von seinen Schlacken zu reinigen: donn wenn in diesen Schlacken gleich nicht Gold bleiben sollte: so verliert der immer viel mit ihnen, der fie zu brauchen weiß. Sondern er übernehme nur geduldig die chymische Operation, alles in seine Bestandtheile aufzuld sen, damit wir die Entstehungsart sehen. Daran ist mir nicht so viel gelegen, daß jemand aus dem Geiste eines Aus tors wieder den Geist herauszuziehen weiß, und mit einer bedeutenden Miene zu mir tritt: siehe da! ich habe dir trinks bar Gold verschafft: denn mit diesem Geist und trinkbarem Golde ist gar zu viel Betrug vorgegangen. Aber der Ertlås rer ist mein Mann, der der Vorwelt, und der Zeit, und der Nachwelt eines Autors ihre Gränzen zichet; was ihm die erste geliefert, die zweite geholfen oder geschadet, die dritte nachgearbeitet. Eine Geschichte der Schriftsteller, die nach dieser Idee ausgeführt, welch ein Werk wåre sie! die Grund

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lage zu einer Geschichte der Wissenschaften, und des menschlis chen Verstandes. Hätten wir auch nur einen einzigen Baco auf diese Art erkläret aus der alten Zeit, gerechtfertiget aus der Seinigen, aus der Unsrigen verbessert und ergånzt: so hätten wir ein großes Hülfsmittel, das uns weiter bråchte: und es könnte an ihm ein zweiter Baco entstehen, so wie Alexs ander an dem Grabe des Achilles, und Cåsar an der Bilds saule Alexanders. › Wåre Ariftoteles wohl je so schädlich ges worden, håtte man auch nur einen einzigen solchen Blick auf ihn geworfen? Aber wenn die Muttermahle eines Autors, die für seine Zeit sind, dieß Zeitalter überleben, und unzeitig nachgeahmt werden: so steht der Bediente Alexanders vor mir, der den schiefen Hals seines Herrn nachmacht, der meinetwer gen seinem Herrn gut stehen kann, oder muß; ihm aber jäms merlich lässt. Auf diese Weise wird, was die Ehre eines Aus tors seyn tann: eine Schande für uns und was uns núg gen könnte, schabet.

Garve.

Seine vortreffliche Schrift über den Charakter Zollikofer's, an Hrn. Weiße gerichtet, sollte nicht Lebensgeschichte seyn, fons dern Darlegung deffen, was Hr. G. durch Umgang mit seiner Perfon und durch Lesung seiner Schriften, von dem Eigenthümlichen seines Geistes und seines Charakters hat erkennen können; und diefe Darlegung ist so wahr und treffend gerathen, daß Jeder, der den liebenswürdigen Z. in der Nähe kannte, sein Bild darin wies der findet, und manchen ehedem nur dunkel empfundenen Zug hier aufs feinste und wirksamste gefasst und ausgeführt sieht.

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Aus Zollikofers Leben.

sles war an diesem Manne etwas verborgener, aber eben deswegen desto gründlicher. Auf seinem Aeußern sah man

keine einzige seiner guten Eigenschaften in einem ausnehmens den Grade: sondern nur das Resultat aller, Besen.

das geseßte Er empfand tief, und sah kalt aus. Er dachte viel, und war schweigend. Er war sehr wohlwollend, und nicht zuvorkommend. Dem seichten Beobachter fiel nur blog ein gewisser Anstand in die Augen, der Ehrfurcht einflösste, aber keine große innere Thåtigkeit ankündigte. Bei genaues ́rer Untersuchung fand man seinen Geißt immer mit Denken beschäftigt, und sein Herz immer von lebhaften Empfinduns gen, selbst durch Leidenschaften in Bewegung geseßt.

In welche tiefe Schwermuth verfiel Zollikofer nicht nach dem Tode seiner ersten Frau! Wie sehr wurde seine ganze Natur durch die entstehende neue Zärtlichkeit belebt? Wer håtte in ihm so lebhafte Gefühle des Herzens vermuthet ?

Eben so loderte das Feuer der Freundschaft innerlich, ob es gleich äusserlich selten in Flammen ausbrach. Er konnte die, welche er noch so sehr liebte, lange Zeit nicht begehren zu sehen; er konnte, wenn sie abwesend waren, den Briefs wechsel mit ihnen lange unterbrechen. Aber er war zu glejs 'cher Zeit zu den schwerßten Diensten für sie bereit; und vers

wandte

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wandte sich, sobald er dazu aufgefordert wurde, mit der grössten Theilnehmung und unermüdet, zu ihrem Besten oder zu ihrem Vergnügen.

So waren alle seine Leidenschaften, selbst seine Wißbes gierde, in ihren Aeußerungen gemäßigt, ruhig, beinahe talt: aber in ihrer innern Wirksamkeir stark, dauerhaft und ans haltend.

Niemand, den ich kenne, hat den Charakter, den Cis cero von einem tugendhaften Manne vor allen Dingen fors dert, immer mit sich selbst übereinstimmend zu seyn, in einem so hohen Grade zu eigen gehabt, als Zollikofer. Mas eis gentlich Laune sei, wusste er nicht, Weder sein Gesicht noch sein Betragen. ånderte sich von einem Tage zum andern. Er war nicht bei dem einen Besuch gesprächig und aufmerksam, bei einem andern zerstreut und tiefsinnig. Man fand ihn nicht das einemal zu Ergicssungen des Herzens geneigt, ein andermal verschlossen. Zu allen Zeiten war er derselbe, ims mer in der Mittelstraße, immer unter der Herrschaft der Vers nunft, immer in einem gewissen Gleichgewichte seiner Neis gungen.

Dazu trug sehr viel bei, daß er nicht den Ehrgeiz hatte, durch irgend eine seiner guten Eigenschaften auf der Stelle zu glänzen. Er schien nicht daran zu denken, wie er dem ans dern scheinen möchte: er dachte nur daran, wie er seyn wolle. Er verbarg seine Erschöpfung nicht, wenn er erschöpft war,und schwieg. Er strengte sich nicht an etwas gefälliges bet jeder Gelegenheit zu sagen: aber, wenn sich ihm in dem Zus sammenhange des Gesprächs, ein wahrer Gedanke, der zus gleich angenehm seyn konnte, darbot, so sagte er ihn mit Ans stand und sichtbarem Wohlgefallen.

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Menschen die täglich in Gesellschaft seyn wollen, und aus dem Umgange ein Geschäfte machen, werden einen sols chen Mann nicht unterhaltend genug finden.

Sie sind ges

wohnt,

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wohnt, es als eine wichtige Pflicht der Geselligkeit anzusehn, das Gespräch nie fallen zu lassen. Ohne Zweifel ist auch diejenige Munterkeit des Geistes eine Vollkommenheit mehr, die dem Manne von Geschäften auch in seinen Erholungs, stunden eine gewisse Spannung, um andern angenehm zu wers den, erlaubt, ohne daß es der zu Ausrichtung seiner Arbeis ten nöthigen Anstrengung schade. Selbst die Begierde zu gefallen, wenn sie nicht die Schranken überschreitet, ist, ins dem sie den Menschen thätiger macht zum Vergnügen andes rer beizutragen, ein Verdienst, das man ihm anrechnet. Auf der andern Seite ist es wahr, daß ein Mann, der vor dem Publiko auftritt, wie Zollikofer, und von der ganzen Gesellschaft, in der er lebt, Beifall und Dankbarkeit für feine gemeinnüßigen Arbeiten einerndet, leichter die kleinen Bes friedigungen des Ehrgeizes entbehren kann, welche ihm seine Fähigkeiten in engern Gesellschaften verschaffen würden, wenn er sich Mühe gåbe, sich darin zu zeigen. - Indeffen, so wie dieser Zug des Charakters bei Zollikofern mit seinem übri gen gesammten Betragen verbunden war: so konnte man ihn ficher für das Zeichen eines ruhigen, über kleine Leidenschaft ten erhobenen Geistes halten, der nur dann sich lebhaft regt, Iwo er Absichten erreichen kann, und ruht, wo er nichts seiner würdiges zu erreichen hofft.

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Es ist mir nicht leicht gelungen, an einem Manne dén Fortschritt zur Vollkommenheit, in seinem Denken und in feinen Arbeiten, so wahrzunehmen, als bei Zollikofern. Es lag in ihm ein philosophischer Geift, eine Gäße feiner Beob achtung in Sachen, die menschliche Handlungen und Fehler betreffen; eine richtige Urtheilskraft; die Fähigkeit seine Gedanken aufs deutlichste zu entwickeln; Anlage zum waht ren guten Geschmacke in der Schreibart. Aber alle diese Fähigkeiten waren durch seine Erziehung nicht völlig ausger Bilder worden. Seine Studien und feine Duster waren ́nicht die vollkommensten gewesen. Die ersten Predigten,

welche

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